Deutsche Welle (German edition)
Tobore Ovuorie: Aufstehen für die Stimmlosen
Tobore Ovuorie erhält den diesjährigen Freedom of Speech Award der DW. Die Journalistin aus Nigeria will auf das Leid der Ausgegrenzten in ihrer Heimat aufmerksam machen - und riskiert dafür sogar ihr Leben.
Tobore Ovuorie war vor Angst wie erstarrt. Blut bedeckte ihre Kleidung, um sie herum lagen zwei Körper mit abgeschlagenen Köpfen. Schreie gellten durch das dunkle Camp. Die jungen Frauen um sie herum flohen in die Nacht. Schließlich verlor sie das Bewusstsein.
Immer noch weint und zittert Ovuorie, wenn sie sich an diese Nacht erinnert. Auch heute, sieben Jahre später. Monatelang hatte die damals 33-jährige Journalistin undercover über Menschenhandel und Zwangsprostitution in Nigeria recherchiert. Durch ihre Berichterstattung enthüllte sie düstere Machenschaften krimineller Gangs, die in Prostitution, Menschenhandel und Organhandel verstrickt sind.
'Die Geschichte selbst durchleben'
Einige Wochen vor Beginn der Recherchen hatte eine Redakteurin Ovuorie gebeten, über Frauenhandel in Nigeria zu berichten. Dafür sollte sie mit Opfern sprechen. Ovuorie lacht, wenn sie sich an das Gespräch erinnert und schnalzt missbilligend mit der Zunge: "Die schreiben sich doch nicht auf die Stirn: 'Hey! Ich werde bald verschleppt'", sagt sie zur DW.
Für sie war klar: "Wir mussten das selbst durchmachen. Ansonsten wird die Geschichte nichtssagend." Bei jedem Wort klatscht sie laut in die Hände, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Raum für Kompromisse gibt es in ihrer Arbeit nicht.
Ihr Mut beeindruckt viele - auch die Deutsche Welle: Sie verleiht Ovuorie dafür den diesjährigen Freedom of Speech Award.
"Wenn sich jemand derart in Gefahr begibt, um die Wahrheit herauszufinden, dann ist das aller Achtung wert", sagt DW-Intendant Peter Limbourg. "Es ist wichtig, dass wir die Preisträgerin persönlich stärken, und dass wir den Journalismus in Afrika insgesamt stärken."
Aus Nigeria verschleppt
Die Internationale Organisation für Migration ( IOM) schätzt, dass 80 Prozent aller Mädchen und Frauen, die aus Nigeria nach Europa kommen, potenzielle Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution sind. Ovuories beste Freundin war eine von ihnen. Sie starb an HIV/AIDS, nachdem sie nach Italien geschleust worden war.
Mit ihrer Recherche arbeitete Ovuorie das Schicksal ihrer Freundin und vieler anderer Frauen auf. Sie zeichnete die persönlichen Geschichten tausender Opfer nach, die jährlich von Nigeria nach Italien gebracht werden.
Mit Hilfe ihrer Kolleginnen und Kollegen der nigerianischen Zeitung Premium Times tauchte sie für sieben Monate in eine fremde Welt ein: Sie nahm eine andere Identität an, änderte ihre Kleidung, ihre Frisur, ihr Makeup und sogar die Art, wie sie sprach. Sie gab sich als Prostituierte aus und wurde von einem Zuhälter aufgenommen.
Die Recherche in der Schattenwelt hinterließ Spuren an ihrem eigenen Körper. Ihr Haar wurde abgeschnitten, sie wurde geschlagen, missbraucht, ins Krankenhaus eingewiesen und entkam nur knapp dem Tod.
Nach einigen Monaten bekam Ovuorie grünes Licht von ihrem Zuhälter: Sie sollte nach Italien