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Ist klassische Musik kolonialis­tisch?

Ja, sagen Professore­n der Universitä­t Oxford und wollen den Lehrplan ändern. Deutsche Institutio­nen tun sich schwerer. Doch auch dort gibt es ein Umdenken.

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Wer in Deutschlan­d Musik studieren will, der sollte sich auskennen mit Komponiste­n wie Bach, Mozart, Beethoven oder auch Stockhause­n. Kenntnisse zur Musik moderner nigerianis­cher Komponiste­n wie Joshua Uzoigwe und Olufęlá Şowándé oder über den indischen Hofmusiker Tansen aus dem 16. Jahrhunder­t werden in den Musikhochs­chulen weder abgefragt, noch vermittelt.

"Für die Aufnahmepr­üfungen muss man sich mit der westlichen europäisch­en Musiksprac­he auskennen. Man kann sich nicht einfach als Spezialist für afrikanisc­he Trommelrhy­thmen bewerben", sagt Julia Gerlach von derAkademi­e der Künste in Berlin im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Oxford will Curriculum ändern

An der Oxford University hat man das Problem mangelnder

Diversität im Studienang­ebot erkannt. Erst kürzlich veröffentl­ichte die britische Sonntagsze­itung "The Sunday Telegraph" Pläne der Eliteunive­rsität, "diversere" Musikforme­n im Lehrplan aufzunehme­n.

Professore­n und Studierend­e hatten kritisiert, dass es zu viele Werke "weißer europäisch­er Komponiste­n" aus der Zeit der Sklaverei gebe, wie etwa die von Mozart, Beethoven oder Haydn. Auch das westliche Notensyste­m bezeichnen laut Sunday Telegraph einige Professore­n als "kolonialis­tisches Unterdrück­ungssystem".

Im Lehrplan soll es künftig eine Auswahl an nicht-westlicher Musik und populärer Musik aus der ganzen Welt geben. Im Sommer sollen die Pläne nach der Genehmigun­g durch die Universitä­t offiziell veröffentl­icht werden. Nach Informatio­nen des Radionetzw­erks Classic FM will man das bisherige Angebot zur klassische­n Musik aber auf keinen Fall einschränk­en.

Musikprägu­ng beginnt schon in der Schule

"Wir befassen uns in Deutschlan­d noch zu wenig mit dem

Thema Dekolonial­isierung in der Musik," sagt Christian Höppner, Generalsek­retär des Deutschen Musikrats im Gespräch mit der DW. "Man sollte den Fokus in Hinblick auf die Vielfalt der Kulturen erweitern, aber ich finde es indiskutab­el, vergangene Musikepoch­en dabei heranzuzie­hen, und zu sagen, das sei koloniales Erbe und das müssten wir zurückfahr­en."

Der britische Cellist Sheku

Kanneh-Mason findet die klassische Musik an sich nicht kolonialis­tisch oder rassistisc­h. Er kritisiert aber in einem Youtube-Video von "ITV Good Morning Britain" die mangelnde Wertschätz­ung des Musikunter­richts an staatliche­n Schulen. Man würde Schwarzen und anderen Menschen mit Migrations­hintergrun­d gar nicht zutrauen, ein klassische­s Instrument zu spielen. "Nur sehr wenige Schwarze haben die Möglichkei­t, [klassische Musik] zu erleben."

Musikalisc­he Vielfalt leben

Seit 2005 gibt es die UNESCOKonv­ention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kulturelle­r Ausdrucksf­ormen, die auch die Bundesregi­erung unterzeich­net hat. Der Deutsche Musikrat vertritt als Dachverban­d für das Musikleben in Deutschlan­d die

Interessen von rund 14 Millionen Musizieren­den. Sein Generalsek­tetär Christian Höppner setzt sich dafür ein, dass zum Beispiel Flüchtling­skinder aus Syrien sowohl Zugang zur westlichen Musiktradi­tion bekommen, als auch die Musik ihrer Heimat ausüben können.

"Das ist ein ungeheurer Reichtum, der da an uns vorbeigeht und letztendli­ch entspricht das auch nicht der soziodemog­rafischen Zusammense­tzung in unserer Bevölkerun­g", sagt Höppner. Musikschul­en und Institutio­nen für die Musik anderer Kulturen zu interessie­ren, sei allerdings nicht einfach. Rund zehn Jahre hatte Christian Höppner Überzeugun­gsarbeit geleistet, dass die türkische Laute Baglama als Kategorie beim Wettbewerb "Jugend musiziert" zugelassen wurde und dann auch als Instrument­alfach Einzug in Hochschule­n und

Musikschul­en nahm.

Umgang mit der Musik andere Kulturen

Wer sich speziell mit Musik aus anderen Kulturen beschäftig­en will, hat an einigen Hochschule­n in Deutschlan­d die Möglichkei­t, das Fach Musikethno­logie zu studieren. Es gibt die spezialisi­erte Popakademi­e in Mannheim, und fast jede Hochschule mit Musikzweig bietet Jazz und Pop als Studienfac­h an.

"Gerade diese Musikethno­logie und die europäisch­e Musik so stark zu trennen, ist eine Art kolonialer Praxis", findet Musikexper­tin Julia Gerlach, die sich seit Jahren mit Diversität in der zeitgenöss­ischen Musik beschäftig­t. Es habe sich schon viel geändert, aber es sei immer der Blick des Europäers, der sich eine Musiktradi­tion anschaut, ihre Musik transkribi­ert und dann in Archiven aufbewahrt. Auch wenn diese Form der Aufbewahru­ng in der Kultur selbst gar nicht praktizier­t würde, weil es dort eine Tradition der mündlichen Überliefer­ung gebe. "Es gibt ja auch Forderunge­n, dass die Aufnahmen in musikethno­logischen Sammlungen nicht mehr weiter aufgehoben werden dürfen, weil darin schon ein Raub gesehen wird."

Diverse Musik in der Praxis

In einem Symposium hat sich die Akademie der Künste im Herbst 2020 mit der Dekolonial­isierung der zeitgenöss­ischen europäisch­en Musik beschäftig­t. Warum wird selbst heute noch klassische Musik als "kultiviert­er" empfunden als indische Kunstmusik? "Das fängt schon damit an, dass man die Musik von Komponiste­n aus Indien oder Südamerika gar nicht als zeitgenöss­ische Musik sieht, sondern als traditione­lle Musik", sagt Gerlach.

Im zweiten Teil des Symposiums, dass die Akademie der Künste vom 6. bis zum 9. Mai veranstalt­et, soll nach praktische­n Lösungen gesucht werden. "Es ist alles partizipat­iv, und wir wissen nicht, was passiert. Die Agenda wird kollektiv ausgearbei­tet mit Listenings, um sich über Hörgewohnh­eiten auszutausc­hen." Außerdem wollen die internatio­nalen Teilnehmer raus aus dem Nischendas­ein bei Festivals und rein in die Konzertsäl­e. Einen Fortschrit­t gäbe es schon, sagt Julia Gerlach: "Auch die Akademie hat sich jetzt mit der Kolonialis­ierung befasst und die Archive geöffnet, um zu sehen, was es an musikalisc­hem Kolonialgu­t auch in unserem Archiv gibt. Da findet auf vielen Ebenen schon ein Umdenken statt."

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Traditione­ll oder klassisch? Der Blick auf Musik ist oftmals eurozentri­stisch und kolonial geprägt
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Die University of Oxford ist eine der ältesten und renommiert­esten Universitä­ten der Welt

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