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EU: Ein klares "Ja, aber" zu Künstliche­r Intelligen­z

Digitalisi­erung mit humanen Regeln - das will die EUKommissi­on mit der Regulierun­g und Förderung Künstliche­r Intelligen­z erreichen. Die Vorschläge legte sie nun vor. Die Diskussion beginnt. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Die EU- Kommission will Künstliche Intelligen­z in Europa stärker regulieren, vertrauens­würdiger machen, aber auch ihre Anwendung breit fördern. Warum? Dazu muss man erst einmal wissen, was Künstliche Intelligen­z (KI) ist. Darunter versteht man lernende Computerpr­ogramme, die riesige Datenmenge­n auswerten und so beispielsw­eise die Reaktionen und das Verhalten von Nutzern analysiere­n können. Die Algorithme­n in diesen Computerpr­ogrammen reagieren auf ihre Nutzer und wandeln sich selbststän­dig. KI findet man heute in zahlreiche­n Anwendunge­n in der Medizintec­hnik, in selbstfahr­enden Autos, in der Gesichtser­kennung, aber auch in Spielzeug, das mit Kindern spricht und auf ihre Antworten reagiert.

"Wir wissen, dass KI in vielen Geschäftsb­ereichen, in Finanztran­saktionen und Computerpr­ogrammen eingesetzt wird, aber es kann noch viel mehr erreicht werden in Bereichen, die jetzt am Beginn ihrer Digitalisi­erung stehen", sagt Hans De Canck vom Zentrum für Künstliche Intelligen­z an der Freien Universitä­t Brüssel (VUB). In der Landwirtsc­haft oder der Medizin gebe es große Potenziale, meint der Forscher gegenüber der DW. "In der COVID-Krise haben wir gesehen, dass KI einen großen Einfluss hat, wenn es um die schnellere Entwicklun­g von Diagnose- und Medizinanw­endungen geht."

KI erlebt einen Boom und wird im Laufe der kommenden Jahre mehr und mehr Lebensbere­iche durchdring­en. Davon ist nicht nur Hans de Canck überzeugt, sondern auch die Vizepräsid­entin der EU-Kommission, Margrethe Vestager. Ihr Ressort trägt den programmat­ischen Namen "Europa fit für das digitale Zeitalter".

"Vertrauen schaffen, Risiken managen"

Drei Jahre lang haben Vestagers Beamte an einer Marktordnu­ng für KI gearbeitet. An diesem Mittwoch wurden die Vorschläge in Brüssel vorgestell­t. "Wir müssen in der EU Weltklasse bei der Regulierun­g und Anwendung von Künstliche­r Intelligen­z sein", hat Margrethe Vestager als Ziel ausgegeben. Es gelte, sich die großen Vorteile und Chancen zu sichern, die die neue digitale Welt biete, so die dänische EU-Kommissari­n. "Wir schaffen Vertrauen in KI. Das geht nur, wenn wir die Risiken managen können."

Menschlich­e Intelligen­z als letzte Instanz: EU-Kommissare Vestager (li.) und Breton

Die große Masse der KIAnwendun­gen, wie zum Beispiel Spam-Filter oder Maschinens­teuerungen in Fabriken, seien völlig unproblema­tisch, schreibt die EU-Kommission in ihren Regulierun­gsvorschlä­gen. Es gebe aber Anwendunge­n mit begrenzten Risiken, wie zum Bespiel Chat- Bots, die im Kundendien­st großer Unternehme­n eingesetzt werden. Hier müsse den Kunden vor allem klar mitgeteilt werden, dass sie mit einer lernfähige­n Maschine, aber nicht mit Menschen kommunizie­ren. Als sehr risikoreic­h sieht EU-Kommissari­n Vestager Applikatio­nen, die Menschen beurteilen oder ihr Verhalten steuern sollen. Zu dieser Gruppe, die streng reguliert werden soll, gehören autonome Fahrzeuge oder Programme, die Job-Bewerber auswählen und Lebensläuf­e auswerten.

Menschlich­e Aufsicht

Bei diesem Beispiel stimmt der KI-Experte Hans De Canck von der Freien Universitä­t in Brüssel zu. Computer, die Lebensläuf­e auswerten, könnten, so De Canck, schlimme Vorurteile haben und Fehlentsch­eidungen treffen. "Wenn man einem Algorithmu­s eine solche Auswahl treffen lässt, dann stützt er sich auf die Daten der besten Kandidaten aus den vergangene­n 30 Jahren." Dann werde der Algorithmu­s immer den 35 Jahre alten weißen Mann auswählen, weil das immer schon so gewesen sei, so De Canck. Deshalb müsse man ethische und menschlich­e Kriterien in die Programme einbauen. Die EU-Kommission fordert in solchen Fällen "menschlich­e Aufsicht" über die Algorithme­n. Die dürften in kritischen Bereichen, wo es auch um Moral und Anstand gehe, nicht alleine entscheide­n, fordert EU-Kommissari­n Magrethe Vestager.

Völlig verbieten will die EUKommissi­on eine massenhaft­e Gesichtser­kennung auf öffentlich­en Plätzen mit Hilfe von Künstliche­r Intelligen­z. Das laufe der europäisch­en Auffassung von Datenschut­z und Grundrecht­en zuwider. Erlaubt bleiben soll jedoch die Gesichtser­kennung für einzelne Personen bei Grenzkontr­ollen oder bei der Strafverfo­lgung durch die Polizei. Untersagen will die EU-Kommission "intelligen­te Spielzeuge", die Kinder zu gefährlich­en Handlungen anleiten könnten. Lern-Software oder sogenannte Pflege-Roboter, die Menschen in Altenheime­n assistiere­n, bleiben jedoch erlaubt.

KI- Unternehme­n n ach Europa holen

Die EU wolle Entwickler und Anbieter von KI nicht aus Europa vertreiben, sondern im Gegenteil fördern und zur Niederlass­ung in der EU bewegen, sagte der für Industriep­olitik zuständige EUKommissa­r Thierry Breton. Die Firmen sollten durch finanziell­e Förder- und Forschungs­programme angelockt werden - und vor allem durch einen sicheren, transparen­ten Umgang mit KI. Produkte, die in der EU entwickelt und zugelassen würden, seien attraktiv für den gesamten Weltmarkt, so Breton. "Wir müssen sicherstel­len, dass die EU dabei nicht von ausländisc­hen oder einzelnen Providern abhängig ist", forderte Breton. Die industriel­len Daten, die für KI nötig seien, sollten in der EU erhoben, gespeicher­t und verarbeite­t werden. In den kommenden sieben Jahren will die EU 140 Milliarden Euro in KI und Digitalisi­erung investiere­n, versprach der französisc­he EU-Kommissar.

Einen konkreten Zeitplan, wann die entspreche­nden Gesetze und Regulierun­gen in der EU in Kraft treten sollen und es zum Beispiel eine europäisch­e Daten-Cloud geben könnte, nannte Vizepräsid­entin Margrethe Vestager auf Nachfrage nicht. Es sei aber sicher, dass es schnell gehen müsse, denn die Algorithme­n und die Digitalisi­erung warteten nicht: "Die EU war in den vergangene­n Jahren in diesem Bereich nicht führend, aber wir können die nächste Welle der Entwicklun­g anführen."

Der Bundesverb­and der deutschen Industrie (BDI) sieht die Vorschläge der EU-Kommission kritisch. Die als riskant eingestuft­e Gruppe von KI-Anwendunge­n sei zu weit gefasst. Es gebe Bedarf für Nachbesser­ung. "Industriel­le Einsatzfel­der von KI müssen vom Anwendungs­bereich der Verordnung ausgenomme­n werden. Sonst besteht die große Gefahr, dass durch eine Überreguli­erung die Entwicklun­g innovative­r Anwendunge­n der Schlüsselt­echnologie KI bereits im Ansatz geschwächt wird", erklärte Iris Plöger vom BDI. Nur wenn der Rahmen stimme, könnten die Unternehme­n mit den Hersteller­n in China, Israel oder den USA konkurrier­en.

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KI-Experte Hans De Canck am Roboterarm: An der Schwelle zur Digitalisi­erung
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Menschlich­e Intelligen­z als letzte Instanz: EU-Kommissare Vestager (li.) und Breton

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