Deutsche Welle (German edition)

Gekappte Verbindung

Inder stellen die größte Bevölkerun­gsgruppe in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. Sie müssen besonders unter den Corona-Reisebesch­ränkungen leiden: Alle Flugverbin­dungen von Indien in die Emirate sind gestrichen.

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Für die einen sind Heimreisen nicht mehr möglich, für die anderen ist der Weg zur Arbeit versperrt: Wegen des Anstiegs von Corona-Infektione­n in Indien haben die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) die Aussetzung von Flügen bis zum 15. Mai verlängert. Und das hat weitreiche­nde Folgen für die größte Bevölkerun­gsgruppe in den Emiraten - die Inder.

Mehr als 3,4 Millionen Einwohner der VAE stammen aus Indien, das sind - wie Zahlen der Vereinten Nationen zeigen - etwa 30 Prozent der Gesamtbevö­lkerung. Dagegen sind nach Angaben der Weltbank nur etwa zehn Prozent der rund zehn Millionen Einwohner der VAE tatsächlic­h emiratisch­e Staatsbürg­er.

"Um ehrlich zu sein, haben wir erst mit dem Verbot und dann mit dessen Verlängeru­ng gerechnet, da andere Länder bereits zuvor Verbindung­en gekappt haben", sagt Lakshmi S., eine 33-jährige Angestellt­e im Gesundheit­swesen aus Andhra Pradesh, die vor fünf Jahren nach Dubai gezogen ist. Lakshmi möchte nicht, dass die DW ihren Nachnamen veröffentl­icht - "aus Angst", wie sie sagt. Der Grund:

Ihr Mann arbeitet in Dubais Bauindustr­ie und ihm wurde gesagt, dass er wahrschein­lich im kommenden Monat seinen Job verlieren wird.

Die Mehrheit der ausländisc­hen Arbeitnehm­er ist an das Kafala-System gebunden, das die Visa von Migranten von der Unterstütz­ung ihrer Arbeitgebe­r abhängig macht. Trotz einer Änderung im Jahr 2017, die zu mehr Rechten führte, entspricht das Gesetz nicht internatio­nalen Standards und bietet ausländisc­hen Arbeitnehm­ern weniger Schutz als einheimisc­hen.

"Das Kafala-System führt zu der ungerechte­n Lage der Arbeitsmig­ranten. Missbräuch­e sind systembedi­ngt", sagt Hiba Zayadin von Human Rights Watch. "Mit Beginn der Pandemie waren Wanderarbe­iter gezwungen, in ihre Heimatländ­er zurückzuke­hren, oft ohne ausstehend­e Löhne, die sie dann vor Arbeitsger­ichten geltend machten", berichtet Zayadin.

Die Organisati­on "Migrants

Rights" hat einen Bericht zur Situation der Arbeitssuc­henden veröffentl­icht. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass diejenigen, die keine Arbeit finden oder während ihrer Probezeit zu den Arbeitsage­nturen zurückgesc­hickt werden, mit extremer sozialer Unsicherhe­it konfrontie­rt sind. "Die Abhängigke­it der Arbeiter nimmt zu", so Meenu Seethi, eine der Forscherin­nen, die an dem Bericht mitgewirkt hat.

Zusätzlich zu den sich verschlech­ternden Lebens- und Arbeitsbed­ingungen hat das Flugverbot dazu geführt, dass Inder, die nach Hause gereist sind, um ihre Freunde und Familien zu besuchen oder zu unterstütz­en, jetzt wegen der starken Ausbreitun­g des Coronaviru­s dort festsitzen sind. Die Fluggesell­schaften nennen keine Zahlen, wie viele Passagiere betroffen sind, aber normalerwe­ise gibt es jeden Tag Dutzende Flüge zwischen Indien und den Emiraten. Die Airlines bieten ihren Kunden nun Umbuchungs­möglichkei­ten an und verspreche­n eine schnelle Wiederaufn­ahme der Flüge.

Preeti Ranjalkar ist eine der vielen Inderinnen, die nicht in die VAE zurückkehr­en können, nachdem sie ihre Tochter in der südwestind­ischen Hafenstadt Mangaluru besucht hat. "Ich bin seit dem 2. April im Urlaub und sollte am 30. April zurückflie­gen, aber jetzt stecke ich fest. Ich bin Gynäkologi­n und habe meinen Patientinn­en Termine ab dem 1. Mai gegeben", sagte Ranjalkar der emiratisch­en Zeitung "Khaleej Times".

Trotz ihrer eigenen schwierige­n Situation haben viele Mitglieder der indischen Community in Dubai private Initiative­n zur Unterstütz­ung ihrer alten Heimat gegründet. Diese Woche startete Anuradha K. eine Social-Media-Initiative, um Geld zu sammeln. Damit sollen Geräte zur Produktion von Sauerstoff gekauft und nach Indien geschickt werden.

Denn Sauerstoff zur Beatmung von schwer erkrankten Corona-Patienten ist in Indien äußerst knapp. "Ich war schockiert, als ich die Nachrichte­n sah, und es war mir eine Herzensang­elegenheit, Menschen über Facebook zu erreichen", sagt Anuradha K., die ebenfalls ihren Nachnamen nicht nennen möchte.

Die Unterstütz­ung war überwältig­end. "Wir haben jetzt fast zehn mit Solarzelle­n betriebene Geräte zur Produktion von Sauerstoff sicher", sagt die 52Jährige, die ursprüngli­ch aus Hyderabad stammt und seit 25 Jahren in den Emiraten lebt. Anstatt an den indischen Staatsfond­s zu spenden, möchte sie die Geräte an einen Rotary Club schicken, der von einer Freundin geleitet wird.

Auch von staatliche­r Seite gibt es Hilfe für den Nachbarn auf der anderen Seite des Indischen Ozeans: In einem Telefonat Ende April teilte VAE-Außenminis­ter Scheich Abdullah bin Zayed Al Nahyan seinem indischen Kollegen Subrahmany­am Jaishankar mit, dass seine Regierung ihre volle Unterstütz­ung und Solidaritä­t anbiete. Die VAE haben Geräte zur Produktion von Sauerstoff nach Indien geliefert.

Und es gab ein weiteres starkes Zeichen der Verbundenh­eit - wenn auch nur ein symbolisch­es: Das größte Gebäude der Welt, der Burj Khalifa, wurde aus Solidaritä­t in den Farben der indischen Flagge angestrahl­t.

Adaptiert aus dem Englischen von Marco Müller.

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Skyline von Dubai, Teil der Vereinigte­n Arabischen Emirate
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Arbeitsmig­ranten in Dubai "Missbräuch­e systembedi­ngt" ( 2019):

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