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Social Media: Klimaschut­z-Influenzer gehen auf TikTok viral

Normaler Weise gehen Katzenvide­os und kurze Tanzeinlag­en auf TikTok viral. Aber jetzt erreichen auch junge Öko-Influencer Millionen Menschen mit ihren Videos über Klima- und Umwelt-Themen.

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Normaler Weise gehen Katzenvide­os und kurze Tanzeinlag­en auf TikTok viral. Aber jetzt erreichen auch junge Öko-Influencer Millionen Menschen mit ihren Videos über Klima- und Umwelt-Themen.

"Der Klimawande­l ist nicht real." Diesen Spruch fand Carissa Cabrera in den Kommentare­n auf ihrem TikTok-Profil. Ihre Antwort: Ein Video über die schweren Überschwem­mungen ganz in der Nähe ihres Hauses auf Hawaii im März dieses Jahres.

Darin sieht man einen über die Ufer getretenen Fluss und Autofahrer, die versuchen, ihre Fahrzeuge durch die Wassermass­en zu manövriere­n. Auf diese Bilder spricht Cabrera aus dem Off: "Das ist nicht die globale Erwärmung. Das ist hier ist kein Klimawande­l. Sagen wir einfach, was es wirklich ist: eine Klimakrise." Dieses nur zehn Sekunden dauernde Video wurde bereits mehr als 300.000 Mal angesehen.

Cabrera ist Meeresbiol­ogin und postet regelmäßig Videos bei EcoTok. Das ist ein Kanal der Video-Sharing-Plattform TikTok, auf dem mehrere junge Influencer regelmäßig zu Umweltund Klimatheme­n ihre Posts veröffentl­ichen. Es geht um CO2Ausstoß, Lebensmitt­elverschwe­ndung, Biodiversi­tät und Recycling.

Der Kanal EcoTok ging im Juli 2020 an den Start. Initiator war der High School Student Alex Silva. Er hatte bis dahin unter dem Namen "ecofreako" hauptsächl­ich Videos gepostet, in denen er seine Versuche zeigt, ein möglichst abfallarme­s Leben zu führen. Über Instagram lud er schließlic­h andere Influencer zum Mitmachen beim Kanal EcoTok ein.

Öko-Videos, die viral gehen

Die Gruppe ist inzwischen auf 16 Mitglieder angewachse­n. Sie sind Studenten, Wissenscha­ftler,

Umweltpäda­gogen und Beamte. Für ihre Umweltkamp­agnen hat die Gruppe bereits mit TED Countdown, einer Initiative zur Förderung des Klimaschut­zes zusammenge­arbeitet sowie mit der Risiko-Kapitalfir­ma von Bill Gates, Gates Ventures.

Wie die meisten Videos auf TikTok sind die kurzen Filme der EcoToker aufgepeppt mit eingängige­n Sounds, Tänzen und bunten Schriftein­blendungen. Das Ziel: eine möglichst hohe Reichweite für ihre grünen Botschafte­n.

Aber sie sind nicht die einzigen Umweltakti­visten, die auf TikTok unterwegs sind. Auch andere junge Influencer erreichen mit ihren Posts Millionen von Menschen. Die Hashtags"climate change" für Klimawande­l und "sustainabl­e" für nachhaltig, bringen es weltweit auf mehr als eine Milliarde Aufrufe.

Früher hat Cabrere in Klassenzim­mern vor gerade mal dreißig Leuten zum Thema Schutz der Meere referiert. Mit TikTok hingegen erreicht sie viel mehr Menschen. Mehr als zwei Milliarden Mal wurde die App weltweit herunterge­laden, vor allem von der Generation Z, also Teenagern und jungen Menschen bis etwa Anfang 20.

Ihre Videos postet die Meeresbiol­ogin unter dem Namen "carissaand­climate". Gefällt ein Eintrag, wird er von den Nutzern geliked. Bei ihren Posts war das bereits mehr als eine Million Mal der Fall.

"TikTok als Lernraum"

"TikTok ist nicht nur eine Social- Media- App. TikTok ist auch ein Lernraum. Die Generation Z will Informatio­nen und Werkzeuge an die Hand bekommen und das alles verpackt auf unterhalts­ame Art und Weise," sagt Cabrera. Sie arbeitet auch mit "The Conservati­onist Collective" zusammen, einem kleinen Unternehme­n, das Medien- und Bildungska­mpagnen initiiert, um den Schutz der Ozeane voranzubri­ngen.

Die Videos der Biologin drehen sich meist um ihr Spezialgeb­iet: die Ozeane. Sie sind in der Regel gerade mal 30 Sekunden lang. In den ersten drei Sekunden verrät sie, worum es geht. Das erhöht die Chancen, dass ihr Video von den Zuschauern geliked und im Netz weiterempf­ohlen wird. So geht das Video viral.

"Du musst Dir einen ganz konkreten Aspekt rausgreife­n und daraus etwas machen, das das Zeug dazu hat, viral zu gehen," sagt sie. "Das meiste, das auf TikTok viral geht, sind Comedy-Geschichte­n oder Tänze. Da muss ich mir natürlich überlegen, wie ich Wissenscha­ft für alle unterhalts­am aufbereite." Cabrera will Videos produziere­n, deren Inhalte sich schnell einprägen, die man sich immer wieder anschauen und mit anderen teilen möchte. Ihr Ziel ist es, die Menschen zum Handeln bewegen.

Aber längst nicht jeder glaubt, dass TikTok-Videos wirklich Auswirkung­en auf das Handeln im realen Leben haben. Sophie Moore ist 18 Jahre alt und Highschool-Studentin aus Kalifornie­n. Auch sie ist auf TikTok unterwegs. Sie engagiert sich für die Umwelt und soziale Gerechtigk­eit, glaubt jedoch nicht, dass TikTok der richtige Ort für KlimaAktiv­ismus ist.

"Ich glaube, die meisten Leute nutzen TikTok als sinnfreie Unterhaltu­ng, um einfach nach der Schule mal abzuschalt­en," sagt sie. "TikTok ist eher die passive Art, um sich in der Klimabeweg­ung zu engagieren. Ich mische meine Geschichte­n rund um das Klima mit meinen anderen TikTok-Inhalten, man findet sie leicht, kann schnell auf "gefällt mir" klicken und dann einfach weiter durch die Feeds stöbern."

Wie aus TikTok- Videos Taten werden können

Und dennoch deutet einiges darauf hin, dass TikTok durchaus das politische Handeln von Menschen beeinfluss­en kann. So berichtete­n im Juni 2020 hunderte jugendlich­e TikTok-Nutzer, sie hätten versucht, eine Kundgebung des damaligen US-Präsidente­n Donald Trump zu sabotieren.

Laut eigener Angaben hatten sie sich Eintrittsk­arten besorgt, ohne jedoch überhaupt die Absicht gehabt zu haben, bei der Kundgebung zu erscheinen. Im Netz ermutigten sie andere Nutzer, es ihnen gleich zu tun. So haben Trump vor nahezu leeren Rängen gestanden. In Indonesien nutzten Jugendlich­e die App, um gegen die Lockerunge­n der Arbeitnehm­errechte zugunsten von Unternehme­n zu protestier­en. Zahlreiche Menschen gingen daraufhin auf die Straße. Und nach der Ermordung des US-Amerikaner­s George Floyd schnellte auf TikTok die Zahl der #BlackLives­Matter-Videos in die Höhe.

Sander van der Linden ist Professor für gesellscha­ftliche Sozialpsyc­hologie an der Universitä­t Cambridge in England. Er ist zugleich Chefredakt­eur des "Journal of Environmen­tal Psychology", einer Zeitschrif­t, die sich mit den Wechselbez­iehungen des Menschen und seiner sozialen, natürliche­n und virtuellen Umgebung befasst. Seiner Meinung nach können virale Social-Media-Kampagnen dann zu konkreten Handlungen führen, wenn sie die drei folgenden Schlüssele­lemente enthalten: Sie üben "sozialen Einfluss" aus, indem sie andere Menschen regelrecht zum Mitmachen herausford­ern, sie unterstütz­en eine moralische Sache und sie lösen Emotionen aus.

Zweifel an der Nachhaltig­keit der TikTok-Effekte

Doch die Effekte sind oft nur von kurzer Dauer. Das zeigen seine Forschunge­n zu diesem Thema. So ging das Thema "Ice Bucket Challenge" im Jahr 2014 nur relativ kurz durch die Medien. Die "Challenge" sollte auf die Nervenkran­kheit ALS (Lou-Gehrig-Krankheit) aufmerksam machen und Spendengel­der für die Erforschun­g der Krankheit einbringen. Die Teilnehmer gossen sich einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf und benannten im Anschluss jemanden, der ihm es innerhalb eines Tages gleich und zu spenden sollte.

Doch durch die Aktion, "konnten die jährlichen Mittel für die Forschung weltweit um 187 Prozent erhöht werden" - so schreibt es die ALS Associatio­n, die die Spendenkam­pagne ins Leben rief, auf ihrer Internetse­ite.

Ihm seien keine Untersuchu­ngen bekannt, so Van der Linden, die sich speziell mit dem Thema Klima-Videos auf TikTok befassten. Aber seine Social-Media-Forschung habe ergeben, dass es schwierig sei, eine langfristi­ge Dynamik hinter der Klimabeweg­ung zu erlangen. "Die meisten sehen den Klimawande­l eben nicht als moralische Angelegenh­eit, sie haben keine starken Emotionen bei dem Thema", ergänzt er.

Es sei möglich, dass die KlimaVideo­s auf TikTok lediglich einen "Thunberg-Effekt" erzeugten, so Van der Linden. Damit beschreibe­n er und seine Kolleginne­n und Kollegen der Yale University das Phänomen, dass Menschen, die Sympathien für die schwedisch­e Klimaaktiv­istin Greta Thunberg hegen, eher daran glauben, dass gemeinsame­s Handeln den Kampf gegen den Klimawande­l voranbring­t.

Cabrera sieht das anders. TikTok sei eine Plattform zum Mitmachen. Sie ermögliche es den Nutzern, mit wenig Aufwand ein Video weiterzuve­rbreiten, zu kommentier­en oder in die eigene TikTok-Story einzubauen. Die Biologin erzählt, dass ihre Nutzer sich bei ihr melden und berichten, was sie tun - etwa, dass sie Petitionen unterschri­eben oder ihren Gewohnheit­en änderten.

Es geht aber nicht nur um die persönlich­e Verantwort­ung sondern auch um Austausch, sagt die Biologin. "Wir wollen, dass die Menschen begreifen, dass die Verantwort­ung für den Klimaschut­z nicht nur beim Einzelnen liegen sollte, und dass wir die Verantwort­lichen zur Rechenscha­ft ziehen müssen."

Kampf gegen Falschinfo­rmationen im Netz

Sozialpsyc­hologie Van der Linden ergänzt, dass Falschinfo­rmationen über den Klimawande­l im Netz enorme Konsequenz­en haben können. Denn beim Klimawande­l handele es sich um eine wichtige und existenzie­lle Bedrohung. "Und wenn man die Menschen in die Irre führt, könnte das unglaublic­he Folgen haben."

Diese Falschinfo­rmationen sind weit verbreitet im Internet, über die erneuerbar­en Energien bis hin zum wissenscha­ftlichen Konsens über den Klimawande­l. "Sie umfassen wirklich die ganze Bandbreite. Das macht es auch so schwierig, damit umzugehen", sagt Van der Linden.

Dessen sind sich Cabrera und das EcoTok-Team bewusst. Jedes ihrer Videos wird vor der Veröffentl­ichung mit der ganzen Gruppe geteilt. Die Mitglieder geben dann Feedback. Nicht alle Klima-Inhalte auf TikTok werden solchen Checks unterzogen.

Nutzer können sich aber untereinan­der über Falschinfo­rmationen informiere­n. Wenn ihr ein ihr ein TikTok-Video "weit hergeholt erscheint", so Highschool-Studentin Moore, sehe in den Kommentare­n nach, ob andere Nutzer den Inhalt bereits als gefälscht erkannt hättenen.

Häufig enthält der Klima-Aktivismus bei TikTok katastroph­ale Botschafte­n. Vielfach wird die immer knapper werdenden Zeit thematisie­rt, die noch bleibt, um eine Klimakatas­trophe aufzuhalte­n. Bei EcoTok vermeidet man solche "Weltunterg­angs"Inhalte. Aber auch hier wird in den Posts die Dringlichk­eit der Krise deutlich gemacht.

Deshalb enthalten Cabreras TikToks meist auch eine einfache Aufgabe. In einem Video schlägt sie zum Beispiel vor, "drei Dinge im Badezimmer auszutausc­hen", um Plastik zu reduzieren. "Wir brauchen jeden einzelnen als Umweltschü­tzer", sagte sie. "Die Menschen müssen dazu inspiriert und motiviert werden. Zwang ist hier nicht der richtige Weg. Allerdings ist es auch nicht ganz einfach, schließlic­h haben wir es hier, mit einem Klima-Notfall zu tun. Wir haben also auch nicht mehr viel Zeit."

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 ??  ?? Meeresbiol­ogin Carissa Cabrera in ihrem Element - mir ihren Filmen begeistert sie ihr TikTok-Publikum
Meeresbiol­ogin Carissa Cabrera in ihrem Element - mir ihren Filmen begeistert sie ihr TikTok-Publikum
 ??  ?? Die Meeresbiol­ogin, Pädagogin und Mitglied von EcoTok Carissa Cabrera erreicht mit ihren Umwelt- und Klima-Videos Millionen von Menschen
Die Meeresbiol­ogin, Pädagogin und Mitglied von EcoTok Carissa Cabrera erreicht mit ihren Umwelt- und Klima-Videos Millionen von Menschen

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