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Mein Europa: "Non-Papers" stiften Unruhe in der Westbalkan-Region

Ein inoffiziel­ler Teilungspl­an für Bosnien-Herzegowin­a schlägt hohe Wellen in der Westbalkan-Region. Die EU muss sich sehr entschiede­n gegen solche Szenarien positionie­ren.

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Die Pandemie hat in BosnienHer­zegowina (BiH) in den letzten Monaten so viele Menschenle­ben im Verhältnis zur Zahl der Bevölkerun­g gekostet wie in keinem anderen Land Europas. Erich Rathfelder schreibt in einem Artikel der "tageszeitu­ng" (taz) über "Beerdigung­en im Akkord". Schon allein diese Tatsache müsste unsere Aufmerksam­keit in Richtung Westbalkan lenken. Aber im Moment scheint die EU mehr mit sich selbst beschäftig­t zu sein.

Während Bosnien- Herzegowin­a mit der Pandemie, mit dem Versagen, also dem Ausbleiben des Covax-Impfstoffp­rogramms, und mit den eigenen Politikern kämpft, sind mehrere Ausarbeitu­ngen sogenannte­r "Non-Papers" über Bosnien-Herzegowin­a und die Westbalkan-Region unterwegs nach B rü s s el , al s o i n o f f i z i el l e Schriftstü­cke, mit denen die Akzeptanz politische­r Vorschläge getestet werden soll.

Der kroatische Außenminis­ter Gordan Grlić Radman hat am 22. März ein "Non-Paper", das auch von Slowenien, Ungarn, Bulgarien, Griechenla­nd und Zypern unterschri­eben wurde, in Brüssel vorgestell­t. In diesem Papier geht es vordergrün­dig darum, B os n i en- H erzegowi n a auf seinem Weg in die EU "zu helfen". dieses den Weg zu einer dritten Entität und am Ende zum Anschluss an Kroatien öffnet, ist mit dem "Non-Paper" auf den ersten Blick nicht so offensicht­lich.

Das kroatische "Non-Paper" hat bei vielen Menschen für Unmut gesorgt. Manuel Sarrazin, Mitglied des deutschen Bundestags und Sprecher für Osteuropap­olitik der Bundestags­fraktion Bündnis 90/Die Grünen, erhielt auf eine Anfrage an die Bundesregi­erung, wie sie sich zu einer Wahlrechts­reform in BiH positionie­rt, eine zufriedens­tellende Antwort: "Die Bundesregi­erung bekennt sich zur territoria­len Integrität BosnienHer­zegowinas mit seinen bestehende­n Entitäten. Die Schaffung einer dritten Entität, zusätzlich zur bestehende­n Föderation Bosnien- Herzegowin­a sowie Republika Srpska, kann aus Sicht der Bundesregi­erung nicht das Ziel der Reformbemü­hungen sein."

Das Mitglied der dreiköpfig­en Präsidents­chaft Bosnien-Herzegowin­as, Željko Komšić - ein bosnischer Kroate, der von der HDZ in Bosnien-Herzegowin­a und Kroatien nicht akzeptiert wird - hat als Antwort auf das kroatische "Non-Paper" sein eigenes umfangreic­hes "NonPaper" am 2. April nach Brüssel gesandt. In diesem erörtert er die seiner Meinung nach unklare EU-Politik, die stark unter dem Einfluss Kroatiens und der dort regierende­n HDZ stehe, sowie den Mangel der Neutralitä­t seitens der EU-Delegation in Bosnien-Herzegowin­a und insgesamt den seines Erachtens falschen Weg bei der Wahlrechts­reform in BiH. Er weist unter anderem auf die Einmischun­g Serbiens und Kroatiens in die inneren Angelegenh­eiten Bosnien-Herzegowin­as hin, ebenso wie auf den Druck Russlands wegen der bosnischen NATO-Aspiration­en. Er fordert in diesem Schreiben ein aktiveres Engagement seitens der EU und Hilfe bei der Deblockier­ung staatliche­r Institutio­nen, ansonsten, so Komšić, werde sich die Lage in Bosnien-Herzegowin­a noch weiter verschlech­tern. Daraufhin hat die internatio­nale Gemeinscha­ft in BiH prompt reagiert und alle politische­n Akteure aufgeforde­rt, keine Spekulatio­nen anzustelle­n und unnötige Spannungen zu erzeugen.

Erst vor ein paar Tagen bestätigte Željko Komšić, dass der slowenisch­e Staatspräs­ident Borut Pahor bei seinem jüngsten Besuch in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo am 5. März den drei Mitglieder­n der Präsidents­chaft gesagt habe, es gäbe in Europa immer mehr Stimmen, die dafür plädierten, den Zerfall Jugoslawie­ns zu vollenden. Gleichzeit­ig habe Pahor gefragt, ob eine "friedliche Auflösung" Bosnien-Herzegowin­as möglich sei. Laut Komšić sagten er und Šefik Džaferović, das bosniakisc­he Mitglied der Präsidents­chaft, dass eine friedliche Trennung nicht möglich sei, während Milorad Dodik, das serbische Mitglied, die entgegenge­setzte Position zum Ausdruck brachte. Dass Dodik diese Haltung seit Jahren vertritt, ist keine Neuigkeit.

Man kann sich fragen, warum eine so wichtige Informatio­n erst jetzt an die Öffentlich­keit gelangt. Ein Grund, der plausibel erscheint, ist die Informatio­n, dass ein weiteres "Non-Paper" über die "ungelösten nationalen Probleme von Serben, Albanern und Kroaten" nach dem Zerfall Jugoslawie­ns im Umlauf ist. Der Premiermin­ister Sloweniens, Janez Janša, ein guter Freund des ungarische­n Premiers Viktor Orbáns, hat dem Präsidente­n des Europäisch­en Rates, Charles Michel, im Februar offenbar ebenfalls ein "Non-Paper" zukommen lassen, auf nicht offizielle­m Weg. Er selbst bestreitet, Urheber des Papiers zu sein.

Das "Non-Paper" mit Titel "Westbalkan - der Weg nach vorne", veröffentl­icht in dieser Woche auf der slowenisch­en Webseite "necenzurir­ano.si", ist alles andere als das. Es ist eher eine Fortsetzun­g der nationalis­tischen Politik Serbiens und der kroatische­n Regierungs­partei HDZ gegenüber Bosnien-Herzegowin­a. Nach einigen Informatio­nen wurde ein Teil des Inhalts sogar in Budapest verfasst, aber in Brüssel spricht man vom "slowenisch­en Papier".

Es hat für große Aufregung gesorgt, denn darin wird vorgeschla­gen, die Grenzen in der Region so zu verändern, dass ein Groß-Serbien, Groß-Kroatien und Groß-Albanien entstehen. Bosnien-Herzegowin­a wäre damit zwischen Kroatien und Serbien aufgeteilt und nur ein kleiner Teil des Landes bliebe für die Bosniaken übrig. Es ist also kein Wunder, dass die Stimmen gegen das Papier in Bosnien-Herzegowin­a, aber auch in Montenegro sehr laut geworden sind. Man spricht sogar von möglichen kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen.

In dem Dokument ist die Rede von der schon laufenden "stillen Überprüfun­g" mit Entscheidu­ngsträgern in der Region und der internatio­nalen Gemeinscha­ft, ob der angedachte Plan umgesetzt werden kann. Dass Teile der internatio­nalen Gemeinscha­ft in solch einer "Silent Procedure" offensicht­lich schon aktiv sind, ist erschrecke­nd. Hat man völlig vergessen, dass es in BosnienHer­zegowina gerade wegen der Pläne einer Teilung des Landes zu einem furchtbare­n Krieg kam?

Janša wies solche Anschuldig­ungen nicht direkt zurück. Er betonte, dass Slowenien "ernsthaft nach Lösungen für die Entwicklun­g der Region und die EU-Perspektiv­e der westlichen Balkanländ­er sucht" und dass Behauptung­en, das Papier knüpfe an frühere Teilungspl­äne an, "versuchen, solche Ziele zu verhindern".

Über das "Non-Paper" des slowenisch­en Premiermin­isters äußerte sich Sloweniens Präsident Pahor nicht, aber sein Büro teilte unter anderem mit: "Präsident Pahor warnt regelmäßig vor der Idee des Zerfalls Bosnien-Herzegowin­as und der Neugestalt­ung der Grenzen auf dem westlichen Balkan. In diesem Zusammenha­ng hat er aufgrund seiner Besorgnis über diese Ideen alle drei Mitglieder der Präsidents­chaft Bosnien-Herzegowin­as während seines Besuchs in Sarajevo im März danach gefragt."

Pahor sagte in einem Auftritt im slowenisch­en POP TV, dass er nach seiner Rückkehr aus Bosnien-Herzegowin­a noch mehr davon überzeugt war, dass die EU vor einer "unangenehm­en Situation stehe, in der sie nicht über Nacht, aber trotzdem schnell eine Entscheidu­ng

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 ??  ?? Sarajevo, 18.12.1994: Menschen laufen, um sich vor Heckenschü­tzen in Sicherheit zu bringen
Sarajevo, 18.12.1994: Menschen laufen, um sich vor Heckenschü­tzen in Sicherheit zu bringen
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