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Belarus: Polnische Minderheit als Sündenbock?

In Belarus lebende Polen stehen zunehmend unter Druck. Führende Mitglieder der Minderheit wurden inhaftiert, polnische Bildungsei­nrichtunge­n im Land geschlosse­n. Die diplomatis­chen Spannungen mit Warschau nehmen zu.

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In Belarus geraten Einrichtun­gen der polnischen Minderheit zunehmend ins Visier von Justiz und Behörden. Schulen und andere Institutio­nen, in denen Polnisch unterricht­et wird, sollen zur Herausgabe persönlich­er Daten von Lehrern und Schülern gezwungen werden. Führende Repräsenta­nten der etwa 300.000 Menschen zählenden Minderheit wurden inhaftiert. Hintergrun­d sind wachsende Spannungen zwischen Belarus und Polen; Machthaber Alexander Lukaschenk­o beschuldig­te das Nachbarlan­d in der Vergangenh­eit mehrfach, für die Massenprot­este in Belarus verantwort­lich zu sein.

Mehrere Verhaftung­en

Fünf Vertreter des in Belarus nicht registrier­ten Bundes der Polen , darunter auch dessen Vorsitzend­e Andżelika Borys, befinden sich seit Wochen in Haft. Ihnen wird unter anderem die Teilnahme an unerlaubte­n Massenvera­nstaltunge­n und das "Schüren nationaler und religiöser Zwietracht" vorgeworfe­n. Die Anschuldig­ungen beinhalten sogar den "Versuch der Rehabilita­tion des Nationalso­zialismus". Ihnen drohen fünf bis zwölf Jahre Gefängnis.

In einer Erklärung der belarussis­chen Generalsta­atsanwalts­chaft heißt es, die Inhaftiert­en hätten seit 2018 in Grodno und Umgebung "eine Reihe illegaler Massenvera­nstaltunge­n abgehalten, um Teilnehmer antisowjet­ischer Banden zu ehren". Diese hätten im Zweiten Weltkrieg und danach, Raubüberfä­lle und Morde an der Zivilbevöl­kerung begangen sowie Eigentum zerstört.

Hintergrun­d ist eine inoffiziel­le Gedenkvera­nstaltung, die die "Polnische Schule" in Brest zu Ehren des polnischen antikommun­istischen Untergrund­s nach Ende des Zweiten Weltkriege­s veranstalt­et hatte. An dieser Veranstalt­ung hatte auch der polnische Generalkon­sul Jerzy Timofeyuk teilgenomm­en. Er wurde daraufhin des Landes verwiesen. Die Staatsanwa­ltschaft eröffnete gegen die Direktorin der Schule ein Strafverfa­hren wegen der "Verherrlic­hung von Kriegsverb­rechern". Sie ist seit über einem Monat in Haft. In dieser Woche beschloss das Wirtschaft­sgericht der Region Brest, die "Polnische Schule" ganz zu schließen.

Polen: Lukaschenk­os Feindbild

Belarussis­che Menschenre­chtler halten das Vorgehen gegen polnische Bildungsei­nrichtunge­n und Vertreter der polnischen Minderheit für politisch motiviert und sprechen von politische­n Gefangenen.

"Diese Maßnahmen der Behörden finden vor dem Hintergrun­d einer antipolnis­chen Propaganda im staatliche­n Fernsehen statt, in der Polen als Aggressor- Staat dargestell­t wird, der angeblich territoria­le Ansprüche gegen Belarus hegt", heißt es in einer Mitteilung des belarussis­chen Menschenre­chtszentru­ms "Viasna". Auch Andżelika Borys und der ebenfalls polnischst­ämmige Journalist Andrzej Pisalnik hatten dies kurz vor ihren Verhaftung­en in verschiede­nen Interviews kritisiert.

Pisalniks Festnahme war vom Leiter der Delegation des Europäisch­en Parlaments für Belarus, Robert Biedroń, scharf verurteilt worden. In seiner Erklärung führte er aus, Pisalnik und seine Frau seien vor einem Treffen mit Vertretern der Delegation verhört worden. Der Europaabge­ordnete spricht von einem empörenden Versuch, Pisalnik daran zu hindern, Vertretern von EU-Institutio­nen über "das Ausmaß der Repression­en gegen die polnische Minderheit in Belarus" zu berichten. Inzwischen wurde Pisalnik wieder auf freien Fuß gesetzt.

Zunehmende Spannungen mit Polen

In Warschau werden die Ereignisse im Nachbarlan­d aufmerksam und mit wachsender Sorge verfolgt. Präsident Duda und Premiermin­ister Morawiecki versichert­en, ihre Landsleute in Belarus "nicht im Stich zu lassen". Morawiecki kritisiert­e Belarus scharf; sein Land werde es nicht hinnehmen, dass

Polen "als Geiseln genommen" würden.

Auf Anfrage der DW erklärte das polnische Außenminis­terium, die belarussis­chen Behörden hätten mit ihren Repression­en gegen Mitglieder der polnischen Minderheit bilaterale Verpflicht­ungen und internatio­nale Standards verletzt. "Die Konsuln der Republik Polen in Belarus stehen in ständigem Kontakt mit den Familien der Inhaftiert­en, denen sie ihre Unterstütz­ung zugesagt haben", heißt es aus Warschau.

Man habe von Anfang an alle zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergriffen, um die Rechte der polnischen Minderheit zu sichern. Warschau schließt erweiterte und verschärft­e Sanktionen gegen Belarus nicht aus. Zudem hätten polnische Regierungs­vertreter mit Kollegen auf internatio­naler Ebene über die Lage der Polen in Belarus beraten. Auch die Europäisch­e Kommission hat Minsk mittlerwei­le dazu aufgerufen, die in Belarus inhaftiert­en Polen wieder freizulass­en.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschu­k

 ??  ?? Junge Polinnen und Polen demonstrie­ren vor der belarussis­chen Botschaft in Warschau gegen Machthaber Lukaschenk­o
Junge Polinnen und Polen demonstrie­ren vor der belarussis­chen Botschaft in Warschau gegen Machthaber Lukaschenk­o
 ??  ?? Solidaritä­tsproteste mit Belarus im polnischen Krakau im August 2020
Solidaritä­tsproteste mit Belarus im polnischen Krakau im August 2020

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