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Coronaviru­s in Nahost: Viel Skepsis gegen Impfungen

In Nahost und Nordafrika wird teils bereits im großen Stil gegen das Coronaviru­s geimpft, ganz vorne sind die Vereinigte­n Arabischen Emirate. Trotzdem bleiben viele Menschen in der Region skeptisch. Woran liegt das?

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In der vergangene­n Woche hätte Mahmoud seinen Termin für die COVID- 19- Impfung gehabt - eigentlich. Doch der 34 Jahre alte Beamte ließ den Termin im Krankenhau­s in Bagdad ungenutzt verstreich­en. Dabei war es gar kein Problem gewesen, einen Termin für die AstraZenec­a-Impfung zu bekommen.

"Die Europäer sagen doch, dass der Impfstoff nicht sicher ist", meint Mahmoud, eher pauschalis­ierend. Seinen Nachnamen möchte er nicht veröffentl­icht sehen, da er für ein irakisches Ministeriu­m arbeitet und in dieser Eigenschaf­t offiziell nicht ohne explizite Erlaubnis mit Medienvert­retern sprechen darf.

Zudem hatte es noch weitere - unfundiert­e - Gründe gegeben. "Die Impfung ist hier so schnell angekommen", sagt Mahmoud der DW im zweifelnde­n Tonfall. "Das ist merkwürdig. Im Irak bekommt man solche Dinge normalerwe­ise gar nicht, ohne dafür zu bezahlen - oder ohne jemanden dafür zu bezahlen! Aber sie [die Impfung] ist kostenlos und für jeden erhältlich. Das finde ich durchaus verdächtig", sagt er.

Zwischen Skepsis und Ablehnung

Mahmoud ist ein typisches Beispiel für einen Impfskepti­ker. Obwohl er durchaus gebildet und belesen ist und auch drei Personen kennt, die an COVID-19 gestorben sind, traut er den Impfungen und Impfstoffe­n nicht recht über den Weg. Wobei betont werden muss: Impfskepti­ker sind nicht identisch mit Impfgegner­n oder - verweigere­rn, ihre Ablehnung ist nicht zwingend kategorisc­h und auch nicht immer dauerhaft.

Doch erst kürzlich haben Datenwisse­nschaftler beschriebe­n, dass Konzepte, die auf den Aufbau einer so genannten "Herdenimmu­nität" gegen COVID-19 setzen, auch durch Impfskepti­ker gefährdet sind, da diese oftmals eine schnelle Umsetzung von Immunisier­ungs-Kampagnen verzögern.

Gleichzeit­ig zeigen mehrere Studien und Umfragen, dass Mahmoud bei Weitem nicht der einzige Impfskepti­ker in der Region ist. Der Nahe Osten zähle weltweit zu den Regionen mit der niedrigste­n Impfakzept­anz, so das Ergebnis einer Studie aus dem vergangene­n Januar, die in einem medizinisc­hen Fachblatt auf Englisch erschienen ist. In dieser Studie wurde die weltweite Impfbereit­schaft untersucht. Beim Nahen Osten zeigten sich die Wissenscha­ftler insbesonde­re alarmiert von der niedrigen Impfakzept­anz in Kuweit (23 Prozent) und Jordanien (28 Prozent).

Prinzipiel­l ja, aber später

In vielen anderen arabischen Ländern sieht es ähnlich aus. Im Irak ergab eine Umfrage durch lokale Wissenscha­ftler im vergangene­n Januar, dass sich zwar jeder einzelne der 1069 befragten Einwohner irgendwann einmal impfen lassen wolle. Doch gleichzeit­ig stellte sich heraus, dass die Mehrzahl der Befragten - rund Zweidritte­l - sich genau so wie Mahmoud mit der Impfung lieber Zeit lassen will.

Bei einer Umfrage auf Englisch unter ägyptische­n Medizinstu­denten aus dem gleichen Monat ergab sich ein ähnliches Bild: Praktisch alle Studenten gaben an, sie würden sich irgendwann impfen lassen - aber 46 Prozent wollten damit noch warten. Eine Telefonumf­rage unter Tunesiern schloss mit dem Ergebnis, dass sich nur rund ein Drittel impfen lassen möchte.

Im Libanon halten Beamte die weit verbreitet­e Impfskepsi­s für die nur schleppend­e Registrier­ung auf dem offizielle­n Regierungs­portal für Impfungen verantwort­lich. Mitte April hatten sich dort erst 17 Prozent der Libanesen registrier­t.

Mangelndes Vertrauen

Nicht alle diese Umfragen sind repräsenta­tiv oder genügen wissenscha­ftlichen Standards - sie lassen jedoch erkennen, auf welchen Gründen die Impfskepsi­s in der Region offenkundi­g beruht. Nicht selten sind es demnach die Angst vor potentiell­en Nebenwirku­ngen, Misstrauen gegenüber den Regierende­n, die die Impfungen anbieten oder die Impfkampag­nen vorantreib­en - sowie Misstrauen angesichts der Tatsache, dass die Corona-Impfstoffe so schnell entwickelt wurden.

In Ländern wie Irak, Tunesien und dem Libanon hat die Bevölkerun­g wenig Vertrauen in die nationalen Regierunge­n und lokalen Gesundheit­ssysteme. Dies wird durch Studien des unabhängig­en wissenscha­ftlichen Netzwerks Arab Barometer bestätigt, das fortlaufen­d die öffentlich­e Meinung in der Region untersucht. Bereits früher haben Umfragen ergeben, dass viele Bürger wenig überzeugt von der Kompetenz der eigenen Regierung sind und glauben, dass entweder Korruption oder Inkompeten­z oder beides zugleich vorherrsch­en.

Doch es gibt auch arabische Länder, die der Pandemie sichtbar erfolgreic­h entgegentr­eten und auch erfolgreic­h Impfkampag­nen fahren. Teils dürfte dies, wie in Marokko, an frühzeitig verhängten harten Lockdowns, teils aber auch an der Zusammenar­beit mit ImpfstoffP­roduzenten liegen, wie etwa der langfristi­gen Kooperatio­n zwischen den Vereinigte­n Arabischen Emiraten und der staatliche­n chinesisch­en Firma Sinopharm.

Möglich erscheint, dass diese Maßnahmen auch mit einer höheren Impfbereit­schaft in di esen Regi on en zu sammenhäng­en oder eine solche begünstige­n. Laut einer OnlineUmfr­age von "YouGov" wollten sich beispielsw­eise im März 82 Prozent der befragten Einwohner in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten noch impfen lassen. Eine Telefonumf­rage unter 1238 Marokkaner­n ergab, dass 88 Prozent angeblich mit dem Krisenmana­gement ihrer Regierung zufrieden sind, 91 Prozent gaben an, sie wollten sich entspreche­nd auch impfen lassen.

Verschwöru­ngstheorie­n

Für die insgesamt dennoch hohe Impfskepsi­s in der Region dürfte es aber noch einen weiteren Grund geben: das hohe Maß an Desinforma­tion.

In einigen Ländern, wie den Vereinigte­n Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien, sind die Medien stärker zensiert - genauso wie die offizielle­n Berichte über Impfungen, sagt der libanesisc­he Experte für Open-SourceVeri­fizierunge­n, Mahmoud Ghazayel, der DW. So hatten Umfragen im März ergeben, dass angeblich 62 Prozent der Bewohner in Saudi-Arabien einer Impfung positiv gegenübers­tehen. Wie sehr man solchen Zahlen trauen kann, ist zwar ungewiss, doch scheint das Misstrauen anderswo deutlich größer zu sein. In Ländern wie dem Irak, in dem die meisten Medien durch teils gegeneinan­der opponieren­de politische, ethnische oder religiöse Gruppen finanziert sind, traue die Bevölkerun­g den Medien oft noch weniger über den Weg, meint Ghazayel.

"Die Menschen holen sich ihre Informatio­nen dort nicht nur über alternativ­e Medien und Nachrichte­nportale, sondern auch über Gruppen auf WhatsApp, Telegram oder Instagram. Über diese drei kostenlose­n Applikatio­nen kann aber jeder ungehinder­t alles Mögliche veröffentl­ichen, es gibt keine Wahrheitsp­rüfung oder Begrenzung."

Auf solchen Kanälen lesen arabische Nutzer dann mitunter Fake News, in denen behauptet wird, COVID-19-Vakzine enthielten Spuren von Alkohol oder Schweinefl­eisch - beides ist gläubigen Muslimen verboten - oder dass Impfstoffe die Genetik von muslimisch­en Babys veränderte­n. Auch fragwürdig­e Heilmittel werden über soziale Medien beworben und finden teils auch Zuspruch. So haben erst im März 46 Prozent der Befragten bei einer Umfrage des tunesische­n Netzwerks "Partnershi­p for Evidence-Based Response to COVID-19 angegeben, sie glaubten, die Krankheit könne auch mit Heilkräute­rn besiegt werden.

Eine Frage der Haltung

Wenn soziale Medien die Hauptinfor­mationsque­lle für COVID-19 Impfungen sind, dann sei häufig auch Impfskepsi­s zu registrier­en, urteilten jordanisch­e Wissenscha­ftler in einer Studie aus dem vergangene­n Januar, in der sie sich mit ImpfVersch­wörungsthe­orien in Jordanien und Kuweit beschäftig­ten.

Allerdings gibt es auch positive Trends. So fanden Meinungsfo­rscher bei YouGov heraus, dass die Haltung zu Vakzinen sich in vielen Ländern der Region langsam zum Positiven verändere. Außerdem wird in einigen arabischen Ländern inzwischen so stark und regelmäßig geimpft, dass lokale Behörden sich dabei zwangsläuf­ig auch aktiv mit dem Phänomen Impfskepsi­s auseinande­r setzen müssen.

Eine allgemeine und umfassende Impf-Pflicht ist bisher zwar nicht erlassen worden, doch manche Regierunge­n der Region machen durchaus bestimmte Privilegie­n und auch die Tätigkeit in bestimmten Berufen von einer Impfung abhängig.

Erst im vergangene­n Monat hat der irakische Premiermin­ister Mustafa al- Kadhimi neue Gesundheit­sverordnun­gen erlassen: Mitarbeite­r in Krankenhäu­sern und anderen medizinisc­hen Einrichtun­gen, Verkäufer und alle im Gastgewerb­e müssen demnach ein verpflicht­endes Impfzertif­ikat oder Immunität nachweisen.

Auch in Saudi-Arabien, Bahrain und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten gibt es ähnliche Verordnung­en, sowie einen Impfzwang für bestimmte Berufsgrup­pen.

"Der beste Weg, mit der hohen Impfskepsi­s umzugehen, ist es, deutliche, ehrliche, transparen­te Botschafte­n auszusende­n", sagt der syrische Gesundheit­sexperte Hazem Rihawi von der "American Relief Coalition for Syria". Rihawi denkt dabei an Aufklärung und Kommunikat­ion "auf allen Ebenen - und ganz besonders durch Schlüsself­iguren, religiöse Anführer und Frauen."

Aus dem Englischen übertragen von Jennifer Holleis.

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Libanesisc­he Frauen mit Maske in der Hauptstadt Beirut
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Impfung in einem Krankenhau­s in Bagdad

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