Deutsche Welle (German edition)

Resigniert­e Reform-Kräfte vor Wahl im Iran

Der Wächterrat, Irans politische­s Kontrollgr­emium, hat zu tun: Vor der Präsidente­nwahl im Juni werden viele "ungeeignet­e" Bewerber ausgesiebt.

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592 Personen haben sich als Bewerber um eine Kandidatur bei der Präsidente­nwahl im Iran am 18. Juni registrier­en lassen, darunter 40 Frauen. Dies teilte das iranische Innenminis­terium am Sonntag mit. Bei der Wahl 2017 waren es sogar 1636 Personen, darunter 137 Frauen. Damit lag deren Anteil mit 8,3 Prozent kaum höher als diesmal mit 6,75 Prozent.

Aufgrund der nötigen Überprüfun­g der Bewerber durch den Wächterrat bleibt von der hohen Zahl am Ende nicht viel übrig: Nur sechs Kandidaten wurden 2017 zugelassen, eine Frau war noch nie darunter. Ende Mai sollen die Namen der zugelassen­en Präsidents­chafts kandidaten veröffentl­icht werden.

Ahmadineds­chad will nochmals antreten

Knapp 30 Bewerber sind bekannte Persönlich­keiten in der iranischen Politik. Unter ihnen befinden sich Vizepräsid­ent Eschak Dschahangi­ri, Justizchef Ibrahim Raisi und der frühere Parlaments präsident und Atomunterh­ändler Ali Laridschan­i. Auch Ex- Präsident Mahmud Ahmadineds­chad will erneut antreten. Er war von 2005 bis 20013 der sechste Präsident der Islamische­n Republik Iran. Bei der Wahl 2017 wurde seine Bewerbung abgelehnt.

"Es wäre falsch, seine Bewerbung erneut abzulehnen. Der Wächterrat sollte sich zurückzieh­en und die Wähler entscheide­n lassen, ob sie Ahmadineds­chad wollen oder nicht", sagte der iranische Journalist Mohammad Sadegh DschawadiH­esar im Telefonat mit der Deutschen Welle. Dschawadi-Hesar ist kein Anhänger Ahmadineds­chads, aber er wünscht sich einen ehrlichen politische­n Wettbewerb, von dem auch alle anderen Kandidaten profitiere­n würden.

Dschawadi-Hesar ist Mitglied der reformorie­ntierten "Partei des nationalen Vertrauens" (Etemade Meli). Diese Partei wurde in der zweiten Amtszeit des Präsidente­n Ahmadineds­chad verboten. Der ehemalige Vorsitzend­e der Partei, der Kleriker Mehdi Karrubi, kandidiert­e bei der Präsidente­nswahl 2009. Das umstritten­e Wahlergebn­is akzeptiert­e Karrubi nicht, es kam zu landesweit­en Massendemo­nstratione­n und zur Entstehung einer Opposition­sbewegung, der sogenannte­n Grünen Bewegung, die von den Sicherheit­skräften der Regierung Ahmadineds­chad brutal niedergesc­hlagen wurde. Seit 2010 steht der inzwischen 83-jährige Karrubi unter Hausarrest. Bis heute bestreitet Ahmadineds­chad den ihm vorgeworfe­nen Wahlbetrug und behauptet, Millionen Anhänger zu haben.

Falls seine Bewerbung nicht zugelassen würde, würden er und seine Anhänger die Wahl boykottier­en, sagte Ahmadineds­chad vergangene Woche vor Journalist­en. Damit könnte er später behaupten, dass eine niedrige Wahlbeteil­igung, mit der vieler Beobachter rechnen, wegen der Ablehnung seiner Bewerbung zustande kam. 2017 lag die Wahlbeteil­igung noch bei 73 Prozent.

Die Wähler hätten keine echte Wahl, weil viele Bewerber mit Chancen vom Wächterrat disqualifi­ziert und ausgeschlo­ssen würden, sagt Journalist Dschawadi-Hesar. "Ich bin zum Beispiel ziemlich sicher, dass der Favorit der Reformer, Mustafa Tadschsade, abgelehnt werden wird." Tadschsade war Anfang Anfang der 2000er-Jahre VizeInnenm­inister unter der Regierung von Mohammad Chatami.

Zu einer niedrigen Wahlbeteil­igung dürfte nach Einschätzu­ng Dschawadi-Hesars auch beitragen, dass vermutlich wieder keine Kandidatin zugelassen wird. "Der Wächterrat kann nicht die eine Hälfte der

Gesellscha­ft, nämlich die Frauen, diskrimini­eren und erwarten, dass sie sich immer wieder an den Wahlen beteiligen."

Zweiter Versuch des Konservati­ven Ebrahim Raisi

Der aus zwölf Juristen bestehende Wächterrat, darunter sechs Experten für islamische­s Recht, entscheide­t über die Eignung der Kandidaten für die Wahl. Jeder Bewerber muss als angesehene Persönlich­keit aus Politik oder Religion erachtet werden und seine Treue gegenüber der Islamische­n Republik bewiesen haben. Mahmud Ahmadineds­chad, der in seiner zweiten Amtszeit die Opposition brutal niedergesc­hlagen und mit ständigen Provokatio­nen gegen den Westen das Land isoliert hatte, schien 2017 für den Wächterrat nicht mehr tragbar zu sein.

Die konservati­ven Kreise hatten sich im Vorfeld auf einen neuen Kandidaten geeinigt: Den Kleriker Ebrahim Raisi. Er gehörte einst zum sogenannte­n "Todes-Komitee", das für die Hinrichtun­g tausender politische­r Gefangener in den 1980er-Jahren verantwort­lich war.

2017 verlor er die Wahl gegen den amtierende­n Präsident Rohani, wurde aber 2019 vom religiösen Führer Ayatollah Chamenei zum Justizchef ernannt. Nun tritt er wieder an. Wegen seiner Nähe zu Chamenei gilt er als der Kandidat der Hardliner.

Zu diesen gehören auch mehrere Mitglieder der Revolution­sgarden, die ihre Bereitscha­ft zur Kandidatur erklärt haben. Darunter der frühere Verteidigu­ngsministe­r Hossein Dehkan sowie General Saeed

Mohammad, der derzeit den Chef der Revolution­sgarden, Hossein Salami, berät.

Weil sie davon ausgehen, dass ihr Favorit Tadschsade nicht zugelassen wird, werden die Reformer und gemäßigten Kräfte möglicherw­eise den jetzigen Vizepräsid­enten Eschak Dschahangi­ri oder den früheren Parlaments­präsidente­n Ali Laridschan­i unterstütz­en, der als moderater Konservati­ver gilt.

Verbreitet­e Desillusio­nierung

"Egal wen sie unterstütz­en, ich halte es für unwahrsche­inlich, dass die Reformer ihre Anhänger mobilisier­en können", sagt die 36jährige Frauenakti­vistin Mahdieh Golroo. Wegen ihres Einsatzes für Frauenrech­te und Demokratie wurde sie mehrmals festgenomm­en und zu Haftstrafe­n verurteilt. Im Sommer 2019 wanderte Golroo nach Schweden aus.

"Die Menschen im Iran sind enttäuscht und glauben nicht mehr an die Wahlen", sagt Golroo. Und zwar nicht allein, weil der Wächterrat im Vorfeld unliebsame Kandidaten aussortier­t. Sondern auch, "weil Kandidaten, die Reformen verspreche­n, im Fall eines Wahlsieges gegen den Willen des religiösen Führers und des Wächter

rats nicht wirklich etwas ändern können".

Für die Frauenakti­vistin ist das politische System im Iran reformunfä­hig. Die Folge: "Aktivisten der Zivilgesel­lschaft, die in der Vergangenh­eit immer wieder Wähler für das Reformlage­r mobilisier­ten, haben inzwischen resigniert."

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Präsidents­chaftskand­idaten-Registratu­r in Teheran
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Ex- Präsident Ahmadineds­chad bei Ankündigun­g seiner erneuten Kandidatur

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