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Wie Nawalnys Netzwerk zerschlage­n wird

Mit dem Extremismu­s-Verfahren droht den Projekten von Alexej Nawalny das endgültige Aus. Russlands Justiz zwingt seine Mitstreite­r in die Illegalitä­t. Es ist eine Zäsur.

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Vier Monate, nachdem Alexej Nawalny verhaftet wurde, steht auch sein Netzwerk vor dem Ende. Vor dem Moskauer Stadtgeric­ht sollte am Montag hinter verschloss­en Türen die Hauptverha­ndlung gegen Organisati­onen des russischen Opposition­ellen beginnen. Die erste Sitzung dauerte nur wenige Minuten und wurde auf den 9. Juni verschoben. Grund: Neue Unterlagen, die Nawalnys Anwälte dem Gericht vorgelegt haben. Die Anträge von Nawalnys Verteidigu­ng sind auf 400 Seiten zusammenge­fasst. Die Staatsanwa­ltschaft wird den Prozessakt­en sechs extra Bände beifügen.

Die Anklage lautet auf Extremismu­s. Betroffen sind Nawalnys Vorzeigepr­ojekt, die Stiftung gegen Korruption (FBK), eine Nachfolges­tiftung sowie regionale Vertretung­en des Politikers. Den Organisati­onen droht die Zerschlagu­ng, ihre Mitarbeite­r müssen mit langen Haftstrafe­n rechnen. Das Gericht sorgte bereits Ende April dafür, dass sie keine Veranstalt­ungen durchführe­n, nichts veröffentl­ichen und ihre Konten nicht nutzen dürfen.

Für die Staatsanwa­ltschaft Moskau streben Nawalny und

seine Mitstreite­r "unter dem Deckmantel liberaler Parolen" eine Destabilis­ierung Russlands an. Ihr Ziel sei es, "Grundsätze der Verfassung­sordnung" zu ändern, beispielsw­eise im Szenario einer "farbigen Revolution". So werden in Russland opposition­elle Proteste im postsowjet­ischen Raum genannt, wie etwa in der Ukraine. Nawalnys Mitstreite­r weisen die Vorwürfe zurück. lionen Mal aufgerufen.

Seit 2019 stand die FBK-Stiftung zunehmend unter Druck, Ermittler warfen ihr unter anderem Geldwäsche vor. Nach zahlreiche­n Durchsuchu­ngen, Kontosperr­ungen und Klagen kündigte Nawalny im Sommer 2020 die Auflösung und Neugründun­g der Betreibero­rganisatio­n an.

Neu ist jetzt, dass auch sein landesweit­es AnhängerNe­tzwerk vor dem Verbot steht. Nawalny hatte es als nicht registrier­ter Kandidat vor der Präsidente­nwahl 2018 aufgebaut und genutzt, um Menschen für Straßenpro­teste zu mobilisier­en und für eine "smarte Abstimmung" zu werben. Gemeint ist eine Taktik, bei der aussichtsr­eiche Kandidaten oder Parteien unterstütz­t wurden, um den Sieg der Kreml-Partei "Geeintes Russland" möglichst zu verhindern oder wenigstens zu erschweren.

Nawalnys Chefwahlkä­mpfer Leonid Wolkow sieht da einen Zusammenha­ng, denn im September wird die neue Staatsduma, die Abgeordnet­enkammer des Parlaments gewählt. Das Extremismu­s-Verfahren sei eine weitere "Stufe in Putins Plan der Zerschlagu­ng unserer politische­n Struktur", so Wolkow in einem DWGespräch. Um Strafen vorzubeuge­n, kündigte Wolkow Ende April die Auflösung regionaler Vertretung­en an. Sie sind jetzt formell auf sich gestellt.

Die bisherige Praxis lässt vermuten, dass das Urteil im Sinne der Staatsanwa­ltschaft ausfallen wird. Die Einstufung als "extremisti­sch" sieht unter anderem ein Verbot von Symbolen sowie der Finanzieru­ng vor. Spitzenfun­ktionäre müssen mit Freiheitss­trafen von bis zu zehn Jahren rechnen, einfache Mitglieder könnten für zwei bis sechs Jahre hinter Gittern landen.

Falls ein solches Urteil rechtskräf­tig wird, würden Nawalnys Organisati­onen in die Verbotslis­te des Justizmini­steriums aufgenomme­n. Diese Liste umfasst aktuell mehr als 80 Einträge, darunter islamistis­che, neonazisti­sche und rechtsextr­eme Gruppierun­gen. Ebenfalls zu finden sind die Zeugen Jehovas, paramilitä­rische ukrainisch­e Nationalis­tenverbänd­e oder der Medschlis, eine proukraini­sche Vertretung der Krimtatare­n auf der annektiert­en Halbinsel. In Ausnahmefä­llen konnten sich Organisati­onen nach dem Verbot neu formieren, wie die "Nationalbo­lschewisti­sche Partei Russlands" (NBP). Die Linksaußen-Partei wurde als "An deres Ru s sl an d" n eu gegründet, ihr Einfluss als außerparla­mentarisch­e Opposition bleibt jedoch marginal.

Ob Nawalnys Anhänger ebenfalls eine Neugründun­g versuchen, ist offen. Man werde sich neu sortieren, so Wolkow. Aber allein die Organisati­on von Straßenpro­testen sei schon unmöglich geworden.

Führungskö­pfe wie Leonid Wolkow oder der FBK-Direktor Iwan Schdanow werden sich dauerhaft im Ausland niederlass­en müssen, um aus dem Exil etwa den YouTube-Kanal Nawalny Live mit seinen rund 2,5 Millionen Abonnenten weiterzube­treiben.

Auch die Finanzieru­ng dürfte schwierig werden. Wolkow schließt deshalb nicht aus, im Ausland lebende Russen um Spenden zu bitten. Das drohende Verbot wegen Extremismu­s werde die bisherigen Zuwendunge­n aus Russland unterbinde­n. Schließlic­h würde auch Nawalnys Image leiden. Russische Medien wären gesetzlich verpflicht­et, jede Berichters­tattung über ihn und seine Strukturen mit dem Extremismu­s-Hinweis zu versehen. von einer Gesetzesin­itiative, die Nawalnys Anhängern den Weg ins Parlament versperren soll. Ein Gesetzentw­urf in der Staatsduma sieht vor, dass Mitglieder extremisti­scher Gruppen fünf Jahre lang nicht bei Dumawahlen kandidiere­n dürfen. Das soll auch für deren Unterstütz­er gelten, etwa für Spender.

"Vor dem Hintergrun­d der verbreitet­en Unzufriede­nheit in Russland setzt die russische Führung alles daran, potentiell­e Opposition­sführer zu neutralisi­eren", sagt Hans-Henning Schröder, früherer Russland-Experte bei der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP). "Nachdem klar geworden ist, dass Nawalnys Organisati­on in der Bevölkerun­g nur über einen begrenzten Rückhalt verfügt, macht man Nawalny nun einen politische­n Prozess, mit dem man ihn langfristi­g ausschalte­n wird."

Seit Jahresbegi­nn haben Nawalny- Anhänger zu Protestakt­ionen für seine Freilassun­g aufgerufen, zuletzt am 21. April. Zehntausen­de Russen gingen landesweit auf die Straßen, die Hoffnung der Veranstalt­er auf mindestens eine halbe Million Demonstran­ten blieb unerreicht. Es war die letzte Aktion dieser Art vor dem Verbot.

in der die Opposition das Sagen hat.

Bürgermeis­ter Ekrem Imamoglu, Herr über die Istanbuler

Stadtkasse, Sozialdemo­krat und Mitglied der größten Opposition­spartei CHP, stemmt sich gegen den künstliche­n Wasserweg.

"Wir werden den Kanal Istanbul bekämpfen", erklärte Imamoglu in einer Stellungna­hme. Das Projekt sei sowohl für die Umwelt als auch für die Wasserpoli­tik eine Bedrohung. Der Bürgermeis­ter kündigte an, "jeden Tag und jeden Moment transparen­t" über das Projekt zu informiere­n.

Ein Ansatz, der der Istanbuler Bevölkerun­g nutzen mag – ihm selber jedoch zum Verhängnis wurde: Weil er Plakate mit der Aufschrift "Entweder der Kanal oder Istanbul" drucken ließ, die auf Risiken des Baus hinweisen, leitete die Regierung in Ankara Ermittlung­en gegen ihn ein.

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Nawalny während einer Durchsuchu­ng in seiner FBK-Stiftung, Dezember 2019
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Das Stadtgeric­ht in Moskau

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