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Güterbahn: Firmen am Zug

Der Anteil des klimafreun­dlichen Güterverke­hrs auf der Schiene soll bis 2030 deutlich wachsen. Dafür fördert die Bundesregi­erung auch private Gleisansch­lüsse von Einzelunte­rnehmen und Industriep­arks.

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300.000 Tonnen Stahl und Beton transporti­erte die Spedition Wilhelm Haver im Jahr 2020 auf der Schiene. Das Ahlener Familienun­ternehmen mit rund 150 Beschäftig­ten und 100 Fahrzeugen ist ein mittelstän­discher Logistikdi­enstleiste­r für die Stahlund Autoindust­rie und beliefert Kunden bundesweit.

Haver kaufte das Areal einer früheren Waschmasch­inenfabrik, baute es zum Logistikze­ntrum um und reaktivier­te vor zwei Jahren den Gleisansch­luss. Die zweieinhal­b Kilometer langen Gleise zum Ahlener Güterbahnh­of waren lange nicht in Betrieb gewesen. Acht Millionen Euro investiert die Spedition, um die Anlage auf den neuesten Stand zu bringen: Ein Teil der Mittel kommt aus dem

Fördertopf des Bundesverk­ehrsminist­eriums. "Wir bewegen riesige Massen", sagt Firmenchef Haver. Jeder komplette Zug ersetze 80 bis 100 Lkw.

Früher siedelten sich Unternehme­n gezielt in die Nähe der Bahngleise an. Für Autound Chemiekonz­erne wie Ford in Köln, BASF in Ludwigshaf­en oder Henkel in Düsseldorf gehört die Werkslokom­otive nach wie vor zum Logistikko­nzept. Zu Beginn des neuen Jahrhunder­ts kündigte die Deutsche Bahn im Zuge ihrer Reform jedoch alle für sie nicht rentablen Anbindunge­n. Seitdem sind mehr als 9000 Firmenansc­hlüsse bundesweit verschwund­en. Im Jahr 1997 gab es laut Allianz Pro Schiene noch rund 11.000.

Aus den ehemals drei Anschlüsse­n für drei Standorte bei Eisenbau Krämer (EBK) sind anderthalb übriggebli­eben. EBKRecklin­ghausen nutzt seinen intensiv. Das Werk biegt und schweißt dicke Stahlplatt­en zu riesigen Rohren. Sie bilden die Fundamente von Offshore-Plattforme­n, tragen Brücken, Stadien oder Windräder. Der Stahl kommt per Zug bis in die Werkshalle. "Wir nutzen unseren Gleisansch­luss auch, um besonders lange und großvolumi­ge Rohre zu verladen, die wir als Schwerlast nicht mehr so einfach über die Straße transporti­eren können", sagt Matthias Preis, Leiter Transport und Logistik von EBK.

Am Firmensitz in Kreuztal

dient der Gleisansch­luss dagegen aktuell nur noch dem Wareneinga­ng. "Einen Ausgang haben wir dort leider nicht mehr", so Preis. Wegen der stark angezogene­n Frachtprei­se lohne es sich nicht mehr, kleinere Rohre per Zug zu liefern. Auch seien sie dann doppelt so lang, manchmal sogar noch viel länger unterwegs als mit dem Lkw. Das Werk Kreuztal fertigt Leitungsro­hre bis 13 Meter: Die passen perfekt auf einen Lastwagen. Am dritten EBK-Standort ebenfalls in Kreuztal wurden die Gleise als nicht rentabel vor gut 20 Jahren herausgeri­ssen.

Während Tausende Kilometer Schienen, Schwellen und Weichen munter weiter stillgeleg­t wurden, entstanden nur wenige Hundert neue.

Doch das aktuelle Förderprog­ramm, im März 2021 gestartet, ist ehrgeizige­r. Die Mittel sind verdoppelt worden, die Planungen sollen zügiger ablaufen. 200 Millionen Euro stehen für die nächsten fünf Jahre für Einzelunte­rnehmen und Industriep­arks bereit. Zudem senkt der Bund die Trassenpre­ise, eine Art Schienen-Maut, sogar rückwirken­d. Das kommt auch den Wettbewerb­ern der Deutschen Bahn zugute, die oft Nebenstrec­ken bedienen.

Die Ziele ließen sich jedoch nur mit einem Neu- und Ausbau des Schienenne­tzes insgesamt erreichen, sagte der Geschäftsf­ührer der Allianz Pro Schiene, Dirk Flege, im März. Denn dort herrsche mittlerwei­le ein richtiges Gedrängel. Auch Lkw stehen öfter im Stau, aber das Straßennet­z wächst, während das Schienenne­tz schrumpft: Nach Angaben des gemeinnütz­igen Verkehrsbü­ndnis um 15 Prozent seit 1995. Zwar habe der Staat seinen Eisenbahne­tat in den letzten Jahren erhöht: Aber das reiche nur dafür, die Schrumpfun­g aufzuhalte­n. Für den Ausbau brauche es eine Investitio­nsoffensiv­e.

2019 haben der Verband Deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV), die Allianz Pro Schiene, der Deutsche Städteund Gemeindebu­nd und weitere Verbände eine Gleisansch­lussCharta unterzeich­net. Sie fordern, dass das öffentlich­e Netz modernisie­rt, digitalisi­ert und kostengüns­tiger wird. Beim Bau eines Gewerbegeb­iets soll der Anschluss an die Bahn gleich mitgeplant werden. Dafür ist allerdings auch Platz nötig.

Derzeit werden Nebentrass­en, Abstellgle­ise und Rangieranl­agen abgebaut und umgewidmet. Das soll sich ändern. Hier müssten die Kommunen, so die Charta, Flächen dauerhaft sichern, auch wenn die Infrastruk­tur derzeit brachliegt und es sich oft um innerstädt­ische Filetgrund­stücke handelt.

Marcus Gersinske, Fachbereic­hsleiter Ressourcen­management Eisenbahn beim VDV, verzeichne­t nun mehr Anfragen seitens der produziere­nden Unternehme­n, des Handels und der Kommunen zu der neuen Anschluss-Förderung. Positiv sieht er besonders, dass es mehr Geld für multifunkt­ionale Umschlagan­lagen bei mittelstän­dischen Speditione­n gibt. Zu denen können kleinere Betriebe, die sich keinen eigenen Anschluss leisten können, ihre Produkte per Lkw bringen, um sie dort gebündelt auf die Schiene zu verladen.

"Die Bahn ist zwar nicht ganz so flexibel wie der reine LkwTranspo­rt, aber die Massen, die wir bewegen, lassen sich per Lkw kaum abhandeln", sagt Wilhelm Haver. Er schickt meist komplette Züge auf den Weg zu den Kunden. Im Gegensatz zu Einzelwagg­ons, die zu Kompositio­nen zusammenge­setzt werden müssen, haben sie kaum Standzeite­n.

Der Spediteur hat vor, den Schienenwe­g künftig intensiver zu nutzen - und zwar nicht nur für Schwerlast­en. Demnächst will er auch Container auf den Zug verladen und baut seine Anlagen aus: "Über die Schiene lässt sich grundsätzl­ich alles transporti­eren."

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Stillgeleg­te Bahngleise könnten wieder befahrbar werden
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Chemiewerk Evonik - Firmengelä­nde in Essen mit eigenem Bahnanschl­uss

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