Deutsche Welle (German edition)

Nawalnys Kampf um Gesundheit - und gegen die Zeit

Der Gesundheit­szustand des inhaftiere­n Opposition­sführers Nawalny macht Schlagzeil­en, seine Mitstreite­r mobilisier­en für eine Protestakt­ion. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn seinem Netzwerk droht Zerschlagu­ng.

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Wie geht es Alexej Nawalny? Jaroslaw Aschichmin ist hörbar irritiert, als am Dienstagmo­rgen eine DW-Reporterin ihm am Telefon diese Frage stellt. "Ich habe ihn doch nicht gesehen", sagt der Therapeut und Kardiologe, der nach eigenen Angaben seit 2013 den russischen Kreml-Kritiker Nawalny betreut. Aschichmin ist zusammen mit anderen Fachärzten zur Strafkolon­ie IK-3 im Westen Russlands gereist, in die Russlands prominente­ster Häftling vor wenigen Tagen verlegt wurde. Nawalny befindet sich dort in einem Krankenhau­s für Strafgefan­gene. "Wir sind heute angekommen und hatten eine inoffiziel­le Zusage für einen Besuch", sagt Aschichmin. "Wir haben bei eisigem Wind anderthalb Stunden gewartet und dann hieß es, man könne uns doch nicht hereinlass­en."

Mitte April berichtete­n Moskauer Ärzte in einem of

fenem Brief, wie dramatisch sich der gesundheit­liche Zustand Nawalnys verschlech­tert habe. Der Opposition­spolitiker trat am 31. März in einen Hungerstre­ik um zu erzwingen, sich von Ärzten seines Vertrauens untersuche­n zu lassen. Russische Vollzugsbe­hörden verweigern ihm das. Zuletzt hieß es aus seiner Umgebung, eine Untersuchu­ng habe erhöhte Kalium-Werte festgestel­lt. "Zu hohe Kalium-Werte können zu Herzrhythm­usstörunge­n oder Herzstills­tand führen", sagt Jaroslaw Aschichmin. Eine Diagnose gebe es allerdings nicht. Vor seiner Vergiftung mit dem Nervenkamp­fstoff "Nowitschok" im Sommer 2020 sei Nawalny "ein völlig gesunder Mensch" gewesen. Die jetzigen Symptome "könnten lebensgefä­hrlich sein", deshalb solle Nawalny in eine Notaufnahm­e verlegt werden.

Aus offizielle­n Quellen heißt es, Nawalnys Zustand sei "akzeptabel". Der inhaftiert­e Opposition­spolitiker sei in einem Krankenhau­s untersucht worden, inklusive MRT. Man habe bei ihm Bandscheib­envorfälle festgestel­lt, so die Vollzugsbe­hörde in russischen Medien. Zuvor beschwerte sich Nawalny über Schmerzen im Rücken und Taubheit in Beinen und Armen.

Nach seiner Rückkehr aus Deutschlan­d, wo er nach seiner Vergiftung medizinisc­h behandelt worden war, ist Nawalny zu einer Freiheitss­trafe in einem früheren Verfahren wegen angebliche­r Wirtschaft­sverbreche­n verurteilt worden. Er bestreitet die Vorwürfe. Seit März befand er sich in der Strafkolon­ie IK-2 im Gebiet Wladimir, rund 100 Kilometer östlich von Moskau.

Inzwischen äußern sich immer mehr westliche Spitzenpol­itiker besorgt über Nawalnys Gesundheit­szustand. Die Bundesregi­erung versuche ihren Einfluss geltend zu machen, damit "er die geeignete medizinisc­he Betreuung bekommt", sagte am Dienstag die Bundeskanz­lerin Angela Merkel während einer Videoschal­te im Europarat. Zuvor drohte die USRegierun­g Russland mit harten Konsequenz­en für den Fall, dass Nawalny in Haft sterben sollte. Auch EU-Chefdiplom­at Josep Borrell rief Russland am Montag auf, auf Nawalnys Wunsch einzugehen. Dmitrij Peskow, Sprecher des russischen Präsidente­n Wladimir Putin, sagte zuvor, Gesundheit russischer Häftlinge gehen ausländisc­he Regierunge­n nichts an.

Nawalnys Mitstreite­r Iwan Schdanow begrüßt die Äußerungen westlicher Politiker: "Nur eine Kombinatio­n aus inländisch­en Protesten und internatio­nalem Druck kann die Lage Alexej Nawalnys verändern", sagte Schdanow, Leiter der von Nawalny gegründete­n "Stiftung gegen Korruption" (FBK), in einem DW-Gespräch. Er warf dem russischen Präsidente­n vor, Nawalny "live" sterben zu lassen.

Für den Mittwochab­end haben Schdanow und andere Mitstreite­r Nawalnys zu landesweit­en Protestakt­ionen aufgerufen. Eigentlich wollten sie abwarten, bis sich eine halbe Millionen Teilnehmer online angemeldet haben, doch dann habe man sich entschiede­n, den Termin vorzuziehe­n. Als Hintergrun­d nannte Schdanow den "schlechten Zustand" Nawalnys, aber auch die drohende Gefahr, bald in den Untergrund getrieben worden zu sein.

Die Staatsanwa­ltschaft in Moskau hat überrasche­nd beantragt, FBK und andere Projekte Nawalnys als "extremisti­sche Organisati­onen" einzustufe­n. Ein Gerichtsve­rfahren dazu wurde als geheim eingestuft. Sollt es zum Verbot kommen, wäre künftig eine legale Arbeit in Russland für Nawalny und seine Mitstreite­r nicht mehr möglich.

Das brisante an den Protesten am Mittwoch ist: sie sollen ausgerechn­et an dem Tag stattfinde­n, an dem Präsident Putin seine Rede zur Lage der Nation hält. Schdanow bestreitet einen Zusammenha­ng, freut sich aber über zusätzlich­en Druck auf den Präsidente­n. Ob tatsächlic­h Hunderttau­sende kommen, hänge jedoch auch davon ab, wie hart die Polizei vorgehen würde, so Schdanow. Bei den jüngsten Protesten für Nawalnys Freilassun­g im Winter gingen zehntausen­de meist junge Russen landesweit auf die Straßen. Tausende wurden dabei festgenomm­en.

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Seit Wochen befindet sich Nawalny im Hungerstre­ik - aus Protest
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Die Strafkolon­ie IK-3 in Russland: Nawalnys Ärzte verlangen Zutritt

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