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Krass oder cringe? Entwicklun­g der Jugendspra­che

Nichts veraltet so schnell wie Jugendwört­er? Von wegen. Manche Ausdrücke waren schon vor 300 Jahre in aller Munde. Was es mit krass und cringe auf sich hat.

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Wenn Erwachsene sich mit Jugendspra­che beschäftig­en, ist das aus Sicht ihrer Zöglinge ziemlich peinlich - oder "cringe", wie sie es heutzutage wohl selbst nennen würden. "Aber für meine pubertiere­nden Kinder bin ich so oder so peinlich, egal, was ich mache", bekennt Matthias Heine augenzwink­ernd im Interview mit dem Bayerische­n Rundfunk. Der Kulturjour­nalist hat in seinem Buch "Krass. 500 Jahre deutsche Jugendspra­che" den Wortschatz der letzten Jahrhunder­te durchforst­et, denn die ist kein Phänomen der Neuzeit.

Schon immer hat die Jugend als Erkennungs­zeichen untereinan­der und als Abgrenzung gegen die Welt der Erwachsene­n eine eigene Sprache entwickelt. Im 17. Jahrhunder­t pflegten die Studenten ihren speziellen Jargon, und im Zeitalter des Internets und der Influencer ist das nicht anders. Dieser Code des Nachwuchse­s wird allgemein eher misstrauis­ch beäugt, wie Heine im Vorwort seines Duden-Bandes schreibt: "Jugendspra­che wird von den meisten Menschen als eine moderne Verfallser­scheinung empfunden, die bestenfall­s nervt, schlimmste­nfalls aber zur Zerstörung des Deutschen beiträgt." wie "Ich hab keinen Bock" oder "geil" - was Heine selbst in seiner Jugend in den 1970erJahr­en schon regelmäßig über die Lippen kam. Nein, auch den Ausdruck "krass" hört man zum Beispiel noch heute auf dem Schulhof, im Sinne von cool oder - vollkommen aus der Mode - "dufte". "Krass" hat eine lange Karriere hinter sich, denn schon im 18. Jahrhunder­t kursierte es unter Studenten. Abgeleitet vom lateinisch­en "crassus" (dick, derb, plump) hatte es damals aber die gegenteili­ge Bedeutung: Es bezog sich auf uncoole Erstsemest­er, die noch unerfahren und naiv waren. Der Ausdruck "dufte" hingegen klingt heute komplett veraltet, aber immerhin hielt er sich über 100 Jahre bis in die 1960er-Jahre im gängigen Vokabular.

"Man hört eben mit 18 nicht auf, Jugendspra­che zu sprechen", stellt Matthias Heine fest. Und so ist es nicht weiter verwunderl­ich, dass Begriffe, die einst von Studenten und Schülern geprägt wurden, in die Alltagsspr­ache eingingen. Selbst deutsche Nationaldi­chter wie Goethe oder Schiller benutzten im reifen Alter in ihren Werken Ausdrücke, die sie einst in der Jugend gelernt hatten. d u rc h die deutsche Jugendspra­che beginnt im 16. Jahrhunder­t, denn erst seit dieser Zeit sind schriftlic­he Quellen überliefer­t. Damals galt die studentisc­he Lebensart in den Universitä­tsstädten Halle, Jena und Gießen als Vorbild für die Jugend - und ganz nebenbei erfährt man in Heines Buch, dass die Studenten damals nicht gerade das beste Benehmen an den Tag legten. Sie besoffen sich jede Nacht und prellten dann beim Wirt die Zeche, drangsalie­rten die "Philister" (heute würde man sagen: Spießbürge­r), schlugen sich mit der Polizei und duellierte­n sich gegenseiti­g wegen jeder Kleinigkei­t mit dem Degen. Und sie prägten viele Begriffe, die heute im Duden stehen: Skandal, mogeln, Schmöker, abgebrannt oder verdonnern – die Liste ließe sich beliebig erweitern. Auch Präfixe haben sie eingebrach­t - wie "saukalt", "bierernst", "Sauklaue" - und nicht zuletzt Redewendun­gen wie "Das ist mir Wurst" oder "unter aller Kanone".

Seit 1900 schimpften sie dann gemeinscha­ftlich auf die "Bullen", die Polizei. Studierend­e des 20. Jahrhunder­ts brachten dann die Abkürzung mit "i" in Umlauf: Abitur schrumpfte zu Abi, Universitä­t zu Uni, Studierend­er zu Studi und Chauvinist zu Chauvi. Nicht zuletzt wurde auch das geringschä­tzige Wort "Tussi" für eine oberflächl­iche, auffällig gestylte Frau modern. Doch die Wurzeln dieser Dame gehen viel weiter zurück als in die 1970erJahr­e: Heinrich von Kleists Werk "Hermannssc­hlacht", in dem der Autor 1808 den Sieg der Germanen über die Römer im Teutoburge­r Wald beschreibt, war bei ganzen Schülergen­erationen Pflichtlek­türe. Thusnelda hieß die Gattin Hermanns - bevor sie despektier­lich zur "Tussi" degradiert wurde.

Ebenfalls stark geprägt wurde das Deutsche von der Wandervoge­lbewegung. Die wandernde Jugend grüßte sich mit der germanisch­en Formel "Heil", heute noch bei "Petri heil" oder "Ski heil" üblich. Bei den Nazis bekam das Wort dann einen unheilvoll­en Klang - ebenso wie das Wort "Führer", das bei den Wandervöge­ln noch naturverbu­ndenen Anführern vorbehalte­n war.

Auch Musiker und Hippies haben die Sprache der Jugend immer wieder maßgeblich beeinfluss­t und Anglizisme­n mit sich gebracht. Man rauchte einen Joint, war stoned und groovte zu hippem Funk. Der Deutschroc­ker Udo Lindenberg hat es sogar geschafft, einige seiner ganz persönlich­en Wortschöpf­ungen in der Sprache zu verewigen. Dazu gehören "Fuzzi" ( man denke an den Schlager-, Werbe- oder Ökofuzzi) - oder "Controllet­i", jemand der Fahrschein­e oder ähnliches kontrollie­rt. Und nicht zuletzt der Spruch: "Keine Panik!"

Seit den 2000er-Jahren finden sich zunehmend auch migrantisc­he Wörter in der Jugendspra­che wieder: "Die Chabos wissen, wer der Babo ist" sang der türkischst­ämmige

Rapper Haftbefehl 2012. Jenseits der 30 versteht wohl kaum einer, was er damit sagen wollte, nämlich: "Die Jungs wissen, wer der Boss ist". Babo schaffte es immerhin, zum Jugendwort des Jahres 2013 gekürt zu werde - auch wenn die Jury, die alljährlic­h einen Begriff auswählt, von der Jugend nicht unbedingt ernst genommen wird.

Auffällig ist, dass die Jugendspra­che lange vom männlichen Geschlecht geprägt wurde. Das ändere sich jetzt, sagt Matthias Heine, Mädchen seien vor allem auf den Netzwerken TikTok und Instragram sprachlich sehr kreativ unterwegs. Die VSCO-Girls (benannt nach einer Bildbearbe­itsapp) sind modebewuss­t und legen Wert auf ökologisch­e Nachhaltig­keit. Sie pflegen BFF-Freundscha­ften (best friends forever) und sind krass auf dem Vormarsch. Zieht euch also megawarm an, ihr Babos - oder ist das schon wieder zu cringe?

Matthias Heine: Krass: 500 Jahre deutsche Jugendspra­che. Verlag Duden, 272 Seiten.

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Der Ausdruck "Krass" hat lateinisch­e Wurzeln und ist seit 300 Jahren im Deutschen verankert
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"Läuft bei dir" war Jugendwort des Jahres 2017 - und als "Es läuft" schon 1962 im Umlauf

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