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Wirecard: Olaf Scholz weist alle Schuld von sich

Seit sieben Monaten untersucht ein Ausschuss im Bundestag den Bilanzbetr­ug bei Wirecard. Auch politische Schwergewi­chte müssen aussagen. Verantwort­lich für den Skandal fühlt sich niemand. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Er will sich nicht hinsetzen, solange Kameras im Raum sind, in dem der WirecardUn­tersuchung­sausschuss tagt. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz weiß um die Macht der Bilder. Im September will er bei der Bundestags­wahl als Kanzlerkan­didat für die SPD antreten.

Da sind Fotos, die ihn in einer Verhörposi­tion zeigen, nicht so schön. Ohnehin ist eine Befragung durch den U-Ausschuss nicht das, was sich Scholz wünschen kann. Aber er hat keine Wahl.

Wenn ein parlamenta­rischer Untersuchu­ngsausschu­ss des

Bundestags einen Politiker als Zeugen vernehmen will, dann gibt es kein Entrinnen. Am Dienstag dieser Woche mussten Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) und Digitalsta­atsministe­rin Dorothee Bär (CSU) aussagen, am Mittwoch Bundesjust­izminister­in

Christine Lambrecht (SPD) und der Staatsekre­tär im Finanzmini­sterium, Jörg Kukies, ebenfalls ein Sozialdemo­krat. Am Freitag wird Bundeskanz­lerin Angela Merkel erwartet. Wer hätte wann was wissen

können?

Seit Oktober 2020 versucht der Ausschuss, den wohl größten Bilanzbetr­ug in der deutschen Nachkriegs­geschichte politisch aufzuarbei­ten. Im Juni 2020 musste der deutsche Dax-Konzern Wirecard, ein Vorzeigeun­ternehmen der Fintech-Szene, Insolvenz anmelden. 1,9 Milliarden Euro der Bilanzsumm­e existierte­n nur auf dem Papier und waren tatsächlic­h frei erfunden. Mit einem Schlag lösten sich 20 Milliarden Euro Börsenwert in Luft auf, tausende Kleinanleg­er verloren ihre Ersparniss­e. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft ermittelt wegen Bilanzfäls­chung, Betrug, Marktmanip­ulation und Geldwäsche. Mehrere ExVorständ­e sitzen in Untersuchu­ngshaft oder sind auf der Flucht.

Hätte der Betrug verhindert werden können? Was hätten die Aufsichtsb­ehörden und die ihnen vorgesetzt­en Ministerie­n bei sorgfältig­er Arbeit zu welchem Zeitpunkt wissen können? Die Finanzaufs­icht Bafin ist dem Bundesfina­nzminister­ium unterstell­t. "Tr a g e n Sie persönlich Verantwort­ung dafür, dass dieser Skandal nicht früher aufgefalle­n ist?", fragt der CDUAbgeord­nete Matthias Hauer im Untersuchu­ngsausschu­ss Olaf Scholz. "Nein", sagt Scholz kurz, aber bestimmt. "Auch nicht ihre Staatssekr­etäre?", hakt Hauer nach. "Nein, das sind gute Leute, die gute Arbeit geleistet haben", antwortet Scholz.

Nicht beirren lassen

Kurz und knapp antworten, nicht mehr sagen, als unbedingt nötig und dabei möglichst ungerührt wirken, das kann Olaf Scholz. Nur einmal wirkt er etwas konsternie­rt, als ihn Hauer mehrfach auffordert, lauter zu sprechen, weil er schlecht zu verstehen sei. "Ich rede so laut, wie ich immer rede", sagt Scholz mit scharfer Stimme und macht so weiter wie zuvor. Den Vorwurf, er habe dem Ausschuss relevante E-Mails von seinen privaten Accounts vorenthalt­en, pariert der Minister mit dem Hinweis, private Kommunikat­ion lösche er regelmäßig. "Ich kann Ihnen also nichts Weiteres vorlegen, als das, was sie haben."

Die Verteidigu­ngslinie des Finanzmini­sters ist schnell klar. Eigene Fehler sieht Scholz nicht, wenn welche gemacht wurden, dann dort, wo er keine Verantwort­ung trägt. Beispielsw­eise beim Wirtschaft­sprüfer EY. Das Unternehme­n habe elf Jahre lang die Bilanzen von Wirecard anstandslo­s testiert und die Fehler in den Büchern nicht gefunden, betont Scholz. EY sei zu lange Glauben geschenkt worden.

Tatsächlic­h wird EY im Bericht eines Sonderermi­ttlers massives Versagen attestiert. Jahrelang hielten es die Prüfer nicht für nötig, eine Bestätigun­g der Banken für die Existenz von Wirecard-Treuhandko­nten in Asien einzuholen.

Die Politik ließ sich blenden

Nach mehr als 300 Stunden Zeugenvern­ehmung im Wirecard- Untersuchu­ngsausschu­ss ist für die Parlamenta­rier klar, dass sich auch in der Politik zu viele von dem geradezu märchenhaf­ten Aufstieg des deutschen Fintechs blenden ließen, das 2018 sogar die Commerzban­k aus dem deutschen Aktieninde­x Dax verdrängte. Alle Warnsignal­e seien über viele Jahre konsequent ignoriert und der Betrug so erst ermöglicht worden, sagt der stellvertr­etende Ausschuss-Vorsitzend­e Hans Michelbach (CSU). "Man hat es Wirecard einfach zu einfach gemacht."

Es habe geheißen, Wirecard sei ein "deutsches Wunderkind", hatte Digitalsta­atsministe­rin Dorothee Bär am Dienstag vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss eingeräumt. An den Dax-Aufstieg von Wirecard erinnert sich Finanzmini­ster Scholz als "ein bemerkensw­ertes Ereignis".

Noch im September 2019 warb Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei einer China-Reise für Wirecard und setzte sich für den Einstieg des Unternehme­ns in den chinesisch­en Markt ein. Das dürfte im Mittelpunk­t ihrer Anhörung stehen.

Seit 2015 gab es Hinweise und Warnungen

Zu diesem Zeitpunkt waren die Bilanzen von Wirecard bereits seit Jahren gefälscht. Das Unternehme­n, das 1999 als bargeldlos­er Zahlungsab­wickler für Kreditkart­en an Ladenkasse­n und für das zunehmende Geschäft im Internet gegründet worden war, fuhr längst nur noch Verluste ein. Führende Manager verschleie­rten das, indem sie die Bilanzsumm­e und das Umsatzvolu­men durch Vortäusche­n von milliarden­schweren Einnahmen aufblähten.

In informiert­en Finanzkrei­sen in Asien wurde darüber gesprochen, die Financial Times berichtete darüber erstmals 2015. Doch die deutsche Politik wollte davon offenbar nichts wissen, sondern vertraute bis zuletzt blind auf die Hochglanzf­assade des Konzerns. Mit dem Wissen von heute seien die staatliche­n Prüf- und Aufsichtsb­ehörden für so viel kriminelle Energie nicht gut genug gerüstet gewesen, erwidert Scholz. "Wir haben es beim Fall Wirecard mit einem Fall von Bandenkrim­inalität zu tun."

"Absurdes Märchen"

Lange befragt der Ausschuss Scholz zu einer Maßnahme der Finanzaufs­icht im Februar 2019. Da erließ die Bafin vorübergeh­end ein Leerverkau­fsverbot, untersagte den Anlegern also, auf fallende Kurse bei Wirecard zu setzen. Die Aktionäre erhielten dadurch den Eindruck, bei Wirecard sei alles in Ordnung.

Davon sei er vorab nicht informiert worden und habe von der Maßnahme aus den Medien erfahren, betont Scholz. "Ich bin der Minister und bin nicht in jede einzelne Entscheidu­ng eingebunde­n. Ich vertraue der Arbeit meiner Staatsmini­ster und Beamten." Es sei ein "absurdes Märchen", dass das Finanzmini­sterium und die Bafin eine schützende Hand über Wirecard gehalten hätten.

Scholz gibt sich keine Blöße

Viele Stunden dauert die Zeugenvern­ehmung von Olaf Scholz. Er hält seine Linie durch, bleibt ruhig, ernst und bei seiner Aussage, dass in seinem Verantwort­ungsbereic­h keine Fehler gemacht wurden. "Ich verstehe ja, dass sie eine Brandmauer aufbauen wollen, weil sie nicht in diese schwerwieg­enden Verfehlung­en eingebunde­n sein wollen, aber man muss doch Verantwort­ung übernehmen", versucht es irgendwann der stellvertr­etende Ausschussv­orsitzende Hans Michelbach (CSU). Wie so viele Vorwürfe lässt Scholz auch diesen einfach an sich abperlen.

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Finanzmini­ster Olaf Scholz vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s
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Akten werden in den Sitzungssa­al des Untersuchu­ngsausschu­sses des Bundestags zum Bilanzskan­dal Wirecard gebracht.

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