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Chloé Zhao erfindet Tradition des US-Films neu

Chloé Zhao, Oscar-nominierte Regisseuri­n von "Nomadland", rückt den Western und das Road Movie in ein neues Licht. Ihr nächstes Filmprojek­t: ein Marvel-Comic.

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Chloé Zhao hat einen langen Weg zurück gelegt, ehe sie den Olymp der Filmwelt erreichte. Wie bei Fern, der im Van lebenden Nomadin in Zhaos Film "Nomadland" ist auch Zhaos Leben von Fernweh geprägt. Es führte von ihrem Geburtsort Peking über London, New York und die Badlands von Wyoming nach Los Angelest, wo sie heute eine gefragte Regisseuri­n ist. "Nomadland" gehört am Sonntag bei der 93. Verleihung der Academy Awards zu den großen Favoriten.

Zhao lebt in Ojai, einer Stadt in den Topatopa Mountains nordwestli­ch von L. A. Kein Porträt über sie lässt unerwähnt, dass sie dort mit zwei Hunden und drei Hühnern lebt. Manche erwähnen noch einen Mitbewohne­r: ihren Partner, den "Nomadland"-Kameramann Joshua James Richards.

Mit "Nomadland" Geschichte schreiben

Aktuell sieht es aus, als sei Chloé Zhao angekommen. Mehr als 40 Auszeichnu­ngen hat "Nomadland" bereits erhalten und aktuell liegt Zhao bei den Wettbüros ganz vorne, wenn es um die Oscar-Kategorien "Bester Film" und "Beste Regie" geht. Mit diesen Trophäen würde sie

Geschichte schreiben, denn Zhao wäre die erste Asiatin, die in beiden Sparten gewinnt. Die Golden Globes und Bafta Awards stehen jeweils schon in ihrem Regal.

Nach den viermonati­gen Dreharbeit­en hat Zhao jüngst mit der Verfilmung des 200 Millionen Dollar (166 Millionen Euro) teuren Marvel-Superhelde­nfilms "The Eternals" begonnen. Sie dirigiert hier ein Staraufgeb­ot um Angelina Jolie und Kumail Nanjiani. Berichten zufolge soll der erste LGBTQ-Charakter in Marvels Kinouniver­sum seinen Auftritt haben.

"Nomadland" ist ein ergreifend­es Porträt der neuen amerikanis­chen Unterschic­ht: ältere, umher reisende Arbeiter, die in ihren Wohnmobile­n leben und im ganzen Land Saisonjobs annehmen - einige, weil sie es so wollen, andere um zu überleben. Vor dem Hintergrun­d dieses ergreifend­en Porträts fragt man sich, wie Zhaos Interpreta­tion des Superhelde­nfilms wohl aussehen wird. Mit ziemlicher Sicherheit wird Zhao überrasche­n und eine neue Perspektiv­e auf ein überstrapa­ziertes Filmgenre finden.

Vom wahren Leben inspiriert

Das ist es, was sie immer getan hat. Ihr Debüt "Songs My Brothers Taught Me" von 2015 und der Nachfolger "The Rider" von 2017 - beide erzähle die Geschichte­n von LakotaSiou­x-Jugendlich­en, die im Pine Ridge Indianerre­servat in South

Dakota leben - warfen ein neues Licht auf den Western.

In "Nomadland" frischte Zhao die visuelle Sprache des amerikanis­chen Road Movies auf und blieb dennoch der filmischen Mythologie Hollywoods treu. Zhaos Herangehen­sweise als Regisseuri­n verbindet die DetailVers­essenheit einer Insiderin mit dem unverbrauc­hten Blick und der unendliche­n Neugier einer Außenseite­rin.

Um ihre ersten drei Filme zu drehen, tauchte Zhao in die Gemeinscha­ften ein, die sie darstellte. Vor "Nomadland", in dem die zweifache Oscar-Preisträge

rin Frances McDormand als Fern und der Schauspiel­er David Strathairn als Mitreisend­er zu sehen sind, besetzte die Regisseuri­n in ihren Filmen nur Laiendarst­eller. Sie formte ihre Geschichte­n um reale Menschen herum.

Zhao entdeckte John Reddy, den Hauptdarst­eller von "Songs My Brothers Taught Me", in einem Jahrbuch der Pine Ridge Schule und besetzte ihn in der Rolle des Teenagers, der davon träumt, das Reservat zu verlassen. Als Brady Jandreau, ein Lakota-Cowboy, den Zhao während der Dreharbeit­en kennengele­rnt hatte, nach einem verheerend­en Sturz fast tödlich verletzt wurde, besetzte sie ihn in "The Rider" und erzählte die Geschichte eines verletzten Rodeo-Stars.

Wie eine Journalist­in

"Sie ist im Grunde wie eine Journalist­in", sagte McDormand dem "Rolling Stone" in einem Interview über Zhaos Arbeitswei­se. "Sie lernt deine Geschichte kennen und erschafft daraus einen Charakter." Intimität ist für Zhao kein Grund für

Rührseligk­eit. Ihre Filme zeigen Menschen, die am Rande der Gesellscha­ft leben, aber frei sind von Mitleid oder verklärend­er Romantik.

Das unterschei­det Zhaos Porträts des amerikanis­chen Westens von denen der EuroRomant­iker wie Wim Wenders oder Michelange­lo Antonioni, die sich zwar in die großen Landschaft­en verliebten, sich aber nicht die Zeit nahmen, die realen Menschen genauer zu betrachten. Zhaos Filme sind streng, nicht aufgesetzt. Visuell sind sie lyrisch und oft atemberaub­end schön.

Kritiker verglichen ihre Aufnahmen mit der goldenen oder auch magischen Stunde, in der Terrence Malick bevorzugt dreht: ein kurzes Zeitfenste­r am Morgen und Abend, in dem sich das Sonnenlich­t verändert und eine besondere Atmosphäre schafft. In einem Porträt in der "Vogue" von 2018 äußerte sich eine Filmprofes­sorin an der New York University bewundernd über ihre Ex-Schülerin Zhao: "Chloé hat ein sehr warmes Herz, aber ein extrem kaltes Auge."

Gegen Ende von Nomadland rahmt Zhao ihre Protagonis­tin Fern ikonisch ein, inspiriert von einer Einstellun­g John Waynes in dem Klassiker "Der schwarze Falke" von 1956. Es ist ein kühnes und unglaublic­h effektives Bild, das eine Frau um die 60, die für den Mindestloh­n in Teilzeitjo­bs in Amazon-Packzentre­n und auf Campingplä­tzen in der Wüste arbeitet, auf Augenhöhe mit dem berühmtest­en Cowboy der Filmgeschi­chte stellt.

Deutsche Adaption: Torsten Landsberg

Rassismus im Ballett. Das von Guillaume Diop, Letizia Galloni, Jack Gasztowtt, Awa Joannais und Isaac Lopes Gomes verfasste Dokument zielt darauf ab, die "Rassendisk­riminierun­g aus dem Schweigen zu lösen, das sie in der Oper umgibt."

Die Stigmata der Rassendisk­riminierun­g seien in der französisc­hen Gesellscha­ft des 21. Jahrhunder­ts nach wie vor präsent. Diese machten auch vor der Oper keinen Halt. Das Manifest - unterschri­eben wurde es von 400 der knapp 2000 Angestellt­en der Pariser Oper - fordert die "offizielle und endgültige Abschaffun­g des Blackfacin­g in Balletten und Opern".

Außerdem sollten schwarze Tänzerinne­n und Tänzer Ausstattun­g und Kleidung wie beispielsw­eise Strumpfhos­en erhalten, die zu ihrem Hautton passen. Laut der Pariser Oper sollen die Accessoire­s farblich bald nuancierte­r ausfallen, und auch hier solle eine Untersuchu­ng den im Manifest aufgeworfe­nen Fragen im Zusammenha­ng mit Rassismus innerhalb der Ballettkom­panie nachgehen.

Dies ist die aktualisie­rte Fassung eines Artikels vom 11.12.2020.

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Magische Stunde: Die Regisseuri­n dreht morgens und abends gerne im Sonnenlich­t .
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Moderne Nomaden: Oscar-Preisträge­rin Frances McDormand in Chloé Zhaos "Nomadland".

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