Deutsche Welle (German edition)
Harriet Tubman oder: Dollarnoten als Geschichtsbuch
Um die Neugestaltung der 20-Dollar-Note schwelt in den USA ein jahrelanger politischer Streit. Jetzt will Präsident Joe Biden die Afroamerikanerin und Sklavenbefreierin Harriet Tubman auf den Geldschein bringen.
Ernestine Wyatt ist die Erleichterung deutlich anzumerken. Ihre Augen strahlen. Die 66Jährige ist sich sicher: "Wir sind auf der Zielgeraden. Tante Harriet kommt auf den neuen Zwanziger, das ist jetzt eine beschlossene Sache." Jahrzehntelang ist die Ur-Ur-Ur-Großnichte von Harriet Tubman nicht müde geworden, auf die Bedeutung der schwarzen Bürgerrechtlerin hinzuweisen und für die Anerkennung ihrer berühmten Ahnin zu kämpfen: "Sie ist Teil der US-amerikanischen Geschichte, besonders für die afroamerikanische Gemeinschaft. Sie hat es geschafft, Hindernisse zu überwinden."
Sklavenhalter auf Dollarnoten
In den Vereinigten Staaten ist sie eine Legende, in Europa kennen die 1822 als Sklavin geborene Freiheitskämpferin nur wenige: Tubman war Mitte des 19. Jahrhunderts Motor und Antreiberin der Underground Railroad - eines Netzwerks von Helfern, die geheime Verstecke organisierten und einander verschlüsselte Nachrichten zukommen ließen. Die Organisation half entlaufenen Sklavinnen und Sklaven, in sichere Bundesstaaten zu kommen.
Jetzt soll ihr Porträt auf der neuen 20-Dollarnote verewigt werden. Die Altherrenriege bekommt Konkurrenz, so hat es Joe Biden kürzlich entschieden. Bisher sind auf US-Banknoten vor allem Gesichter weißer Präsidenten oder Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung zu sehen. Die stehen zwar für den Aufbau und die Wirtschaftskraft der USA, aber eben auch für die Sklaverei: George Washington, Thomas Jefferson, James Monroe, Andrew Jackson, Ulysses S. Grant: 12 von 18 USPräsidenten zwischen 1789 und 1877 waren Sklavenhalter.
Patriotin und Sklavenbefreierin
"Niemand ist besser geeignet, auf der neuen 20-Dollarnote abgebildet zu werden, als eine Sklavin, die sich selbst befreite", davon ist Ernestine Wyatt überzeugt. "Harriet war eine echte US-amerikanische Patriotin, die nicht nur für sich kämpfte, sondern auch für andere und die unserem Land half, die Einheit zu bewahren."
2016 war es die ObamaAdministration, die das markante Gesicht Tubmans auf die US-Banknote bringen wollte - anstelle des umstrittenen einstigen Sklavenhalters, Indianerhassers und siebenten USPräsidenten Andrew Jackson, der seit 1928 die Vorderseite der 20-Dollarnote ziert. "Zum ersten Mal seit über 100 Jahren werden wir wieder eine Frau auf unseren Banknoten abbilden", verkündete Obamas Finanzminister Jack Lew damals. "Das war auch höchste Zeit, schließlich hat sich viel verändert. Das zeigen auch die vielen zustimmenden Reaktionen."
Pure political correctness?
Der Gedanke elektrisierte die afroamerikanische Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten. Doch die Nachfolge-Regierung machte die Pläne wieder rückgängig und ließ die millionenfach per Online-Voting bejahte Initiative wieder stoppen. Donald Trump wollte tilgen und vergessen machen, was ihm sein Vorgänger hinterließ. Als pure political correctness - reine politische Korrektheit - denunzierte er das Tubman-Projekt. Dabei habe Trump mit seinem Rückzieher auch rassistische Einstellungen von Teilen seiner Wählerschaft bedient, kritisieren die Bürgerrechtler und Mitglieder der Demokratischen Partei.
Schon als Vize- Präsident unter Obama hatte Joe Biden den Tubman- Zwanziger unterstützt. "Es ist wichtig, dass unsere Banknoten die Geschichte und Diversität unseres Landes zeigen", erklärte die Sprecherin des Weißen Hauses kurz nach Bidens Amt
seinführung im Januar: "Harriet Tubmans Gesicht auf der 20Dollarnote steht genau dafür." sich um den Nachlass ihrer Großtante, organisiert Harriet Tubman-Gedenktage und LiveStreams. Historikerinnen und Historiker sowie Museumsmitarbeitende steht sie regelmäßig Rede und Antwort. riet Tubman auf den Zwanziger zu drucken. "Die TrumpÄra hat uns zurückgeworfen, jetzt müssen wir die gespaltene US- Gesellschaft wieder zusammenbringen, um Wunden zu heilen." Auch gebe es viele, die den neuen Dollarschein kritisch sehen. "Sie finden das Porträt von Harriet Tubman auf einer Banknote unangemessen, weil es sich um ein Zahlungsmittel handelt. Damit konnte man einst auch Menschen kaufen", so Wyatt. amerikanischen Gesellschaft", erklärt er. Die abgebildeten Persönlichkeiten könnten in historischer Perspektive wie ein Geschichtsbuch gelesen werden.
Bisher war es nur zwei Frauen vorbehalten, als Motiv US-Banknoten zu zieren: Martha Washington und Pocahontas. Beide Noten werden seit über 100 Jahren nicht mehr gedruckt. Noll: "Die Welt verändert sich, zum Beispiel durch die Veränderung der Geschlechterbeziehungen oder den Feminismus. Man sollte meinen, dass auch der Dollar diese gesellschaftlichen Veränderungen widerspiegeln würde." Für Noll sind die Motive auf der Währung und damit deren kulturelle Bedeutung streitbar. Gleichzeitig sind sie ein Kommunikationsmittel: "Mit den abgebildeten Personen wird ein Zeichen gesetzt." zeugt. Tubman verhalf nicht nur Hunderten Landsleuten in die Freiheit, sie kämpfte auch im Bürgerkrieg für die Union gegen die Südstaaten. Tubman befreite Gefangene, pflegte als Krankenschwester verwundete Soldaten und kundschaftete unter Lebensgefahr Stellungen der konföderierten Feindarmee aus. Dafür erhielt sie erst im hohen Alter kurz vor ihrem Tod 1913 eine monatliche VeteranenRente von 20 US-Dollar.
Heute haben die USA eine echte Chance, ein bisher vernachlässigtes Kapitel ihrer Geschichte aufzuarbeiten - davon ist Ernestine Wyatt überzeugt. Und für dieses Narrativ stehe der neue, schöne Zwanziger mit Harriet Tubman. Wann er herauskommt, dafür wurde noch kein Datum fixiert. Viele hoffen, dass es schon nächstes Jahr soweit sein könnte. Dann jährt sich Tubmans Geburtstag zum 200. Mal.