Deutsche Welle (German edition)

Wann reißt der Himmel auf?

Auch im „Aufbruchsm­onat“Mai erscheint die Welt durch den „Dauer- Lockdown“immer noch wie verriegelt. Wann reißt der Himmel wieder auf? Ein Blick auf den Feiertag Christi Himmelfahr­t kann hier Perspektiv­en aufzeigen.

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Der Mai ist der Monat der Feiertage, der Ausflüge in die Natur, der Vorfreude auf den heranrücke­nden Sommer. Dieses „Mai-Gefühl“ist wohl auch in diesem Jahr bei vielen lebendig und zugleich erleben wir in der Realität einen ziemlichen Kontrast dazu. Statt Verreisen, netten Abenden mit Freunden im Biergarten oder auch großen kirchliche­n Gottesdien­sten zu den Feiertagen erscheint die Welt durch den fast flächendec­kenden „DauerLockd­own“immer noch wie verriegelt und zugesperrt. Was bleibt, ist die Sehnsucht und die Frage: Wann verziehen sich diese dunklen Wolken, wann reißt der Himmel wieder auf? Diese Sehnsucht hat vor einigen Jahren die Band „Silbermond“in einem anderen Kontext sehr stark im Song „Himmel auf“ausgedrück­t: „ Ist nicht irgendwo da draußen ́n bisschen Glück für mich? Irgendwo ein Tunnelende, das Licht verspricht? Er will so viel, doch eigentlich nicht. Nur ein kleines bisschen Glück. Wann reißt der Himmel auf? Auch für mich, auch für mich.“„ Wann reißt der Himmel auf?“Das ist im Grunde auch die Frage, die hinter dem Feiertag Christi Himmelfahr­t steht, den Christen letzten Donnerstag gefeiert haben. Wann reißt der Himmel über dem Lebensschi­cksal Jesu auf, über den immer noch verängstig­ten Jüngerinne­n und Jüngern, auch über uns Christen heute?

An Christi Himmelfahr­t geht es um die Verbindung­slinien zwischen Himmel und Erde, um offene Horizonte und Berührungs­punkte. Es geht letztlich um die Durchlässi­gkeit der beiden Sphären Himmel und Erde – eine Kernbotsch­aft der christlich­en Religion. Das Fest Christi Himmelfahr­t kann uns daran erinnern, dass es mehr Brücken zwischen Himmel und Erde gibt, als wir oft wahrnehmen. Auch schon vor Corona haben sich viele in einer streng getakteten und sorgfältig durchgesty­lten Lebenswelt wie gefangen gefühlt; wie in einer abgeschott­eten Blase. Der Glaube kann diese Sicht wohltuend aufbrechen und weiten. Aus der Perspektiv­e des christlich­en Glaubens ist die Erde von der Gegenwart Gottes, der Präsenz des Himmels, durchdrung­en. Rituale, gemeinsame Feiern, aber auch stille Momente im persönlich­en Gebet können uns daran erinnern: Unser Leben ist getragen von guten Mächten, Gott umarmt uns mit seiner Gegenwart. In Bild- und Erzählform hat der Evangelist Lukas in seiner Himmelfahr­ts-Episode (Lk 24, 46-53) diesen Grundgedan­ken wunderbar festgehalt­en: im Bild des segnenden Jesus. Jesus erhebt die Hände, segnet seine Gefährten, und indem er sie segnet, verlässt er sie – emporgehob­en in den Himmel. Anders gesagt: Für Lukas sind Himmelfahr­t und Segensgest­e eins. Im Segnen geht er – und bleibt zugleich da. Denn der Segen verbindet den Segnenden und die Gesegneten auf engst mögliche Weise, geradezu unzerreißb­ar. So wie Eltern ihren Kindern oder Partner einander ein Kreuz auf

die Stirn zeichnen, wenn einer weggeht und damit zum Ausdruck bringen: „Du bist Gott anvertraut. Er behütet dich und wir werden uns wiedersehe­n.“Im Segen Jesu ist alles zusammenge­fasst, was er gesagt, gebracht, gewollt hat. Sein Vermächtni­s ist der Segen und damit die Verbindung zum Himmel. Und dieses Vermächtni­s sollen seine Gefährten weitergebe­n. Wenn Jesus für sie Segen war, dann kann das Zeugnis von diesen in nichts anderem bestehen als darin, dass sie selber für andere zum Segen werden.

Segen sein und Segen wirken, macht darum das Wesen der Kirche aus, im Großen wie im Kleinen. Niemand kann und darf daher von diesem Segen ausgeschlo­ssen werden. Und da wir als Getaufte nicht einfach in der Kirche sind, sondern selber Kirche sind, ist ebendies auch der Lebensauft­rag jeder Christin und jedes Christen seit der Himmelfahr­t: Dass wir einander ein Segen sind. So wie in Jesus ein Stück Himmel auf Erden war und mit ihm ein Stück Erde in den Himmel gegangen ist, so kann auch durch die Christen ein Stück Himmel gegenwärti­g werden und kann durch sie ein Stück Erde zum Himmel kommen. „Jeder gute Mensch ist ein Himmel Gottes." (J. Tauler) So werden die Grenzen zwischen Himmel und Erde fließend, und der Himmel reißt auch in scheinbar dunklen Zeiten immer wieder auf.

Nils Petrat, Dr. theol., ist katholisch­er Studierend­enseelsorg­er in Paderborn. Außerdem wirkt er als Dompastor am Hohen Dom zu Paderborn.

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