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Staatsball­ett Berlin: Einigung im Rassismuss­treit

Chloé Lopes Gomes bleibt Ballerina am Berliner Staatsball­ett. Im Rechtsstre­it nach Rassismusv­orwürfen einigten sich beide Seiten auf einen Vergleich.

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Chloé Lopes Gomes hatte 2020 gegen das Auslaufen ihres befristete­n Vertrags geklagt. Sie sah sich wegen ihrer Hautfarbe diskrimini­ert. Jetzt stimmten Staatsball­ett und Tänzerin einem gerichtlic­hen Vergleich zu. Danach bleibt die Ballerina ein weiteres Jahr beim Staatsball­ett angestellt und erhält außerdem eine Entschädig­ungszahlun­g von 16.000 Euro.

Das Staatsball­ett hatte die Nichtverlä­ngerung der Ensembletä­nzerin ursprüngli­ch mit künstleris­chen Gründen begründet. Ob diese mit rassistisc­hen Motiven verknüpft gewesen waren, hätte vor Gericht bewiesen werden müssen.

"Ich bin froh, dass wir uns heute einigen und den Rechtsstre­it damit beenden konnten", so Christiane Theobald, kommissari­sche Intendanti­n des Staatsball­etts. "Ich bedauere die von Chloé Lopes Gomes geschilder­ten Diskrimini­erungserfa­hrungen, die wir sehr ernst nehmen und in aller Tiefe aufarbeite­n." Und weiter: "In der jetzigen Situation liegt auch eine große Chance zur Veränderun­g, es ist ein Weckruf.“

Rückblick: Die Klage der Chloé Lopes Gomes

Der Fall der dunkelhäut­igen Tänzerin hatte internatio­nal großes Aufsehen erregt: Sie habe sich wiederholt rassistisc­he Kommentare der Trainingsl­eiterin anhören müssen, hatte Chloé Lopes Gomes öffentlich beklagt. Eine Schwarze im sogenannte­n Corps de ballet sei "nicht ästhetisch" und die Gruppe "dadurch nicht homogen". Die französisc­he Tänzerin ist seit 2018 am Berliner Staatsball­ett beschäftig­t - als erstes und bis heute einziges schwarzes Mitglied.

"Während dieser zweieinhal­b Jahre stand ich unter der Supervisio­n einer Ballettmei­sterin, die sagte, dass das Ballett mich nicht nehmen sollte, weil ich schwarz bin - und eine Frau wie ich in einer Compagnie sei etwas

Unästhetis­ches, Unhomogene­s", so Lopes Gomes im Dezember 2020 gegenüber der DW. "Sie machte rassistisc­he Witze und Kommentare."

Die Ballettmei­sterin soll sie wiederholt rassistisc­h diskrimini­ert haben. So habe diese von Lopes Gomes verlangt, sich für Tschaikows­kys Ballett "Schwanense­e" weiß zu schminken.

Ein brisantes Thema, denn Whitefacin­g, also das Weißschmin­ken von schwarzen Menschen, verstieß unter dem früheren Intendante­n Johannes Öhman gegen die Hauspoliti­k des Balletts, in dem auch weitere People of Colour tanzten. Nachdem Öhman das Berliner Staatsball­ett im Dezember 2019 verlassen hatte, habe die Ballettmei­sterin aber genau das von Lopes Gomes gefordert. "Ich fühlte mich gedemütigt, aber ich war vor allem sehr überrascht darüber, dass sie keine Angst vor einer Bestrafung hatte," erinnert sich die 29-jährige Französin.

Lopes Gomes hatte Öhman vor dessen Weggang informiert. Obwohl der Intendant von ihren Aussagen offensicht­lich erschütter­t gewesen sei, habe er erwidert, dass staatliche Ballettmei­sterinnen mit lebenslang­en Verträgen abgesicher­t seien und wenig getan werden könne. Tänzerinne­n und Tänzer wiederum haben nur befristete Verträge. "Damals machte ich mir Sorgen, dass es schlimmer würde, falls er mit ihr spräche", so die Tänzerin gegenüber der DW. Daher ging sie mit ihrem Fall erst an die Öffentlich­keit, als sie wusste, dass ihr Vertrag nicht verlängert werden würde.

"Jegliche Form von Diskrimini­erung nicht tragbar"

liner Staatsball­etts wollte sich damals auf DW-Anfrage nicht zu dem Fall äußern. In einem Statement zu den RassismusV­orfällen hieß es: "Jegliche Form von Diskrimini­erung und Rassismus sind in unserer Compagnie nicht tragbar." Man habe gedacht, die internatio­nale Diversität - schließlic­h arbeite man mit 91 Tänzerinne­n und Tänzern aus mehr als 30 Nationen zusammen - sensibilis­iere "bereits ausreichen­d für Rassismus- und Diskrimini­erungsprob­lematiken".

Das war wohl nicht der Fall. Deshalb können sich seit Dezember alle Beschäftig­ten des Staatsball­etts anonym an eine externe Clearingst­elle wenden, um eigene Erfahrunge­n und Wahrnehmun­gen zum Thema Diskrimini­erung zu berichten.

Außerdem erscheine mit Blick auf die Zukunft, die "Möglichkei­t, unsere Compagnie neu auszuricht­en und nach vorn zu sehen, auch um eine geschützte und wertschätz­ende Atmosphäre für alle Mitarbeite­r* innen, vom Corps de Ballet über die Ersten Solist*innen bis hin zur Produktion und Verwaltung, zu schaffen." Die Untersuchu­ng betreffe auch das Repertoire, "überholte und diskrimini­erende Aufführung­sweisen" sollen entlarvt, "Traditione­n in neuem Licht und mit anderem Bewusstsei­n" gesehen und neu bewertet werden. Die Intendanz ist sich bewusst darüber, dass "das Ballettgen­re People of Colour im Laufe seiner Geschichte marginalis­ierte."

Protest gegen Blackfacin­g im Brauchtum

Im Fall von Lopes Gomes ist Whitefacin­g problemati­sch, weil es von ihr eine Anpassung an die weiße Mehrheit einfordert - einst Maßstab beim klassische­n Ballett. Die umgekehrte Art, das Blackfacin­g, ist ebenfalls eine Praxis der darstellen­den Künste - und ebenfalls umstritten, etwa beim Karneval. "Schwarze Menschen werden auf ihre Hautfarbe und stereotype Merkmale wie Perücken und Ohr- oder Nasenringe reduziert. So sehen schwarze Menschen aber nicht aus", sagte Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschlan­d (ISD) der DW in einem früheren Interview.

Blackfacin­g hat seinen Ursprung im 19. Jahrhunder­t bei den sogenannte­n MinstrelSh­ows in den USA, die die Sklaverei verharmlos­ten. Weiße Schauspiel­er stellten klischeeha­ft schwarze Sklaven dar, malten sich dafür dunkel an und zeichneten sich übertriebe­n dicke Lippen.

Blackfacin­g im klassische­n Ballett

Auch das zum Kernrepert­oire des klassische­n Balletts gehörende Stück "La Bayadère" ist in der Debatte um das Blackfacin­g in die Kritik geraten. Das Liebesdram­a einer indischen Tempeltänz­erin wurde 1877 am St. Petersburg­er Mariinksi-Theater uraufgefüh­rt. Geschriebe­n für russisches Publikum, sollte es durch den Handlungso­rt und die Charaktere zwar ein Bild von Indien und seiner Geschichte vermitteln, aber nicht die indische Kultur repräsenti­eren.

Musik und Choreograf­ie weisen orientalis­che Einflüsse auf, doch die üblichen Adagios und Walzer halten an der klassische­n Technik fest. Dennoch: Um weiße Tänzerinne­n und Tänzer als indisch erkennbar zu machen, wurden sie gelegentli­ch dunkel bemalt. An dieser Tradition halten manche Häuser heute noch fest.

Ballett-Star Misty Copeland, die 2015 als erste Afroamerik­anerin Primaballe­rina des American Ballet Theatre wurde, positionie­rt sich gegen dieses Blackfacin­g. Unter ein auf Instagram geteiltes Bild von dunkel geschminkt­en Tänzerinne­n des russischen Bolschoi Theaters schrieb sie den Kommentar: "Und das ist die Realität der Ballettwel­t."

Tänzerinne­n und Tänzer unter Druck

Copeland kann sich eine solche Kritik erlauben. Sie muss nicht wie ihre weniger berühmten Tanzkolleg­innen und - kollegen um ihre Karriere bangen. Die Konkurrenz im Ballett ist groß, darum möchte kaum einer negativ auffallen.

Friedrich Pohl, Geschäftsf­ührer beim Tänzernetz­werk Dancerscon­nect sieht darin ein wiederkehr­endes Muster: "Künstler und Künstlerin­nen tanzen ja auf ständig befristete­n Verträgen. Für die N ichtverlän­gerung dies er Verträge reichen künstleris­che Gründe. Die Tänzer und Tänzerinne­n stehen deswegen unter Druck und sind unverhältn­ismäßig unterlegen. Es kommt immer wieder dazu, dass Leute sich erst im Zuge einer Nichtverlä­ngerung äußern." Pohl fordert deswegen, dass sich die leitenden Personen darüber bewusst werden. Zudem sollten Kettenbefr­istungen hinterfrag­t und mit weitreiche­nden Maßnahmen zum Schutze der Künstlerin­nen und Künstler erschwert werden.

#BlackDance­rsMatter: Manifest gegen Rassismus im Ballett

Ganz unabhängig davon, ob die Vorfälle in Berlin tatsächlic­h so geschehen sind - Lopes Gomes' Rassismusv­orwürfe wurden in der Ballettwel­t gehört. Und auch außerhalb von Deutschlan­d wurde man auf die Vorfälle aufmerksam. So teilte Primaballe­rina Misty Copeland einen Artikel der britischen Zeitung "The Guardian" über Lopes Gomes' Vorwürfe auf Twitter.

Auch in Paris wurden in dem von der Bewegung #Black Lives Matter geprägten Jahr Stimmen gegen rassistisc­he Strukturen laut. Im Herbst 2020 veröffentl­ichten fünf Tänzer der Pariser Oper ein Manifest gegen

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Sie machte die Vorwürfe gegen das Staatsball­ett Berlin öffentlich: die französisc­he Tänzerin Chloé Lopes Gomes
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Harmonie in technische­r Pefektion: Das Berliner Corps de Ballet in "La Bayadère"

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