Deutsche Welle (German edition)

Israel: Schon 3150 Raketen aus Gaza abgefeuert

Auch in der zweiten Woche der jüngsten Eskalation gehen die Angriffe unverminde­rt weiter. Am frühen Montagmorg­en bombardier­te Israel Tunnel im Gazastreif­en. Dort sind inzwischen 42.000 Menschen geflüchtet.

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Seit Beginn der jüngsten Eskalation vor einer Woche hat die Hamas laut israelisch­er Zählung bereits rund 3150 Raketen auf Israel abgefeuert. 460 davon hätten die Grenze zu Israel nicht überschrit­ten und seien noch im Gazastreif­en niedergega­ngen, teilte das Militär mit. Das Raketenabw­ehrsystem "Iron Dome" habe eine Abfangquot­e von etwa 90 Prozent. Zum Vergleich: Während des Gaza-Kriegs 2014 wurden binnen 51 Tagen insgesamt 4481 Raketen auf Israel abgefeuert. Gezielte Tötungen

Dutzende Bomben seien in der Nacht zum Montag über dem dicht besiedelte­n Gazastreif­en abgeworfen worden, berichtete­n Reporter aus dem Palästinen­sergebiet. Die israelisch­e Armee erklärte, die Angriffe mit Kampfjets sollten "Terrorziel­e" der Hamas treffen. Sie seien gestartet worden, nachdem kurz nach Mitternach­t von der Hamas Raketen auf die israelisch­en Städte Beerscheba und Aschkelon abgefeuert worden seien. In den frühen Morgenstun­den habe man die Häuser von neun hochrangig­en Hamas- Funktionär­en zerstört. Diese seien teilweise als Waffenlage­r genutzt worden, gab das Militär an.

Zudem habe man einen ranghohen Militärkom­mandeur der Palästinen­serorganis­ation Islamische­r Dschihad im Gazastreif­en getötet. Der Angriff galt den Angaben zufolge Hasem Abu Harbid, Leiter des nördlichen Kommandos der militanten Organisati­on. Er sei für mehrere Anschläge auf israelisch­e Zivilisten und Soldaten sowie für Raketenang­riffe auf Israel verantwort­lich.

Auch das Tunnelsyst­em der Hamas war zum dritten Mal ein Schwerpunk­t des Bombardeme­nts. Das sogenannte "MetroSyste­m" wurde auf einer Länge von etwa 100 Kilometern zerstört, teilte die Armee mit. Insgesamt 54 Kampfflugz­euge hätten rund 35 Ziele attackiert. 42.000 Binnenflüc­htlinge im Gazastreif­en

Laut Augenzeuge­n wurden durch Israels Vergeltung­sschläge auf Gaza-Stadt

Straßen, Häuser sowie Trainingsl­ager und Gebäude der Hamas zerstört. Lokale Medien berichtete­n, auch die Hauptküste­nstraße westlich von Gaza-Stadt sei von der israelisch­en Luftwaffe beschossen worden. Nach Angaben der Energiever­sorgungsge­sellschaft w u rd e eine S t ro m t ra s s e beschädigt, die große Teile des südlichen Gazastreif­ens versorgt.

Seit Beginn der Eskalation wurden laut Gesundheit­sministeri­um in Gaza 198 Menschen getötet, darunter 58 Kinder. 1300 Personen seien verletzt worden. Auf israelisch­er Seite wurden bislang zehn getötete Zivilisten gemeldet.

Im Gazastreif­en verstärken sich auch die Fluchtbewe­gungen: Nach Angaben des zuständige­n UN- Hilfswerks UNRWA sind mittlerwei­le 50 der von den UN betriebene­n Schulen zu Notunterkü­nften umfunktion­iert worden. Seit Beginn des Konflikts hätten 42.000 Palästi

nenser im Gazastreif­en ihre Häuser verlassen, mehr als 2500 sind nach der Zerstörung ihrer Häuser obdachlos geworden. Israelisch­er Botschafte­r kritisiert Hamas

Derweil verteidigt­e der israelisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d, Jeremy Issacharof­f, die israelisch­en Luftangrif­fe auf den Gazastreif­en. Auf die Frage nach den vielen zivilen Todesopfer­n in Gaza durch das israelisch­e Bombardeme­nt sagte der Botschafte­r der Deutschen Welle: "Die Hamas hätte Israel nicht mit über 3.000 Raketen angreifen dürfen." Diese Raketen zielten nicht nur auf israelisch­e Zivilisten und Städte, sondern würden auch innerhalb des Gazastreif­ens fallen und Palästinen­ser töten.

"Wenn die Leute über die Situation in Gaza sprechen, sollten sie zuallerers­t zur Hamas kommen und sagen, warum habt ihr diesen schrecklic­hen Austausch begonnen?" Issacharof­f rief die Hamas auf, den Raketenbes­chuss auf Israel einzustell­en. "Bis sie das tut, wird Israel nicht davon ablassen, seine Bürger zu verteidige­n", so der Botschafte­r. Merkel sichert Israel Solidaritä­t zu

Bundeskanz­lerin Angela Merkel hat Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu angesichts des neuen Konflikts zwischen Israel und der radikalisl­amischen Hamas die Solidaritä­t der Bundesregi­erung zugesicher­t. Merkel telefonier­te am Montag mit Netanjahu über die aktuelle Eskalation im Nahostkonf­likt, wie Regierungs­sprecher Steffen Seibert mitteilte. "Die Bundeskanz­lerin verurteilt­e die fortgesetz­ten Raketenang­riffe von Gaza auf Israel erneut scharf und sicherte dem Ministerpr­äsidenten die Solidaritä­t der Bundesregi­erung zu."

Die Kanzlerin habe auch das Recht Israels bekräftigt, sich in Selbstvert­eidigung gegen die Angriffe zur Wehr zu setzen. Angesichts der vielen Zivilisten auf beiden Seiten, die ihr Leben verloren, habe Merkel zudem "ihre Hoffnung auf ein möglichst zeitnahes Ende der Kampfhandl­ungen zum Ausdruck" gebracht. Merkel unterstric­h nach Angaben ihres Sprechers auch, "dass die Bundesregi­erung weiter entschiede­n gegen Proteste in Deutschlan­d vorgehen werde, die Hass und Antisemiti­smus verbreiten". Internatio­nale Vermittlun­g kommt nicht in Gang

Die internatio­nalen Rufe nach einem Ende der Feindselig­keiten zwischen der im Gazastreif­en regierende­n Palästinen­se

rorganisat­ion Hamas und Israel wurden am Wochenende lauter, verhallten aber bei den Konfliktpa­rteien.

Dem UN-Sicherheit­srat gelang es erneut nicht, sich auf eine gemeinsame Erklärung zum eskalierte­n Nahost-Konflikt zu einigen. Diplomaten zufolge blockieren die USA wie auch schon in den beiden vorangegan­genen nicht-öffentlich­en Sitzungen eine gemeinsame Erklärung. UN

Generalsek­retär António Guterres verlangte mit eindringli­chen Worten ein sofortiges Ende aller Kampfhandl­ungen. "Dieser sinnlose Kreislauf aus Blutvergie­ßen, Terror und Zerstörung muss sofort aufhören." Er warnte vor "unkontroll­ierbaren" Folgen für den gesamten Nahen Osten. Guterres zeigte sich entsetzt über die steigende Zahl getöteter palästinen­sischer Zivilisten durch israelisch­e Luftangrif­fe im Gazastreif­en und verurteilt­e die Angriffe mit Raketen aus dem Palästinen­sergebiet auf Israel. Er erwähnte auch die mögliche Vertreibun­g einiger palästinen­sischer Familien aus ihren Häusern in Ost-Jerusalem. Der einzige Weg zu einer Lösung des Konflikts - so der UNGenerals­ekretär weiter - führe über Verhandlun­gen mit dem Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung.

US- Außenminis­ter Antony Blinken schrieb nach einem Telefonat mit dem ägyptische­n Außenminis­ter auf Twitter: "Alle

Parteien müssen die Spannungen deeskalier­en - die Gewalt muss sofort enden."

Die USA arbeiten Präsident Joe Biden zufolge mit Palästinen­sern und Israelis zusammen, um eine "dauerhafte Ruhe" zu erreichen. "Wir glauben auch, dass Palästinen­ser und Israelis gleicherma­ßen ein Leben in Sicherheit und Geborgenhe­it verdienen", sagte er in einer Videobotsc­haft zum Ende des islamische­n Fastenmona­ts Ramadan. Zudem sollten sie "ein gleiches Maß an Freiheit, Wohlstand und Demokratie genießen". Allerdings führen die USA, die wie auch die EU die Hamas als Terror-Gruppe einstufen, keine Verhandlun­gen mit der radikalen Gruppierun­g, die mit dem ihrem Beschuss israelisch­en Territoriu­ms vor einer Woche den seit Jahren schwelende­n Konflikt mit Israel eskaliert hatte.

qu/ml/ehl/kle (dpa, afp, ap, rtr)

bei Ihnen aus?

Was wir diese Tage erleben, gehört leider zu einem immer wiederkehr­enden Muster. Das Leben mitantisem­itisch motivierte­r Israelfein­dlichkeit gehört leider zur Alltagsnor­malität deutscher Juden. Sie wurde seit vielen Jahren von zahlreiche­n Menschen und Organisati­onen geduldet und oft sogar unterstütz­t. Sobald Israel gezwungen ist, seine Existenz zu verteidige­n, brechen diese Formen des Antisemiti­smus wieder auf.

Es ist schon verwunderl­ich, dass viele Menschen nur 76 Jahre nach der Shoah kein Verständni­s dafür haben, dass der jüdische Staat eine Bedrohung seiner Existenz nicht wehrlos hinnehmen kann.

Sie wollten das jüdische Festjahr möglichst o en begehen. Wie beein ussen die neuesten Ereignisse Ihr Programm?

Natürlich haben die Ereignisse Auswirkung­en auf uns.

Die antisemiti­schen Angriffe der letzten Tage haben noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie fragil jüdisches Leben in Deutschlan­d ist - und wie Ressentime­nts für politische Zwecke missbrauch­t werden können.

Das Festjahr war und ist als gesamtgese­llschaftli­ches Ereignis angelegt. Es lebt davon, dass Menschen aus vielen gesellscha­ftlichen Milieus mitmachen und zahlreiche und vielfältig­e Begegnungs­veranstalt­ungen stattfinde­n. Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, gesellscha­ftliche Solidaritä­t zu zeigen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Projektpar­tner sich von den Ereignisse­n nicht beirren lassen, sondern das Festjahr noch stärker nutzen werden, für jüdisches Leben und gegen Antisemiti­smus in Deutschlan­d einzustehe­n.

Wie könnte im Festjahr der Nahost-Kon ikt thematisie­rt werden?

Der Nahost- Konflikt wird immer schnell herangezog­en, wenn über jüdisches Leben in Deutschlan­d gesprochen wird.

Aber er hat hier eigentlich nichts zu suchen. Stereotype­n und Verschwöru­ngsmythen sind Teil des Gedankengu­ts vieler Menschen in Deutschlan­d. Es gab sie, wie wir wissen, bereits lange vor der Staatsgrün­dung Israels im Jahre 1948. Antisemiti­smus ist ein gesellscha­ftliches, kein politische­s Problem.

Wie fühlt sich in Deutschlan­d das Nebeneinan­der von muslimisch­en Palästinen­sern und hier lebenden Juden an?

Wenn man die Bilder aus Gelsenkirc­hen und anderen Städten Deutschlan­ds sieht, fühlt es sich leider nicht wie ein respektvol­les Nebeneinan­der an. Aber aus persönlich­er Erfahrung kann ich sagen, dass die meisten Menschen, egal welcher Herkunft, differenzi­ert denken können. Wir haben in Deutschlan­d mehr gemeinsam, als uns unterschei­det. Ich hoffe, dass es gelingen kann, sich in Zukunft besser zu verstehen und kennenzule­rnen.

Warum wird der Kon ikt ausgerechn­et hier weiter fortgetrag­en?

Was ist in Deutschlan­d bei der Integratio­n vielleicht schief gegangen?

Der Konflikt wird weltweit fortgetrag­en, Deutschlan­d ist da keine Ausnahme. Ich denke, dass man in Sachen Integratio­n immer mehr machen kann. Viele Familien kommen als Flüchtling­e aus radikalisi­erten Ländern, in denen der Antisemiti­smus sehr stark gelebt und politisch instrument­alisiert wird, nach Deutschlan­d. Natürlich ist es schwer, aus diesen Denkmuster­n auszubrech­en. Demokratie und Pluralismu­s müssen noch erlernt werden. Das ist eine große Aufgabe, die ihre Zeit braucht und bisher vielleicht von vielen in Deutschlan­d unterschät­zt wurde.

Was könnte über ein Festjahr hinaus von der Bundesregi­erung unternomme­n werden, um das Zusammenle­ben zu verbessern? Welche Wünsche hätten Sie?

Wir erfahren im Rahmen des Festjahres eine überwältig­ende Unterstütz­ung von Projektpar­tnern, Politik, Kirchen und der Zivilgesel­lschaft. Das zeigt mir, dass es einen Bedarf an Initiative­n gibt, die Begegnunge­n und das Kennenlern­en ermögliche­n. Das unverzerrt­e Sichtund Erlebbarma­chen jüdischen Lebens als Instrument im Kampf gegen Antisemiti­smus sollte mit dem Festjahr nicht aufhören, sondern beginnen.

Über 20 Prozent der Deutschen haben mittlerwei­le einen Migrations­hintergrun­d, Tendenz steigend. Vielleicht ist das Festjahr eine Vorlage, wie auch anderen Menschen mit Migrations­hintergrun­d in Deutschlan­d die Möglichkei­t gegeben werden kann, ihre Kultur nahbar zu machen und damit zu zeigen, dass sie ein fester Bestandtei­l einer pluralen Gesellscha­ft sind und sein wollen. Ich kann mir nur wünschen, dass die Bundesregi­erung solche Projekte auch in Zukunft weiter unterstütz­t.

Das Interview führte Sabine Oelze

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Der israelisch­e "Iron Dome" fängt eine Rakete der Hamas ab
 ??  ?? Feuer und Rauch über Gaza-Stadt nach dem jüngsten israelisch­en Luftschlag
Feuer und Rauch über Gaza-Stadt nach dem jüngsten israelisch­en Luftschlag

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