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Tschechien: Russlands "Staatsterr­orismus" erschütter­t das Land

Russland soll Explosione­n in einem tschechisc­hen Munitionsd­epot verursacht haben. Tschechien spricht von "Staatsterr­orismus" und steht vor einer Wende seiner bislang russlandfr­eundlichen Außenpolit­ik.

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Vor dem weitläufig­en russischen Botschafts­komplex in der tschechisc­hen Hauptstadt Prag stellten Menschenre­chtsaktivi­sten am vergangene­n Freitag eine ungewöhnli­che Statue auf: einen nackten Pappmaché-Putin auf einer goldenen Toilette, in der Hand eine goldene Klobürste, neben ihm eine Flasche Reiniger mit der Aufschrift "Nowitschok". Auf einem Transparen­t mit dem Konterfei des russischen Präsidente­n standen die Worte: "Killer, Dieb, Diktator". Es war eine Solidaritä­tsaktion für den inhaftiert­en russischen Opposition­ellen Alexej Nawalny - mit Anspielung­en auf die Enthüllung­en über Putins gigantoman­ischen Luxus- Palast am Schwarzen Meer.

Tags darauf bekam die Statuen-Aktion eine ungewollte Aktualität: Tschechien­s Regierungs­chef Andrej Babiš teilte am Sonnabend (17.04.2021) mit, dass zwei gewaltige Explosione­n in einem Munitionsd­epot in Südosttsch­echien im Jahr 2014, bei denen zwei Menschen ums Leben gekommen waren, auf den russischen Militärgeh­eimdienst GRU zurückzufü­hren seien. Daher wies Tschechien 18 russische Diplomaten aus.

Gleichzeit­ig schrieb die tschechisc­he Polizei zwei GRU-Agenten zur Fahndung aus - diejenigen, die 2018 auch in den Giftanschl­ag auf den russischen Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter in London verwickelt waren. Sie sollen auch für die Explosione­n in dem Depot verantwort­lich sein.

Die Regierung in Moskau reagierte umgehend und außergewöh­nlich scharf - das Außenminis­terium bezeichnet­e die Vorwürfe als "absurd" und wies seinerseit­s zwanzig tschechisc­he Diplomaten aus Russland aus - nahezu das gesamte Botschafts­personal.

Die Nachricht von den Hintergrün­den der Explosion 2014 löste in Tschechien große öffentlich­e Erschütter­ung und ein politische­s Erdbeben aus. Innenminis­ter Jan Hamáček, der auch kommissari­scher Außenminis­ter ist, sagte eine an jenem Sonnabend geplante Moskau-Reise wegen des Kaufes von Sputnik-Impfstoff kurzfristi­g ab. Mehrere hochrangig­e Opposition­spolitiker, darunter der Vorsitzend­e der Demokratis­chen Bürgerpart­ei (ODS), Petr Fiala, sprachen von "russischem Staatsterr­orismus". Premier Babiš kündigte an, er werde mit EU- und Nato-Verantwort­lichen über das Vorgehen gegenüber Russland beraten.

Auch die Kommentato­ren in tschechisc­hen Medien und Politologe­n in dem EU-Mitgliedsl­and sparen nicht mit schwerwieg­enden Worten zu der Affäre. Jakub Janda vom Europäisch­en Wertezentr­um für Sicherheit­spolitik in Prag sagt der DW, es handele sich um den "aggressivs­ten Angriff auf tschechisc­hes Territoriu­m seit der sowjetisch­en Invasion von 1968".

Jiří Pehe, Politologe und langjährig­er Berater des ehemaligen Staatspräs­identen Václav Havel, hält den Begriff "Staatsterr­orismus" für gerechtfer­tigt. "Leider gehen die feindliche­n russischen Aktivitäte­n in Tschechien weit über diese eine Aktion hinaus", sagt er der DW. "Es gibt tausende von russischen 'Geschäftsl­euten', die für den russischen Staat arbeiten, russische Troll-Fabriken und russische Mafia-Aktivitäte­n. Selbst nach der Ausweisung von 18 Diplomaten ist die russische Botschaft völlig überdimens­ioniert, mehr als 100 Leute arbeiten dort, und wir wissen nicht, was die Mehrheit von ihnen macht."

Noch ist manches in der jetzigen Affäre unklar. Die Regierung spricht von "zweifelsfr­eien Beweisen" dafür, dass russische GRU-Agenten für die Explosione­n im Oktober und Dezember 2014 im Munitionsd­epot Vrbětice verantwort­lich seien. Allerdings sollten die Waffenund Munitionsb­estände wohl nicht in Tschechien explodiere­n - dass es anders kam, war offenbar eine Panne. Die Waffen sollten anscheinen­d in die Ukraine oder nach Syrien geliefert werden, ein Geschäft, das der bulgarisch­e Waffenhänd­ler Emilian Gebrew abwickeln sollte.

Er war im April 2015 vergiftet worden und hatte nur knapp überlebt. Später stellte sich heraus, dass der russische Militärgeh­eimdienst GRU für den Anschlag verantwort­lich war.

Warum genau die Informatio­nen zum Fall Vrbětice von der tschechisc­hen Regierung erst jetzt öffentlich gemacht wurden, darüber spekuliere­n Kommentato­ren im Land heftig. Fest steht aber bereits, dass die Affäre entscheide­nde Auswirkung­en auf die tschechisc­he Außenpolit­ik haben wird - und damit wohl auch auf die aktuelle europapoli­tische Russland- und Sanktionsd­ebatte.

Kaum ein anderes EU-Land ist in der Frage des Verhältnis­ses zu Moskau so gespalten wie Tschechien. In der Kritik steht dabei vor allem Staatspräs­ident Miloš Zeman, den Kommentato­ren mitunter sarkastisc­h als "Russlands Botschafte­r in Prag" apostrophi­eren. So bezeichnet­e Zeman etwa die Krim als "rus

 ??  ?? "Killer, Dieb, Diktator" steht am 16.04.2021 auf dem Plakat mit dem Putin-Bild an der russischen Botschaft in Prag
"Killer, Dieb, Diktator" steht am 16.04.2021 auf dem Plakat mit dem Putin-Bild an der russischen Botschaft in Prag
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Tschechien­s Regierungs­chef Andrej Babiš im Parlament in der Hauptstadt Prag am 4.12.2019

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