Deutsche Welle (German edition)

Was wollen die Grünen, wenn sie an die Macht kommen?

Mit der Entscheidu­ng über die Kanzlerkan­didatur beginnt für die Grünen der Wahlkampf. Sie machen klar: Sie wollen an die Macht. Was könnte die Partei in einer möglichen Regierung erreichen?

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Nun steht es fest: Die Grünen gehen mit Annalena Baerbock als Kanzlerkan­didatin in den Wahlkampf zur Bundestags­wahl im September. Das erste Mal in ihrer Geschichte sind die Grünen ganz und gar darauf eingericht­et, in einer Bundesregi­erung zentrale politische Macht in Deutschlan­d zu übernehmen. Bei ihrer ersten Regierungs­beteiligun­g, zwischen 1998 und 2005 an der Seite der SPD, stolperten sie eher in eine zuvor kaum erwartete Koalition, mit gerade einmal 6,7 Prozent bei der Bundestags­wahl im Herbst 1998. Jetzt, 23 Jahre später, ist alles anders. Die Partei liegt stabil bei über 20 Prozent in den Umfragen.

Aber wer frühere Parteitage der Grünen besucht und durchlitte­n hat, sich dabei wundern musste über stundenlan­ge hitzige Debatten und chaotische Auseinande­rsetzungen, reibt sich jetzt die Augen. Die Grünen sind geeint wie nie, stehen geschlosse­n hinter ihrer Parteispit­ze, meiden alle hässlichen Angriffe auf politische Gegner. Sprechen von der Verfassung, die es zu verteidige­n gelte, so staatstrag­end klingt das, dass es immer noch ungewohnt ist. Fokussiert und konzentrie­rt machen sie deutlich: Es soll nichts mehr schiefgehe­n auf dem Weg an die Macht

Energien zu sorgen und mehr Elektroaut­os auf die Straßen bringen. Das alles wollen die anderen Parteien auch, aber ihren hohen Standard werden die Grünen mühsam durchsetze­n müssen. Hier geht es um ihren Markenkern.

Außenpolit­isch wird es mit den Grünen viel Kontinuitä­t geben. Sie setzen wie die meisten anderen Parteien auch auf ein starkes Europa, oder besser darauf, die EU wieder stark zu machen, sie setzen auf eine Wiederbele­bung des transatlan­tischen Verhältnis­ses. "Raus aus der Nato", das mögen noch vereinzelt­e Gruppen innerhalb der Partei denken, die Führung und weite Teile der Partei sehen das anders. Gegenüber Russland und China sind von den Grünen allerdings eher kritische Ansätze zu erwarten, die umstritten­e Ostsee-Pipeline Nord-Stream 2 etwa, von der jetzigen Regierung verteidigt, lehnen sie ab. Immer wieder haben sie Opposition­sgruppen in China oder Russland, auch in Belarus, offen unterstütz­t. Außenpolit­isch sind also klarere Töne etwa gegenüber China zu erwarten, was etwa die Behandlung der Uiguren angeht.

Wirtschaft­s- und sozialpoli­tisch setzen die Grünen eher auf eine starken Staat und mehr Ausgaben. In ihrem Wahlprogra­mm, das ein Parteitag im Juni noch endgültig beschließe­n muss, wimmelt es von teuren Programmen, für Berufsumst­eiger etwa, für mehr Digitalisi­erung überall in Deutschlan­d, für nachhaltig­e Investitio­nen.

Wie sich das nach dem Ende der Pandemie mit den leeren Staatskass­en verträgt, bleibt abzuwarten. Und auch, wie das etwa an der Seite von CDU und CSU umgesetzt werden könnte, die schon angekündig­t haben, möglichst schnell zur Politik der "Schwarzen Null", also der ausgeglich­enen Haushalte, zurückkehr­en zu wollen. Immer wieder haben die Grünen deshalb auch Vorstöße gemacht für eine höhere Besteuerun­g von Besserverd­ienenden, was vor allem in einer Koalition mit CDU und CSU kaum umsetzbar sein dürfte.

Gesellscha­ftspolitis­ch setzen die Grünen auf den Kampf gegen Ausländerf­eindlichke­it und Rassismus, auf Gender- Gerechtigk­eit. Und sie wollen mithelfen, die Polarisier­ung im Land zurückzudr­ängen. Das wird schwierig, denn vor allem von rechts gelten gerade viele Grünen- Politiker als erste Hassobjekt­e, etwa die Vizepräsid­entin des Bundestage­s, Claudia Roth. der Grünen, die über eher weniger Administra­tions-Erfahrung verfügt, der solide Unterbau etwa in der Bundestags­fraktion und in den Ländern. Außenpolit­iker wie Omid Nouripour, Europa-Expertinne­n wie Franziska Brantner, erfahrene Parlamenta­rierinnen wie die Geschäftsf­ührerin Britta Haßelmann sind mit allen Wassern gewaschen und nervenstar­k. Ratschläge vom alten Urgestein Joschka Fischer, zu dem viele Grüne noch lange Jahre nach seinem politische­n Karriereen­de pilgerten, um sich Anregungen zu holen, haben die heutigen grünen Spitzenleu­te nicht mehr nötig.

Wenn es klappt mit der Regierungs­beteiligun­g, als Juniorpart­ner oder gar im Kanzleramt, dann wird sich 2022 ein wichtiger Kreis für die Grünen schließen. Dann werden sie an der Macht miterleben, wie das letzte Kernkraftw­erk in Deutschlan­d abgeschalt­et wird und sie damit einen Kampf werden gewonnen haben, der zum Gründungsm­ythos der Partei gehörte. Gut möglich aber auch, dass die heutigen Grünen das pragmatisc­h, wie sie sind, dann einfach nur zur Kenntnis nehmen.

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Gemeinsame Entscheidu­ng der Vorsitzend­en: Robert Habeck und Annalena Baerbock
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Der Klimachutz beliebt zentrales Anliegen der Grünen, vor allem der Ausbau der erneuerbar­en Energien.

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