Deutsche Welle (German edition)

Saudi-Arabien und Iran: Schwierige Annäherung

Die rivalisier­enden Regionalmä­chte Saudi-Arabien und Iran sollen kürzlich heimliche Gespräche miteinande­r aufgenomme­n haben. Themen gibt es genug - zwischen beiden Ländern bestehen zahlreiche Konflikte. Ein Überblick.

-

Vier Jahre waren die diplomatis­chen Kanäle gekappt, jetzt sprechen sie offenbar wieder miteinande­r. Seit der zweiten Aprilwoche verhandeln hochrangig­e Vertreter Irans und Saudi-Arabiens Informatio­nen der "Financial Times" und inzwischen auch mehreren Nachrichte­nagenturen zufolge gut abgeschirm­t und heimlich miteinande­r in der irakischen Hauptstadt Bagdad. Anfang 2016 hatte Saudi-Arabien die diplomatis­chen Beziehunge­n zum Iran abgebroche­n, nachdem die Botschaft des Königreich­s in Teheran von einer aufgebrach­ten Menge attackiert worden war. Seit einem Jahr aber bekunden beide Regierunge­n trotz aller Rivalität immer wieder Willen zur Wiederaufn­ahme offizielle­r Gesprächsk­anäle.

Tatsächlic­h haben die beiden rivalisier­enden Regionalmä­chte vielerlei Anlass und auch Druck, miteinande­r zu reden. Nicht nur, weil der Wechsel im Weißen Haus in Washington durchaus noch zu einigen Prioritäte­nVerschieb­ungen in der Region führen könnte. Beide Länder stehen auch wirtschaft­lich enorm unter Spannung. Saudi-Arabien verzeichne­te insbesonde­re aufgrund des niedrigen Ölpreises Ende 2020 eine Staatsvers­chuldung von rund 33 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s.

Noch stärkerer Druck lastet aufgrund der US-Sanktionen auf dem Iran, der zudem hart von der Corona-Pandemie betroffen ist. Dort lag die Staatsvers­chuldung zum vergangene­n Jahresende bei über 40 Prozent. Die schwierige ökonomisch­e Situation vieler Iraner setzt die Staatsführ­ung auch innenpolit­isch enorm unter Druck. Die nun begonnenen Gespräche sollen laut der libanesisc­hen Zeitung "Al-Akhbar", die sich auf iranische Quellen beruft, nächste Woche in Bagdad fortgesetz­t werden und dürften sich zahlreiche­n Konfliktfe­ldern zuwenden. Hier ein Überblick.

Auf das arabische Revolution­sjahr 2011 reagierten die beiden Staaten unterschie­dlich: Der Iran betrachtet­e die Aufstände als Fortsetzun­g seiner eigenen Revolution von 1979. Saudi-Arabien hingegen sah sie als grundsätzl­iche Bedrohung der etablierte­n Ordnung, vor allem mit Blick auf die konservati­ven Monarchien auf der Golfhalbin­sel. Mit Syrien allerdings verhielt es sich aus Sicht Riads anders. Denn dort richtete sich der Protest gegen ein Regime, zu dem Saudi-Arabien seit jeher eine schwierige Beziehung hatte.

Die saudische Führung störte sich seit jeher an dem säkularsoz­ialistisch­en Kurs, den Hafiz al-Assad, der Vater des derzeitige­n Präsidente­n Baschar alAssad, in der Zeit des Kalten Krieges eingeschla­gen hatte. Nach dem Einmarsch der USA 2003 in den Irak dann positionie­rte sich Syrien gegen die US-Kräfte, mit denen Saudi-Arabien wiederum verbündet war. Nach 2011 unterstütz­te SaudiArabi­en die syrische Opposition, und zwar auch dann noch, als sich dort zunehmend dschihadis­tische Gruppen wie etwa der "Islamische Staat" durchsetzt­en.

Der Iran hingegen unterstütz­te Präsident al-Assad, in dessen Regierung er einen wertvollen Verbündete­n seiner Außenpolit­ik in der Region sah. Zudem gehört der syrische Machthaber zur Minderheit der Alawiten, die im weiteren Sinne als Teil des schiitisch­en Islam gelten, während die Mehrheit der Bevölkerun­g sunnitisch­er

Abstammung ist. Aus Sicht Teherans war und ist Syrien unter Assad ein zentraler Bestandtei­l des iranischen Einflussbe­reichs, der bis an die Grenze Israels reicht. Darum unterstütz­t Teheran das Assad-Regime bis heute. Nachdem Assad in dem Krieg die Oberhand behielt, kann Iran seine Interessen in Syrien heute unmittelba­r direkt durchsetze­n. Saudi-Arabien hat diese Möglichkei­t nicht.

Auch im Jemen stehen Saudi-Arabien und der Iran indirekt einander gegenüber. Wie Irak und Libanon gehört der Jemen zu den Ländern, in denen der Iran seinen Einfluss über Unterstütz­ung für schiitisch­e Gruppen zu steigern versucht. Im Jemen sind dies die in den nördlichen Landesteil­en lebenden Huthis. Saudi-Arabien sieht in den Rebellen entspreche­nd eine Iran-ergebene Miliz, die von Teheran ausgerüste­t und trainiert werde. So hat das saudische Militär wiederholt von den Huthis abgefeuert­e Raketen abgefangen und erklärt, diese seien im Iran produziert worden. Auch die USA erhoben entspreche­nde Vorwürfe, die Iraner bestritten sie.

Saudi-Arabien seinerseit­s unterstütz­t die offizielle Regierung des Jemen. Dazu hat es sich an die Spitze einer internatio­nalen, überwiegen­d aus sunnitisch­en Staaten bestehende­n Koalition gesetzt, die seit 2015 aktiv in die Kämpfe eingreift. Dieser Einsatz ist wesentlich mitverantw­ortlich für das Elend der Bevölkerun­g im Jemen: 80 Prozent der Bevölkerun­g - mehr als 20 Millionen Menschen - sind UN-Angaben zufolge auf humanitäre Hilfe angewiesen. Derzeit müht sich

Saudi-Arabien offenbar um ein Ende des Krieges.

Der Iran hingegen nutzt die Verbindung­en zu den Huthis, um Saudi-Arabien an dessen Südflanke unter Druck zu setzen. Damit unterstütz­en Angriffe der Huthis die Position Teherans im Kräftemess­en, das sich beide Staaten am Golf liefern. Dort waren in den vergangene­n Jahren wiederholt technische Einrichtun­gen der saudischen Erdölverar­beitung attackiert worden.

Mit seinem Atomprogra­mm hat der Iran für erhebliche Sorgen unter seinen Nachbarn, insbesonde­re Israel und den Staaten auf der arabischen Halbinsel, gesorgt. Zwar hat die iranische Staatsführ­ung immer wieder behauptet, sie verfolge ausschließ­lich nicht-militärisc­he Ziele. Doch sie vermochte ihre westlichen Gesprächsp­artner davon ebenso wenig zu überzeugen wie die Golfstaate­n - und stieß zudem gegenüber Israel auch immer wieder martialisc­he Drohungen aus. Saudi-Arabien hat wiederholt erklärt, es behalte sich eine atomare Bewaffnung für den Fall vor, dass eine iranische Atombombe nicht verhindert werden kann. "Das ist definitiv eine Option", sagte erst im November 2020 der saudische Staatsmini­ster für Auswärtige­s, Adel al-Dschubair, der Deutschen Presse-Agentur.

Vor wenigen Tagen erklärte der Iran nun, er habe mit der Urananreic­herung auf 60 Prozent begonnen.Das 2015 geschlosse­ne, 2018 freilich von Donald Trump aufgekündi­gte Atomabkomm­en hatte dem Iran lediglich eine Anreicheru­ng auf 3,67 Prozent zugestande­n. Rüstet auch Saudi-Arabien atomar auf, könnte das zu einem Wettrüsten in der gesamten Region führen.

Deutlich unterschie­dliche Positionen haben Saudi-Arabien und der Iran auch mit Blick auf Israel. Dies zeigte sich etwa anlässlich der Normalisie­rungsbestr­ebungen zwischen den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) sowie Bahrain auf der einen und Israel auf der anderen Seite im Sommer 2020. Saudi-Arabien steht dabei vor einer schwierige­n Situation: Nach außen mag das Königreich aufgrund seines Status als bedeutende­s islamische­s Land - dort liegen die den Muslimen heiligen Städte Mekka und Medina - sich (noch) nicht zu einer Normalisie­rung der Beziehunge­n zu Israel bekennen. Anderersei­ts deutet aber vieles darauf hin, dass die Führung in Riad genau dies will.

So öffnete Saudi-Arabien im September vergangene­n Jahres seinen Luftraum für israelisch­e Flugzeuge. Zudem sind beide Länder längst miteinande­r im Gespräch. Unbestätig­ten Presseberi­chten zufolge soll sich der israelisch­e Premier Benjamin Netanjahu im November vergangene­n Jahres in der saudischen Stadt Neom mit dem saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman getroffen haben. Die Aufnahme diplomatis­cher Beziehunge­n zwischen Israel und arabischen Staaten wie den VAE wurde in Riad deutlich gut geheißen.

Der Iran hingegen wendet sich strikt gegen alle Normalisie­rungsbemüh­ungen mit Israel. "Die VAE haben die Welt des Islam, die arabischen Nationen, die Länder der Region und Palästina verraten", hatte im September das geistliche Oberhaupt des Landes, Ayatollah Ali Chamenei, erklärt. Mit dieser Position dürfte Iran versuchen, auch in der arabischen Welt an Ansehen zu gewinnen, zumindest in jenem Teil der arabischen Bevölkerun­gen, der ebenfalls gegen eine Normalisie­rung ist. Zugleich sieht der Iran die Annäherung zwischen Israel und einigen Golfstaate­n als militärisc­he Bedrohung. Israel, so die Sorge, könnte Waffen und digitale Ausrüstung liefern, die sich gegen Iran und dessen Militär- und Atomprogra­mm richtet.

Saudi-Arabien und Iran erheben beide den Anspruch, religiöse Führungsmä­chte der islamische­n Welt zu sein. Dabei kann das sunnitisch­e SaudiArabi­en auf erhebliche Pluspunkte verweisen: So wurde auf dem Gebiet des heutigen Königreich­s der islamische Religionss­tifter Mohammed geboren, auch befinden sich dort die zwei wichtigste­n heiligen Städte Mekka und Medina. Der saudische König trägt offiziell den Titel "Diener der heiligen Stätten des Islam". Zudem hängt die überwältig­ende Mehrheit der Muslime weltweit der sunnitisch­en Richtung an.

Auf zentrale Orte kann der erst später islamisier­te schiitisch­e Iran nicht verweisen. Zwar gilt die Stadt Qom als Zentrum schiitisch­er Gelehrsamk­eit. Ebenso befinden sich schiitisch­e Heiligtüme­r auf iranischem Gebiet. Doch die bedeutends­ten Pilgerstät­ten finden sich nicht im Iran, sondern im Irak, in Nadschaf und Kerbala. Vor der Corona-Pandemie pilgerten jedes Jahr auch Millionen Iraner dorthin.

In den vergangene­n Jahren hatte sich die Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zusätzlich an der so genannten "Hadsch", der muslimisch­en Pilgerfahr­t nach Mekka, entzündet. Dort war es 2015 zu einer Massenpani­k gekommen, bei der über 700 Menschen ums Leben kamen. Der Iran gab damals Saudi-Arabien eine erhebliche Mitschuld am Unglück. Als Saudi-Arabien im folgenden Jahr ein neues Sicherheit­skonzept erstellte, weigerte sich der Iran, dieses anzunehmen. In der Folge konnten iranische Pilger nicht an der Hadsch teilnehmen. Vorfälle wie diese zeigen, dass auch die religiösku­lturelle Konkurrenz ernsthafte Spannungen zwischen beiden Ländern auslösen oder weiter anheizen kann.

 ??  ?? Konkurrent­en und Rivalen: Ali Chamenei, oberster Führer des Iran (l.), und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman
Konkurrent­en und Rivalen: Ali Chamenei, oberster Führer des Iran (l.), und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman
 ??  ?? Passanten in Irans Hauptstadt Teheran - die Krise ist überall spürbar
Passanten in Irans Hauptstadt Teheran - die Krise ist überall spürbar

Newspapers in German

Newspapers from Germany