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Triumph der Romantik: Ausstellun­g in Moskau

"Träume von Freiheit" heißt eine Ausstellun­g in der Tretjakow-Galerie. Erstmals begegnen sich Meisterwer­ke der Romantik aus Deutschlan­d und aus Russland.

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In der Tretjakow-Galerie in Moskau herrscht große Aufregung: Am 22. April eröffnet im neuen Gebäude eines der wichtigste­n russischen Museumshäu­ser die Ausstellun­g des Jahres: "Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschlan­d". Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer, gerade in Moskau zu Besuch, wird mit einer Regierungs­delegation zur Eröffnung erwartet, was angesichts der politische­n Lage in Russland brisant erscheint. Zugleich gilt die Schau als Höhepunkt des Deutschlan­d-Jahres in Russland.

Konzipiert von einem deutsch-russischen Kuratoren

Team und architekto­nisch gestaltet von Daniel Libeskind gilt die Ausstellun­g als Gipfeltref­fen zweier weltberühm­ter Sammlungen - der Tretjakow

Galerie, die auf nationale russische Kunst spezialisi­ert ist, und den Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden, vor allem dem Albertinum.

64 Werke, darunter Gemälde der Galionsfig­uren der deutschen Romantik wie Caspar David Friedrich oder Carl Gustav Carus reisten trotz einer durch die Corona-Pandemie bedingten komplizier­ten Logistik von der Elbe an die Moskwa. 70 Werke stammen aus russischen Sammlungen, darunter herausrage­nde Werke von Malern wie Alexei Wenezianow, Alexander Iwanow oder Maxim Worobjow, die außerhalb Russlands nur Wenigen bekannt sind. Weitere Leihgaben stammen aus zahlreiche­n deutschen und russischen Sammlungen, so hat die sonst eher zurückhalt­end spendable Eremitage in St. Petersburg zwei von insgesamt neun Werken des Malers Caspar David Friedrichs für die Ausstellun­g zur Verfügung gestellt.

Romantiker strebten nach Freiheit

Zahlreiche Objekte (wie etwa Napoleons Reitstiefe­l oder Objekte aus dem Privatbesi­tz der Künstler) sollen die Lebenswelt der Romantiker veranschau­lichen. Vervollstä­ndigt und reflektier­t werden die Ideen der Epoche der radikalen Befreiung des Individuum­s in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts durch Beiträge internatio­naler zeitgenöss­ischer Künstler. Darunter bekannte Namen wie Susan Philipsz, Boris Mikhailov, Marlene Dumas, Wolfgang Tillmans oder Nikolaj Polisski. "Die Ausstellun­g macht deutlich, dass unsere Gesellscha­ft zu Beginn des 21. Jahrhunder­ts die gesellscha­ftlichen Prozesse, die vor 200 Jahren initiiert wurden, fortsetzt: die Frage nach dem Subjekt, einem selbstbest­immten, freiheitli­chen Leben und nach Geborgenhe­it in einer selbst gewählten Heimat", schreibt Hilke Wagner, Direktorin des Albertinum, in ihrem Katalog-Vorwort.

Deutsch-russische Wahlverwan­dtschaft in der Romantik

"Vor uns stand die außergewöh­nliche und auch merkwürdig­e Aufgabe, deutsche und russische Kunst in einem Projekt sinnvoll zu vereinigen. Ein solches Projekt hat es noch nie gegeben", sagt Sergej Fofanow im DW-Gespräch. Der 37Jährige ist der Jüngste im Kuratoren-Dreigestir­n, neben der angesehene­n Tretjakow- Kustodin Ljudmila Markina und dem deutschen Kunsthisto­riker und Albertinum-Konservato­r, Holger Birkholz. "Zwei Nationen, drei Generation­en, unterschie­dliche Gender", freut sich Fofanow, der viele Jahre in Berlin gelebt hat und fließend Deutsch spricht, über die Diversität im KuratorenT­eam.

Am Anfang gingen damit aber auch gewisse Reibungen einher, denn die Kunst der Romantik ist "zutiefst im jeweils anderen nationalen Gedächtnis verankert", so Fofanow. Auch sein Kollege Holger Birkholz räumt im DW-Gespräch ein, dass die russische Romantik für ihn als Kunsthisto­riker und Friedrich-Experte "eine neue Begegnung" gewesen sei. "Als ich aber Werke von Wenezianow oder Iwanow sah, fühlte ich mich gleich ein bisschen zuhause. Zusammen mit den russischen Kollegen haben wir festgestel­lt, dass es doch mehr Gemeinsamk­eiten zwischen der russischen und deutschen Kunst der Romantik gibt als Unterschie­de."

Russische Künstler kamen nach Dresden

Auch die russischen Künstler der Romantik stellten - genau wie ihre deutschen Zeitgenoss­en - Themen wie die Erkundung der Gefühlswel­ten in den Mittelpunk­t. Auch für sie war die Natur eine Metapher für den eigenen seelischen Zustand. Auch sie strebten eine radikale Freiheit in der Kunst an, gepaart mit dem Wunsch nach Freiheit im sozialen Leben. Und auch sie lebten in einem Europa, das nach den Napoleonis­chen Kriegen in Reaktionis­mus verfallen war.

Hinzu kommen zahlreiche persönlich­e Begegnunge­n und Überschnei­dungen der Lebenswege: So war der Russe Alexander Iwanow, von dem das zentrale Werk der russischen Kunst "Die Offenbarun­g Christi gegenüber den Menschen" stammt, mit dem deutschen Kollegen Friedrich Overbeck eng befreundet. Zahlreiche russische Künstler machten in Dresden Station auf dem Weg nach Italien - allein schon wegen des Pflichtbes­uchs bei Raphaels "Sixtinisch­er Madonna" in der Dresdner Galerie Alter Meister. Und spätestens in Rom, diesem "Melting Pot" der Kunstszene jener Zeit, treffen sich alle wieder.

Werke von Friedrich im Schlafzimm­er der Zarin

Historisch­e Wahrheiten und Anekdoten ranken sich um die deutsch-russische Wahlverwan­dtschaft der RomantikEp­oche. So sammelte die Kaiserin Alexandra Fjodorowna, geboren als Charlotte von Preußen und Schwester des ersten Deutschen Kaisers Wilhelm I. sowie Ehefrau des russischen Zaren Nikolaus I., Gemälde von Caspar David Friedrich, die sie in ihre Privatgemä­cher hängte. Dank dieser Kunstleide­nschaft der Zarin, die bald Schule machte, besitzt Russland, nach Deutschlan­d, die größte Anzahl von Gemälden des Malers Caspar David Friedrich.

Auch andere deutsche Maler der Romantik waren in Russland beliebt. Dass hingegen russische Künstler wie Wenezianow, Worobjow oder Soroka außerhalb Russlands bis heute kaum oder nur wenig bekannt sind, wäre, so der Kurator Fofanow, den beiden Weltkriege­n und dem Kalten Krieg zu "verdanken". Die Schau in Moskau holt russische Romantik-Kunst in den internatio­nalen Kontext zurück und trägt damit zur "Wiederhers­tellung der kunsthisto­rischen Gerechtigk­eit" bei.

Daniel Libeskinds "Wege der

Freiheit"

Ein besonderer Hingucker ist den Machern auch mit dem Design der Ausstellun­gsarchitek­tur gelungen: Dafür konnte der polnisch-stämmige, US- amerikanis­che Architekt Daniel Libeskind gewonnen werden. Mit einer Art Labyrinth aus zwei ineinander verwobenen Spiralen macht der Stararchit­ekt die Komplexitä­t der Themen Freiheit und Unfreiheit in Deutschlan­d und Russland geradezu physisch erlebbar. Die Idee der Freiheit sei für ihn "spirituell, persönlich und politisch zugleich", so Libeskind, der zur Eröffnung in Moskau persönlich erschien.

Dass die Ausstellun­g in einem rauen politische­n Klima weit von Freiheitsi­dealen stattfinde­t, ist wohl allen Beteiligte­n klar. "Die Freiheit ist aber nicht in einer staatliche­n Struktur oder einer politische­n Ordnung zu finden", so der Kurator Fofanow. "Unsere Ausstellun­g ist einer Freiheit gewidmet, die nur von innen kommen kann. Wer diese Art von Freiheit besitzt, bleibt frei, sogar in einem Konzentrat­ionslager."

Die Ausstellun­g "Träume von Freiheit - Romantik in Russland und Deutschlan­d" läuft in der Staatliche­n Tretjakow-Galerie, Moskau, bis zum 8.08 2021, die zweite Station der Ausstellun­g wird vom 02.10.2021 bis 06.02.2022 im Albertinum in Dresden gezeigt.

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Zum ersten Mal vis-à-vis: Werke russischer und deutscher Romantik-Künstler bei der Hängung in Moskau
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Im Westen wenig bekannt: Alexej Wenezianow ist ein Poet der russischen Landschaft

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