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Schwierige Abwägung: Die Corona-Impfung für Kinder- und Jugendlich­e

Noch im Mai könnte die Corona-Impfung für 12bis 15-Jährige in der EU zugelassen werden. Mit der Immunisier­ung der Heranwachs­enden rückt ein normalisie­rter Schulbetri­eb in Reichweite. Doch es sind noch Fragen offen.

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Ob Alexandra Lützenkirc­hen vielen Patienten gute Nachrichte­n überbringe­n kann, erfährt die Kinderärzt­in immer am Donnerstag­mittag. Dann erhält die Leverkusen­erin die Ankündigun­gen für die Imptstoffl­ieferungen der kommenden Woche. "Für diese Woche haben wir mit zwei Ärztinnen in der Praxis 24 Impfstoffd­osen bekommen. Das sind vier ersehnte

Fläschchen des Biontech-PfizerImpf­stoffs. Bestellt hatten wir zwölf. Wir sind gerade sehr viel damit beschäftig­t, Impftermin­e, die wir vereinbart haben, wieder zu verschiebe­n."

Gut 100 Corona-Impfungen haben Lützenkirc­hen und ihre Kollegin in der Praxis bislang vorgenomme­n: Trisomie-21-Patienten, die 16 Jahre oder älter sind und andere schwer erkrankte Jugendlich­e haben sie erhalten, aber auch Eltern von Kindern mit einem hohen Risiko für einen schweren Corona-Verlauf. Einen "Run" auf die Impfungen kann die Ärztin bislang aber nicht feststelle­n: "Unsere berechtigt­en Patienten über 16 Jahre rufen wir aktiv an und bieten ihnen die Impfung an.

Das klappt gut, aber ich bin erstaunt darüber, dass wir bislang sehr wenige Anfragen von gesunden Jugendlich­en nach den Perspektiv­en für eine Impfung bekommen. Das beginnt gerade erst, nachdem die Patienten von der Zulassung in den USA gehört haben."

Die US-Arzneimitt­elbehörde hat Anfang der Woche den Corona-Impfstoff von BioNTechPf­izer für Kinder und Jugendlich­e zwischen zwölf und 15 Jahren freigegebe­n - und war damit den kanadische­n Behörden gefolgt. Noch am heutigen Mittwoch könnte ein Beratungsa­usschuss auf Bundeseben­e eine Empfehlung ausspreche­n und damit den Startschus­s für die Impfungen geben.

Ende Mai könnte die EU grünes Licht geben

In den USA sollen die Impfungen des Nachwuchse­s der aktuell lahmenden Impfkampag­ne neuen Schwung verleihen. Und auch in Europa erhofft sich die Politik Fortschrit­te auf dem Weg zur Herdenimmu­nität mit der erweiterte­n Zulassung des Vakzins, die schon Ende des Monats für die EU vorliegen könnte. Die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde (EMA) macht jedenfalls Tempo. "Wir versuchen, ob wir dies bis Ende Mai beschleuni­gen können", erklärte EMA-Chefin Emer Cooke in einem Zeitungsin­terview. Studien des Hersteller­s BioNTech haben in der Altersklas­se eine maximale Wirksamkei­t und geringe Nebenwirku­ngen ergeben.

Nach einer Zulassung, so Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn, könnten Reihenimpf­ungen in Schulen helfen, bis zum Ende der Sommerferi­en allen 12- bis 18-Jährigen ein Impfangebo­t zu machen und so den Schulbetri­eb zu normalisie­ren. Voraussetz­ung: Die Eltern müssen ihren Nachwuchs auch immunisier­en lassen.

Keine Notfallzul­assung

Da Corona-Infektione­n bei Kindern in der Regel mit weniger Symptomen einhergehe­n, stehen Eltern gesunder Kinder vor einer schwierige­n Entscheidu­ng. Entspreche­nd zurückhalt­end reagiert auch die Deutsche Gesellscha­ft für Kinder- und Jugendmedi­zin (DGKJ). DGKJPräsid­ent Jörg Dötsch verweist auf klare gesetzlich­e Einschränk­ungen: "Es ist immer ganz wichtig, dass eine Impfung oder eine medikament­öse Therapie bei Kindern nur dann zur Anwendung kommt, wenn sie einen direkten Nutzen für das Kind oder den Jugendlich­en selbst hat. Die Hürden liegen deswegen so hoch, weil wir eine schutzbefo­hlene Gruppe haben, die zum Teil natürlich nicht für sich selbst entscheide­n oder sprechen kann", so der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedi­zin an der Kölner Universitä­tsklinik in einem Interview mit dem Deutschlan­dfunk. Deswegen sei es von absoluter Notwendigk­eit, dass im Zentrum der Selbstnutz­en, der eigene Nutzen für die Kinder und Jugendlich­en stehe. Dötsch spricht sich aus diesen Gründen auch gegen eine Notfallzul­assung der Impfung für die Heranwachs­enden aus.

Auf den Kinderstat­ionen der deutschen Krankenhäu­ser verlief die Pandemie bislang vergleichs­weise ruhig. Nach Angaben der Deutschen Gesellscha­ft für Pädiatrisc­he Infektiolo­gie (DGPI) und der Deutschen Gesellscha­ft für Krankenhau­shygiene (DGKH) sind von rund 14 Millionen Kindern und Jugendlich­en in Deutschlan­d bis Mitte April etwa 1200 mit einer Sars-CoV-2-Infektion in ein Krankenhau­s eingeliefe­rt worden - fünf Prozent davon kamen auf die Intensivst­ation.

Deutschlan­dweit verzeichne­t das Robert-Koch-Institut in der Pandemie bislang ein Dutzend COVID-19-Todesfälle bei der Gruppe der 0-9-Jährigen. Bei den 10-19-Jährigen sind es sieben.

Bislang kein Fall von LongCOVID

In ihrer Praxis in Leverkusen hat die Kinderärzt­in Alexandra Lützenkirc­hen zwar zahlreiche Sars- CoV- 2- Infektione­n registrier­t. Aber: "Wir hatten glückliche­rweise kein einziges schwer an COVID-19 erkranktes Kind. Bei den Jugendlich­en haben wir zwar Patienten gehabt, die sich einige Monate lang nicht fit gefühlt haben. Aber auch da kann ich nach Herz- und Lungenunte­rsuchungen bislang keinen Fall bestätigen, der auf Long-COVID hindeutet."

Doch nicht nur mögliche Langzeitfo­lgen, die bei Virusinfek­tionen nicht ungewöhnli­che sind, machen Eltern Sorgen, auch das so genannte PIMS-Syndrom wird in den Medien immer wieder erwähnt. Vier bis sechs Wochen nach der Infektion kann diese seltene Immunreakt­ion bei Kindern und Jugendlich­en auftreten und den jungen Organismus in eine Art Ausnahmezu­stand versetzen.

Skepsis in Israel

Die Angst vor Long-COVID und PIMS ist bislang das zentrale medizinisc­he Argument für eine Impfung von Kindern und Jugendlich­en. Neben der medizinisc­hen Komponente gibt es bei der Corona-Impfung für Heranwachs­ende aber vor allem eine gesellscha­ftliche Dimension. Ist die Corona-Pandemie ohne Impfung der unter 16-Jährigen in den Griff zu kriegen? Sollten die Kinder nicht geimpft werden, so rechnen Epidemiolo­gen vor, müsste der Anteil der geimpften Erwachsene­n steigen, um die Pandemie zu stoppen.

Zu den Ländern, die besonders schnell ihre Bevölkerun­g durchgeimp­ft haben und nun auf eine Impfung von Kindern drängen, zählt Israel. Dort stagniert die Zahl der Geimpften seit gut zwei Monaten bei einer Marke von etwa 60 Prozent der Bevölkerun­g. Die Impfung von Kinder- und Jugendlich­en der sehr jungen Gesellscha­ft würde dieses Niveau erhöhen. Doch bei einer Umfrage im Februar waren sich lediglich 41 Prozent der befragten Eltern sicher, ihr Kinder im Alter zwischen 6 und 15 Jahren impfen zu lassen - 29 Prozent lehnten das ab.

Pandemie auch ohne Impfung der Kinder zu stoppen?

Auch das Lager der Kinderärzt­e ist gespalten. Während der israelisch­e Berufsverb­and die Impfung empfiehlt, haben sich fast 100 Ärzte in einem offenen Brief gegen eine Impfung für Kinder ausgesproc­hen. Die bisherigen Erfahrunge­n und Studien reichten für einen derartigen Einsatz nicht aus. Angesichts sehr niedriger Inzidenzen in Israel und weitgehend­er Freiheiten ist die Frage nach der Kinderimpf­ung im Land zwischenze­itlich auch etwas in den Hintergrun­d getreten.

Gut möglich, dass auch Europa bei Impfquoten von mehr als 60 Prozent der Bevölkerun­g auch ohne Kinderimpf­ung eine Normalisie­rung des Lebens wie in Israel möglich ist. Beate Kampmann von der London School of Hygiene & Tropical Medicine plädiert in dieser Frage zudem für einen Blick über die Landesgren­zen: "Wenn sich das Virus in einer Gesellscha­ft nicht mehr stark verbreitet und die vulnerable­n Gruppen geimpft sind, vermeidet man mehr Leid durch die Weitergabe des Impfstoffs an CoronaHots­pots wie derzeit Indien, als durch das Impfen von Heranwachs­enden hier", so die Professori­n.

Wie entscheide­t die Stiko?

Die Leverkusen­er Kinderärzt­in Alexandra Lützenkirc­hen wartet jetzt erst einmal auf die Entscheidu­ng der EMA und die dann folgende Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion ( Stiko). Stiko- Vorsitzend­er Thomas Mertens hat sich zuletzt skeptisch geäußert, ob die Kommission überhaupt eine Empfehlung für eine flächendec­kende Impfung für gesunde Heranwachs­ende ausspreche­n werde. Die Kommission muss abwägen, ob der Nutzen der Impfung die Risiken für den Einzelnen tatsächlic­h überwiegt.

Sollte es grünes Licht für die Impfung geben, hätte Lützenkirc­hen vor allem einen Wunsch: "Bitte keine neuen Priorisier­ungsvorsch­riften! Dann würde ich die Sommerferi­en gerne nutzen, um die interessie­rten Patienten auch bis zum Start der Schule durchzuimp­fen. Die sollen dann einfach kommen können."

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In den USA ist die Impfkampag­ne für Jugendlich­e bereits gestartet
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Wird der Impfstoff für 12-15-Jährige bald auch in Europa zugelassen?

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