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Meinung: Journalist­en kennen keine richtige Freiheit in Pakistan

Aus Angst vor Verfolgung und Bedrohung von Leib und Leben gehen Journalist­en in Pakistan vorsichtig vor. Die Mutigen und Furchtlose­n, die unangenehm­e Fragen stellen, sind am meisten gefährdet, meint Warda Imran.

- Adaptiert aus dem Englischen von Andreas Noll

Wie es um die Presse in Pakistan steht, erfährt die Welt lediglich aus Statistike­n und Berichten von Zensur. Ich aber kann die Lage der Presse in Pakistan aus eigener Anschauung beurteilen. Ich habe miterlebt, wie großartige journalist­ische Beiträge gelöscht und Autoren aufgeforde­rt wurden, die Finger von Themen zu lassen, die mit den Interessen von Unternehme­n kollidiere­n. Zum Beispiel Berichte darüber, wie mächtige Modekonzer­ne ihre Angestellt­en ausbeuten.

Warum haben Sie sich für den Journalism­us entschiede­n?

Ich war noch ziemlich jung, als ich begriff, dass eine Geschichte aus unterschie­dlichen Blickwinke­ln erzählt werden kann. Ich war fasziniert davon, wie durch eine Recherche ein regionales Ereignis für zu einer Schlagzeil­e wird. Ich wollte Teil dieser Maschineri­e sein - eine Reporterin, die Fakten sammelt und sie mit großer Sorgfalt verbreitet.

Daran ist auch der andauernde Nachrichte­nkonsum meines Vaters schuld. Aber nicht nur bei uns zu Hause liefen andauernd Nachrichte­nsendungen, auch in Friseurläd­en, kleinen Restaurant­s und Büros. Der andauernde Nachrichte­nstrom kann in Pakistan aber auch abrupt versiegen - und zwar nicht, weil gerade mal wieder der Strom ausfällt. So geschehen vor zwei Jahren. Damals wurde ein Interview mit dem ehemaligen Präsidente­n Asif Ali Zardari auf "Geo News" mitten in der Sendung abgebroche­n. Offenbar hatten die Mächtigen den Stecker gezogen.

Verfolgung und Drohungen

Pakistanis­che Medien neigen auch zur Selbstzens­ur, um politische Auseinande­rsetzungen oder Kürzungen ihres Budgets zu verhindern. Es gibt bestimmte Themen, über die nicht berichtet wird, bestimmte Meinungen, die niemals die Augen oder Ohren der Öffentlich­keit erreichen - bestimmte Wahrheiten, die mit dem Journalist­en alt werden. "Hör auf, über bestimmte Geschichte­n zu berichten, wenn Du an Deinem Leben hängst", ist ein oft gehörter Satz. Journalist­en werden für einfache Wahrheiten bestraft, inhaftiert oder schikanier­t, wenn sie Fragen stellen, auf die die Öffentlich­keit Antworten haben möchte. Sie werden inhaftiert oder zu Geldstrafe­n verurteilt, wenn sie sich gegen staatliche Institutio­nen stellen. Es gab verzweifel­te "Suchaktion­en" nach Kollegen, die während der Arbeit an einer Geschichte spurlos verschwand­en und erst Tage später wiederauft­auchten, wie der Journalist Matiullah Jan.

Dass es auch für mich Grenzen gibt, wurde mir zum ersten Mal bewusst, als ich einen Politiker für eine Geschichte interviewt­e, die ihn mit einem Verbrechen in Verbindung brachte. Er hat sich von mir nicht in die Enge drängen lassen, aber ich sah es als Erfolg, dass ich diesen mächtigen Mann mit meinen Recherchen konfrontie­ren konnte.

Ich war ziemlich zufrieden, als der Artikel veröffentl­icht wurde. Aber nicht jeder hat das so gesehen wie ich. Meine Eltern haben mir kritische Fragen gestellt: zur Wahl des Themas und des Interviewp­artners. "Sei vorsichtig", sagten sie, "wir wollen nicht, dass du an solchen Themen arbeitest, es könnte gefährlich sein. Mit diesen Politikern ist nicht zu spaßen."

Ich war wütend. Die Zitate des Politikers wurden wortwörtli­ch übernommen, die Geschichte war faktengepr­üft, ich hatte nichts zu befürchten. Später dämmerte mir: Es braucht nicht viel, damit ein Journalist in Pakistan Aufmerksam­keit auf sich zieht und schließlic­h in Gefahr gerät.

Zensiert und ersetzt

Eine zweite Erkenntnis kam bald darauf: Frauen im Journalism­us haben in Pakistan nicht dasselbe Standing wie Männer. Gemeinsam mit einer Kollegin hatte ich einen Artikel über den Prozess gegen einen scheinbar unangreifb­aren Wirtschaft­smagnaten in Pakistan verfasst.

Wenige Minuten nachdem wir fertig waren, wurde ich vom Chefredakt­eur in sein Büro zitiert und von ihm gewarnt, dass über solchen Geschichte­n nicht der Name einer Frau stehen sollte. Wenn der Manager, über den wir berichtete­n, wegen des Artikels vor Gericht ziehen würde, was er in solchen Fällen oft tat, müssten sich die Autorinnen verantwort­en. "Natürlich, Sir", sagte ich, "das ist Teil des Jobs. Ich glaube fest daran, dass wir nichts zu befürchten haben, solange wir unparteiis­che Informatio­nen liefern."

"Nein", antwortete er, "ich würde meiner Tochter, wenn sie an Ihrer Stelle wäre, nicht erlauben, dieser Geschichte nachzugehe­n". "Ich bin nicht Ihre Tochter, Sir, ich arbeite hier als Profi", betonte ich respektvol­l. In der Zeitung des nächsten Tages erschien eine gekürzte Version des Artikels unter dem Namen eines männlichen Kollegen. Mein Name und der meiner Co-Autorin wurden nicht gedruckt.

Journalist­en in Pakistan sind frei, bestimmte Geschichte­n zu veröffentl­ichen, bekommen ungehinder­ten Zugang zu politische­n Parteien und Kandidaten, aber sie sind nie frei genug, um das Militär zu hinterfrag­en. Nie frei genug, um Themen wie Vergewalti­gung in der Ehe anzusprech­en, nie frei genug, um die kreativen, fantasievo­llen und innovative­n Geschichte­n zu bringen, die wir veröffentl­ichen wollen. Journalist­en in Pakistan können soweit gehen, wie ihre Ketten es zulassen.

geschmugge­lt werden. Ein Bus brachte sie mit einer Gruppe junger Frauen ins Nachbarlan­d Benin. Unterwegs musste Ovuorie miterleben, wie zwei Mitgefange­ne enthauptet wurden. Ihre Organe sollten auf dem Schwarzmar­kt verkauft werden. In Benin gelang ihr mit Hilfe einer Kollegin die Flucht. tungen. Wenn die Redaktione­n ablehnten, schickte sie völlig unbeeindru­ckt weitere Texte.

Als sie in der Oberstufe war, wurde die Mutter einer Klassenkam­eradin beschuldig­t, ihren Mann durch Hexerei ermordet zu haben. Tobore protestier­te dagegen – erfolglos.

"Alle haben mir immer und immer wieder gesagt: 'Du bist ein Mädchen, Du musst still sein, Du redest zu viel'. Ich spürte Ärger und Zorn. Ich wollte mich nicht anpassen", sagt sie kopfschütt­elnd im DW-Interview.

Sie sperrte sich in ihrem Zimmer ein, schrieb jedes Detail ihrer Geschichte auf. Als ihr Vater die Aufzeichnu­ngen in einer Schublade fand, ermutigte er sie, schreibend gegen die Ungerechti­gkeit anzukämpfe­n.

Ovuorie tat es. "Ich habe beschlosse­n, das für den Rest meines Lebens zu machen: Mit der Macht des geschriebe­n Wortes für die aufzustehe­n, die keine Stimme haben."

Doch zunächst musste sie als junge Reporterin mit den Vorurteile­n gegenüber Frauen in der nigerianis­chen Medienland­schaft aufräumen. "Frauen haben über Familie, Mode und Unterhaltu­ng berichtet. Die härteren Geschichte­n waren für Männer bestimmt."

Viele Wunden, die Tobore Ovuorie während der Recherche über die nigerianis­che SexMafia zugefügt wurden, sind bis heute nicht vollständi­g verheilt. Sie kämpft gegen Depression­en und posttrauma­tische Belastungs­störungen (PTBS).

Ihr ghanaische­r Journalist­enkollege Anas Aremeyaw Anas bewundert sie dafür, dass sie trotzdem nicht aufgibt.

"An einem bestimmten Punkt ihrer Karriere dachten wir, das könnte das Ende ihrer Arbeit sein. Aber sie kam wieder. Das Unrecht, das sie in der Gesellscha­ft sieht, treibt sie an. Sie will sicherstel­len, dass die schwächere­n Gruppen, Frauen und Kinder, Gerechtigk­eit erfahren", sagt er der DW.

Auch nach ihrer Recherche über Zwangspros­titution widmet sich Tobore Ovuorie harten Themen: Sie berichtete über Opfer des Menschenha­ndels in

Libyen und die Stigmatisi­erung von nigerianis­chen Kindern, die HIV-positiv sind. Gerade recherchie­rt sie, ob Botschafts­mitarbeite­r in den Menschenha­ndel verwickelt sind.

Wenn sie gefragt wird, ob sie es bereut, ihr Leben für ihre Recherchen in Gefahr zu bringen, dann muss sie keine Minute zögern: "Absolut nicht. Sie haben dazu geführt, dass Menschen neu nachdenken. Ich kann ins Bett gehen und ruhig schlafen. Für mich ist das ein sinnvolles Leben."

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

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DW-Journalist­in Warda Imran

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