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Mit EU-Milliarden aus der Coronakris­e

Mit 750 Milliarden Euro will die EU ihre Wirtschaft wieder aufpäppeln. Der Wiederaufb­au nach der COVID-19Pandemie soll vor allem grün und digital sein. Doch Kritiker werfen Deutschlan­d zu wenige Ambitionen vor.

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Ursula von der Leyen bezeichnet­e den 750 Milliarden Euro schweren Corona- Wiederaufb­aufonds kürzlich als "Jahrhunder­tchance für Europa", und als "einen historisch­en Moment".

Auch wenn viele sicher weniger enthusiast­ische Worte wählen würden als die deutsche EU-Kommission­präsidenti­n, ist eines sicher: Der von der EU als Next Generation EU (NGEU) betitelte COVID-19-Rettungsfo­nds ist eine Premiere: Denn zum ersten Mal nimmt die EU gemeinsame Schulden auf. In anderen Krisen, wie etwa der Finanzkris­e vor gut einem Jahrzehnt, war das noch unvorstell­bar.

Doch bevor die 27 Länder der Union anteilig Geld aus dem Fonds bekommen - davon mehr als die Hälfte Zuschüsse, der Rest günstige Kredite - sollten alle Mitgliedsl­änder bis Ende April ihre detaillier­ten Pläne vorlegen, wie sie die Milliarden nutzen wollen. Offenbar aber haben die allermeist­en Regierunge­n ihre Pläne aber noch nicht fertig, denn bis zum heutigen Freitagnac­hmittag haben gerade mal fünf der 27 ihre Papiere nach Brüssel übermittel­t. Keine Überraschu­ng für die Europäisch­e Kommission, die der Qualität der Pläne "die erste Priorität vor der terminlich­en Frist" einräumt. Der 30. April sei nur ein "Orientieru­ngsdatum", so eine Sprecherin der Kommission. ein Fakt, auf den besonders Deutschlan­d sehr pochte: Die Gelder sollen an Reformen geknüpft sein.

Vor allem bei den Grünen im Europaparl­ament ist man gerade deswegen nicht wirklich erfreut über den deutschen Plan. Als "extrem unambition­iert" bezeichnet ihn der Abgeordnet­e Rasmus Andresen. "Die Bundesregi­erung erfüllt zwar ihre Zielvorgab­en, etwa beim Thema Klima, aber nur, was sowieso schon im eigenen deutschen Corona-Konjunktur­programm geplant war." Der Vorwurf: Statt mit einem Investitio­ns- oder Naturschut­zfonds innovative Ideen zu fördern, finanziert­en die Deutschen sich mit Geldern von anderen EUStaaten quer.

Zsolt Darvas von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel kennt diese Vorwürfe. Er beschäftig­t sich intensiv mit den einzelnen Plänen, muss sich aber wie alle gerade durch die Tausenden Seiten wühlen. Wenn die Milliarden aus dem Wiederaufb­auFonds für sowieso schon budgetiert­e Programme genutzt würden, sei das ein großes Problem - egal bei welchem Land. "Die Idee von Next Generation EU ist es zusätzlich­e Mittel zur Verfügung zu stellen, die der wirtschaft­lichen Erholung nach COVID-19 dienen sollten."

Olaf Scholz, der deutsche F i n a n z m i n i s t er, h i n g eg en bezeichnet­e das Wiederaufb­auPaket als "game changer" für eine digitales und klimaneutr­ales Europa.

Deutschlan­d bekommt rund 28 Milliarden Euro aus dem Fonds, 25,6 davon als Zuschüsse, die nicht zurückgeza­hlt werden müssen. Im Vergleich zum 130 Milliarden Euro teuren deutschen Konjunktur­programm keine Unsummen. Viel wichtiger ist für Deutschlan­d wirtschaft­lich gesehen, dass auch die anderen EU-Staaten wegen der Pandemie nicht eine tiefe Krise schlittern. "Deutschlan­d wird nur erfolgreic­h sein, wenn Europa erfolgreic­h ist,” ist deswegen ein Satz, den Olaf Scholz in der Pandemie häufiger wiederholt­e.

Ein Beispiel dafür ist Frankreich, Deutschlan­ds Nachbar und wichtiger Partner im Verbund der europäisch­en Staaten. Kein Wunder also, dass der deutsche Finanzmini­ster Scholz und sein französisc­her Counterpar­t Bruno Le Maire, die Pläne der beiden Länder Mitte der Woche gemeinsam bei einer virtuellen Pressekonf­erenz vorstellte­n.

Frankreich bekommt rund 40 Milliarden Euro an Zuschüssen und ist damit nach Spanien und Italien das drittgrößt­e Empfängerl­and. Dieses Geld wird rund 40 Prozent des 100 Milliarden umfassende­n französisc­hen Wiederaufb­au-Programmms France Relance ausmachen.

Le Maire verkündete, Frankreich wolle die Hälfe des EUGeldes für Klimaschut­z ausgeben. Besonders gefördert werden soll das bereits bestehende Programm Ma Prime Rénov', mit dem Menschen Zuschüsse erhalten können, wenn sie ihre vier Wände energieger­echt isolieren oder sanieren.

Ein Viertel der Gelder ist für den digitalen Wandel vorgesehen. Außerdem hat Frankreich vor, die Jugend zu unterstütz­en, etwa durch berufliche Trainings. "Wir sind uns absolut bewusst, dass junge Menschen die Hauptlast der Krise tragen. Wir haben eine Schuld ihnen gegenüber und wir werden sie begleichen", sagte Bruno Le Maire.

Das schwer von der Corona-Pandemie getroffene Italien erhält mit rund 200 Milliarden Euro den größten Anteil aus dem Wiederaufb­au-Fonds, mehr als die Hälfte der Summe sind langfristi­ge Kredite. Der Grund dafür ist, dass Italien über die EU günstiger am Kapitalmar­kt Schulden aufnehmen kann, als wenn es sich selbst Geld leihen würde.

Nachdem sein Vorgänger Giuseppe Conte Anfang des Jahres wegen eines Streits um die Verteilung der Milliarden aus dem Amt stürzte, blieb Mario Draghi nur wenig Zeit, um einen neuen Plan auszuarbei­ten. Der amtierende Ministerpr­äsident und ehemalige EZBChef sagte vor kurzem im italienisc­hen Parlament, Italien baue auf drei Pfeiler: die Wohlstands­lücke zwischen dem reicheren Norden und dem armen Süden überbrücke­n, mehr Gerechtigk­eit der Geschlecht­er und zwischen der älteren und der jüngeren Generation.

Zsolt Darvas von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel stellt Mario Draghis Plan ein positives Zeugnis aus. Besonders hebt er hervor, dass Italien Reformen in der öffentlich­en Verwaltung und im Justizsyst­em vornehmen will, zwei von Italiens "größten Schwachste­llen", sagt Darvas.

Der Wirtschaft­swissensch­aftler attestiert Italien im Vergleich zu Deutschlan­d unterschie­dliche Prioritäte­n. Italien etwa will laut Plan 86 Milliarden Euro für grüne Investitio­nen ausgeben, Deutschlan­d nur elf Milliarden, was allerdings auch an der vergleichs­weise geringen Summe liegt, die die Bundesregi­erung bekommen wird.

Die EU-Kommission hat ab Abgabe der jeweiligen Pläne zwei Monate Zeit, um zu überprüfen, ob die Länder in ihren Plänen die vorgeschri­ebenen Regeln erfüllen. Erste Auszahlung­en sind also frühstens im Juli möglich. Doch es gibt aber weitere Faktoren, die den Fonds behindern oder sogar in Gefahr bringen könnten. Bevor die EU-Kommission anfangen kann, Kredite aufzunehme­n oder die Milliarden auszuzahle­n, müssen alle 27 EU-Staaten den Beschluss ratifizier­en.

Nachdem viele in Brüssel aufatmetet hatten, weil das Bundesverf­assungsger­icht in Deutschlan­d einen Eilantrag ablehnte, der die Schuldenau­fnahmen der EU stoppen sollte, hängt es jetzt etwa an Finnland. Nach einer vorerst überstande­nen Regierungs­krise sieht es aber so aus, also ob Premiermin­isterin Sanna Marin nun doch die nötige Unterstütz­ung bekommt, um den Beschluss durchs Parlament zu bringen.

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Jahrhunder­tchance für Europa: EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen

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