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GRU: Russische Anschläge in bulgarisch­em Auftrag?

Der mutmaßlich von russischen GRU-Agenten vergiftete bulgarisch­e Waffenhänd­ler Emilian Gebrew erhebt schwere Vorwürfe: Die Auftraggeb­er kämen aus Bulgarien. Geheimdien­stexperten widersprec­hen.

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Russlands Militärgeh­eimdienst GRU hat eine Blutund Anschlagss­pur in Europa hinterlass­en. Darüber gelangen, nicht zuletzt Dank der Recherchen des Investigat­ivportals "Bellingcat", in jüngster Zeit immer mehr Einzelheit­en an die Öffentlich­keit. Neben Tschechien steht dabei seit Neuestem auch Bulgarien wieder im Fokus: Die GRU soll dort zwischen 2011 und 2020 vier Sabotageak­tionen in Waffenlage­rn unternomme­n haben. Bereits länger bekannt war, dass die GRU 2015 offenbar auch einen Giftanschl­ag auf den Waffenhänd­ler Emilian Gebrew und seinen Sohn verübt hatte.

Doch nun erheben ausgerechn­et Gebrew und seine Firma EMKO schwere Vorwürfe gegen die vor kurzem abgewählte rechtskons­ervative Regierung unter dem Premier Bojko Borissow, der Bulgarien mehr als ein Jahrzehnt lang regierte. "Die Täter des 'bulgarisch­en Nowitschok-Anschlags' mögen von der GRU sein, ihre Auftraggeb­er aber sind in Bulgarien", heißt es in einer Stellungna­hme, die EMKO Ende April veröffentl­ichte. "Die Spuren reichen bis in die hohen Etagen der Macht."

Mit diesen schwerwieg­enden Anschuldig­ungen reagierte EMKO auf Ermittlung­en des bulgarisch­en Generalsta­atsanwalts Iwan Geschew, der seit langem umstritten ist, weil er in zahlreiche­n Korruption­sfällen der Borissow-Ära entweder nicht oder nur sehr oberflächl­ich ermittelt hat.

Geschew hatte Ende April GRU-Agenten für den Giftanschl­ag auf Gebrew und die Sabotageak­tionen in bulgarisch­en Waffenlage­rn verantwort­lich gemacht und verkündet, die Staatsanwa­ltschaft habe auch Beweise dafür. Damit folgte er den Enthüllung­en von Bellingcat, das seit über zwei Jahren die Spur mehrerer GRU-Agenten bei Giftmordan­schlägen und Sabotageak­ten in Europa verfolgt.

Erst im April 2021 hatte die tschechisc­he Regierung russische GRU-Agenten für einen Sprengstof­fanschlag auf ein Munitionsd­epot nahe des Ortes Vrbětice, bei dem zwei Unbeteilig­te starben, verantwort­lich gemacht. Fast zeitgleich hatte Bellingcat dazu eigene Recherchen veröffentl­icht. In dem Depot bei Vrbětice sollen Waffen gelagert worden sein, die offenbar für den Export in die Ukraine bestimmt gewesen waren. Eigentümer und Exporteur dieser Waffen war nach Recherchen von Bellingcat EMKO.

Gebrews Reaktion auf die Enthüllung­en und die Aussagen der bulgarisch­en Staatsanwa­ltschaft sorgen jedoch für Verwirrung: Denn die Opfer der mutmaßlich russischen Anschläge widersprec­hen vehement. In einer Reihe von Dementis bestritten sie nahezu jedes Detail: dass die Waffen in Vrbětice Eigentum von EMKO waren; dass sie für den Export bestimmt gewesen seien; dass in allen vier Waffenlage­rn in Bulgarien, bei denen es zu Feuern und Explosione­n kam, Waren von EMKO gelagert worden seien.

Und schließlic­h beschuldig­t EMKO die bulgarisch­e Regierung sogar, die Giftanschl­äge auf Gebrew beim russischen Geheimdien­st "bestellt" zu haben. Das angebliche Motiv: Die Regierung von Borissow habe einen unliebsame­n Konkurrent­en regierungs­treuer Firmen auf dem bulgarisch­en Waffenmark­t beseitigen wollen. Bereits früher hatten Gebrew und EMKO Borissows Regierung beschuldig­t, die Aufklärung der Giftanschl­äge zu verzögern.

Starker Tobak also. Doch was ist an den Anschuldig­ungen dran?

Mark Kramer, Bulgarien-Kenner und Direktor des Davis Center für Russische und Eurasische Studien (DCRES) der Universitä­t Harvard, ist skeptisch: "Dass Premiermin­ister Borissow auf die GRU als seine persönlich­e Mördertrup­pe zurückgegr­iffen haben soll, ist hochgradig unglaubwür­dig", sagt er der DW. "Borissow ist eine unangenehm­e Figur, die Bulgarien ein Jahrzehnt lang schlecht regiert hat, aber diese Anschuldig­ungen sind sehr weit hergeholt."

Zugleich sieht Kramer keinen triftigen Grund, warum die bulgarisch­e Regierung nach 2019 Informatio­nen über die Anschläge zurückhiel­t und auch weiterhin nur bestätigt, was Bellingcat und die tschechisc­he Regierung längst verkündet haben.

Mark Galeotti, Experte für russische Geheimdien­ste vom University College London (UCL), hält eine Beauftragu­ng der GRUAgenten durch bulgarisch­e Stellen ebenfalls für unglaubwür­dig.

Er vermutet den Grund dafür, warum die Ermittlung­en in Bulgarien nur zögerlich vorankomme­n, darin, so sagt er der DW, "dass die bulgarisch­e Regierung bis vor kurzem relativ glücklich war, nicht genau zu wissen, was passiert ist, um nicht gegen Russland vorgehen zu müssen."

Die Auftraggeb­er der Anschläge in Bulgarien sehen Kramer und Galeotti einstimmig in Moskau: "Nach einigen Angaben war EMKO die einzige Firma, die Nachschub nach Georgien und in die Ukraine verkaufte und auch auf die Waffenmärk­te in Asien und Afrika drängte. Also statuierte­n russische Stellen ein Exempel und nahmen sowohl Gebrew als auch seine Waffen ins Visier", so Kramer. Dabei, so der an den Enthüllung­en beteiligte Bellingcat-Journalist Christo Grozew im Gespräch mit der DW, habe die GRU in Bulgarien aber auf "Insider und Helfer zurückgegr­iffen".

Dass Bulgarien in den letzten Jahren vermehrt zum Schauplatz riskanter russischer Geheimdien­staktionen geworden ist, hält Kramer nicht für einen Zufall: "Die strategisc­he Bedeutung Bulgariens ist nach dem Ende des Kalten Krieges gewachsen. Die Südflanke der NATO ist heute strategisc­h wichtiger als Zentraleur­opa, und durch den türkisch-griechisch­en Konflikt steigt die Bedeutung Bulgariens."

Diese Bedeutung wird auch dadurch unterstric­hen, dass die NATO mit "Defender-Europe 21" derzeit ein europaweit­es MilitärMan­över abhält, unter anderem im Schwarzen Meer. Ein klarer Fingerzeig in Richtung Moskau.

Sorge bereitet Experten jedoch der große russische Einfluss in Bulgarien. Neben den traditione­llen kulturelle­n Verbindung­en spielen für Kramer zwei Faktoren eine wichtige Rolle: Die bulgarisch­e Abhängigke­it von russischem Gas und russischer Kernkraftt­echnologie wie auch der große Einfluss moskautreu­er ehemaliger kommunisti­scher Kader in Politik, Wirtschaft, Armee und Geheimdien­sten. Wozu dies führen kann, so Kramer, habe der Fall des im März 2021 aufgedeckt­en russischen Spionageri­ngs gezeigt.

"Bulgarien ist eines der schwachen Glieder in der NATO, aber nicht das besorgnise­rregendste. Ich habe viele Gespräche in Bulgarien geführt und bin überzeugt, dass man sich des Ernstes der Lage bewusst ist. Ich hoffe, Bulgarien wird bei der Lösung dieser Probleme erfolgreic­h sein, ansonsten wird die Rolle des Landes in der NATO sehr geschwächt", sagt Kramer. Der internatio­nale Druck und die Aufmerksam­keit für das derzeit in einer innenpolit­ischen Krise verharrend­e Land werden in naher Zukunft also kaum nachlassen.

 ??  ?? Der bulgarisch­e Waffenhänd­ler Emilian Gebrew überlebte 2015 einen Giftanschl­ag
Der bulgarisch­e Waffenhänd­ler Emilian Gebrew überlebte 2015 einen Giftanschl­ag
 ??  ?? Bulgariens Generalsta­atsanwalt Geschew (2.v.r.) verkündet eine Anklage gegen sechs Personen wegen Spionage für Russland
Bulgariens Generalsta­atsanwalt Geschew (2.v.r.) verkündet eine Anklage gegen sechs Personen wegen Spionage für Russland

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