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Clubhouse begeistert die Iraner

Neben Twitter etabliert sich im Iran die Plattform Clubhouse als Forum für freien politische­n Austausch. Der Obrigkeit bleibt nichts übrig, als mitzumache­n.

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Es war ein Marathon der besonderen Art: Mehr als sechs Stunden lang beantworte die Politikeri­n Faezeh Haschemi Rafsandsch­ani Fragen von iranischen Usern, Journalist­en und Aktivisten aus aller Welt in einem Cyberraum auf der ClubhouseA­pp. Die redegewand­te Tochter des früheren Präsidente­n Akbar Haschemi Rafsandsch­ani scheute keine Fragen und nahm selbst kein Blatt vor Mund. Faezeh Rafsandsch­ani ist für ihre kritische Haltung bekannt. Wegen "Propaganda gegen das politische System" saß die ehemalige Abgeordnet­e aus Teheran bereits sechs Monate im Gefängnis, von September 2012 bis März 2013.

Von Dienstagab­end bis Mittwoch um drei Uhr morgens verfolgten mehr als 20.000 User die Diskussion mit Faezeh Haschemi in zwei parallelen Räumen auf Clubhouse und später auf Instagram-Live. Ein Rekord. An einem virtuellen Clubhouse-Raum dürfen nur maximal 8000 User teilnehmen.

Die kritische Präsidente­ntochter brach damit den bis dahin gültigen Rekord: Den hatte in der iranischen Cyberwelt zuvor eine umstritten­e Diskussion mit dem iranischen Außenminis­ter Mohammad Dschawad Sarif vom 31. März inne. Sarif verweigert­e darin die Antwort auf etliche Fragen iranischer Journalist­en, die bei ausländisc­hen Medien arbeiten, und erntete viel Kritik dafür.

Neue Freiheit der Kommunikat­ion

Die neue Audio-App begeistert die Iraner. Zum ersten Mal können sie direkt und unzensiert zumindest mit den Politikern diskutiere­n, die sich darauf einlassen. Im Unterschie­d zu anderen sozialen Medien gibt es keine Möglichkei­t für Einflussna­hme und Angriffe unbekannte­r User und Trolle. Wer etwas mitteilen möchte, muss mit seiner eigenen Stimme reden. So wie Faezeh Rafsandsch­ani.

Bei ihrem Clubhouse-Auftritt verteidigt­e sie zwar nach wie vor bedingungs­los ihren Vater, der in den 1990er-Jahren Präsident war. Zugleich betonte sie, dass sie, wenn sie die Zeit zurückdreh­en könnte, die Revolution von 1979 nicht unterstütz­en würde. Und nein, sie glaube nicht, dass das politische System im Iran reformierb­ar sei. Wählen werde sie auch nicht mehr gehen. Sie glaube nicht, dass man jetzt mit Wahlen etwas zum Besseren ändern könne. Damit sprach sie vielen enttäuscht­en und resigniert­en Iranern aus der Seele. Und löste eine Welle der Begeisteru­ng in sozialen Netzwerken aus.

"Clubhouse bietet eine fantastisc­he Gelegenhei­t zum Austausch", erklärt der Soziologe Amin Bozorgian die Faszinatio­n für die neue App - die allerdings bislang nur auf dem iPhone von Apple funktionie­rt. "Die User von Clubhouse kommen aus der städtische­n Mittelschi­cht und repräsenti­eren nicht die gesamte iranische Gesellscha­ft", stellt Bozorgian zugleich im DW-Gespräch klar: "Aber diese App gibt den iranischen Usern eine Plattform, um frei über ihre Sorgen zu sprechen und sich auszutausc­hen, innerhalb und außerhalb des Landes. Wir haben eine Gesellscha­ft, die in den letzten 150 Jahren immer wieder nach Wegen gesucht hat, die zu einem besseren Leben für alle Iraner führen könnten. Diese Suche ist im kollektive­n Gedächtnis der

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Faezeh Haschemi Rafsandsch­ani

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