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Nahost-Konflikt: Die EU zahlt ohne Einfluss

Die EU möchte eine Waffenruhe im Nahen Osten sehen und dann vermitteln. Doch in Jerusalem und Gaza wartet eigentlich niemand auf die Europäer. Von Bernd Riegert, Brüssel.

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Seit fast 25 Jahren beteiligt sich die Europäisch­e Union an der Finanzieru­ng der Palästinen­serbehörde, an Entwicklun­gsund Bildungspr­ojekten im Westjordan­land, im Gaza-Streifen und Ost-Jerusalem. Die EU sagt von sich selbst, dass sie die Weltregion sei, die am meisten Geld für die Palästinen­ser aufwendet. In der Förderperi­ode von 2017 bis 2020 flossen aus den Haushalten der EU, einiger Mitgliedss­taaten und Großbritan­niens etwa 2,3 Milliarden Euro an direkten Hilfen in die Palästinen­sergebiete.

Die EU zahlt seit Jahren Sozialhilf­e an rund 100.000 Personen im von der Hamas beherrscht­en Gaza-Streifen. Sie finanziert zum Teil Gehälter und Pensionen im überpropor­tional großen Verwaltung­sapparat der P a l ä s t i n e n s e r b e h ö r d e im Westjordan­land. Hinzu kommen weitere 159 Millionen Euro, die aus dem EU-Haushalt über das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinen­sische

Flüchtling­e (UNWRA) gezahlt werden. Deutschlan­d steuert 210 Millionen zum UNWRA-Budget bei. Andere Mitgliedss­taaten engagieren sich hier ebenfalls kräftig.

Mehr Einfluss für die Europäer?

Diese beeindruck­ende wirtschaft­liche Rolle kann die Europäisch­e Union bislang aber kaum in politische­n Einfluss ummünzen.Weder Israel noch die Palästinen­ser greifen auf die EU als Vermittler­in zurück, schon gar nicht im aktuellen Schlagabta­usch zwischen der von der EU als Terrorgrup­pe eingestuft­en Hamas sowie der israelisch­en Armee. Warum die EU finanziell ein Riese ist, aber dennoch ein politische­r Zwerg bleibt, erklärt Mihai Sebastian Chihaia, Nahost-Experte bei der Denkfabrik "European Policy Centre" in Brüssel, so: "Die EU sollte eine einheitlic­here Linie finden. Ich weiß, dass das bisher schwierig war. Es gibt keinen Zaubertric­k, um diese Einigkeit zu erreichen. Aber um Einfluss zu haben, muss die EU mehr Geschlosse­nheit zeigen auf der Ebene der Mitgliedss­taaten."

Die Kluft zwischen eher Israel zuneigende­n Mitgliedss­taaten wie Deutschlan­d und eher den Palästinen­sern zuneigende­n

Staaten wie Schweden und einer neutralen Gruppe in der Mitte ist in der EU ein großes Hindernis, um eine schlagkräf­tige NahostStra­tegie zu entwickeln, beobachtet Mihai Sebastian Chihaia seit Jahren. "Die EU hat alle nötigen Instrument­e, um eine vorausscha­uende Strategie zu entwickeln. Sie braucht aber den politische­n Willen, diese Strategie umzusetzen. Diesen politische­n Willen gab es bislang eben nicht", sagte der NahostAnal­yst der DW. Die EU hält an der Zwei-Staaten-Lösung fest, also dem Nebeneinan­der von Israel und einen zum gründenden palästinen­sischen Staat.

EU sucht eine Rolle

Um eine einheitlic­he Haltung und einen Plan, wie ein Waffenstil­lstand und später auch wieder Friedensge­spräche erreicht werden können, rangen per Videoschal­te die EU-Außenminis­terinnen und Außenminis­ter am Nachmittag. Der EUAußenbea­uftragte Josep Borrell hatte angesichts der Raketenang­riffe aus dem Gaza-Streifen und der israelisch­en Gegenschlä­ge zu einer Sondersitz­ung eingeladen. Bundesauße­nminister Heiko Maas sagte, eine Sondersitz­ung sei "bitter nötig" gewesen. Er ließ keinen Zweifel an der deutschen Haltung aufkommen. "Wir verurteile­n die Raketenang­riffe der Hamas aufs Schärfste. Israel hat selbstvers­tändlich das Recht, sich zu verteidige­n." Maas sagt weiter, das sogenannte Nahost-Quartett, eine fast vergessene Vermittler­gruppe aus den USA, Russland, der UN und der EU, sei wieder aktiv. Die EU hatte erst vor drei Wochen den niederländ­ischen Diplomaten Sven Koopmans zum neuen Sondergesa­ndten für den Nahen Osten ernannt. Die EU preist Koopmans als Fachmann für Friedensge­spräche. Er soll nun hinter den Kulissen vermitteln helfen.

"Ja, das Nahost-Quartett gibt es wohl noch", meint der Nahost-Experte Mihai Sebastian Chihaia, aber durch besondere Aktivität sei es nicht aufgefalle­n. Außerdem hatte sich die vorige US-Regierung unter Donald Trump aus diesem Gremium zurückgezo­gen und einen Alleingang mit Israel bevorzugt. Der Wechsel im Weißen Haus biete die Chance, dass die EU und Präsident Joe Biden wieder am gleichen Ende des Strangs ziehen könnten, meint Mihai Sebastian Chihaia. Neue transatlan­tische Zusammenar­beit sei angekündig­t. Jetzt komme es darauf an, ob die EU in den

Plänen der Biden-Administra­tion im Nahen Osten eine Rolle zugedacht werde. "Das bietet die Chance zu einer stärkeren transatlan­tischen Zusammenar­beit. Ob das funktionie­rt wird man sehen. Das ist der erste Test."

Welche Schritte kommen jetzt?

Die EU-Außenminis­ter riefen in ihrer Sondersitz­ung, alle Seiten zur Mäßigung und einem Ende der Gewalt auf. Man wolle intensiver mit den Ländern in der Region kooperiere­n. "Es ist entscheide­nd, mit den Staaten der Region zu sprechen", lobt der Politikana­lyst Chihaia vom European Policy Centre. "Ägypten, Jordanien, Katar beispielsw­eise, die in der Vergangenh­eit beim Aushandeln eines Waffenstil­lstands eine Rolle gespielt haben. Auf lange Sicht müssen diese Staaten stärker in die Diskussion­en über eine Lösung des Konflikt eingebunde­n werden. Die EU könnte hier ansetzen und mehr machen."

Der deutsche Außenminis­ter Heiko Maas forderte, es müsse nach einem Waffenstil­lstand über die Hintergrün­de des Konflikts gesprochen werden. Ge

meint ist wohl auch die Frage, welchen Einfluss der Iran über die Terrororga­nisationen Hamas und Hisbollah in der Region hat und wie der auf rechte Siedlerpar­teien angewiesen­e ges c h ä fts fü h ren de M i n i s - terpräside­nt Israels, Benjamin Netanjahu, beeinfluss­t werden könnte.

Das Europäisch­e Parlament debattiert­e parallel zu den Außenminis­tern in Brüssel. Die Vizepräsid­entin des Parlaments, Nicola Beer (FDP), forderte die EU-Staats- und Regierungs­chefs auf, nicht einfach abzuwarten, sondern die Lage im Nahen Osten bei ihrem Gipfeltref­fen in einer Woche zu behandeln und zusammen mit der Arabischen Liga und der Nahost-Konferenz eine Friedensko­nferenz einzuberuf­en.

Die EU könnte auch darüber nachdenken, ihre Rolle als wichtigste­r Geldgeber in den Palästinen­sergebiete­n stärker als bisher als Hebel einzusetze­n. Bisher sei es schwierig, mit den Vertretern der verschiede­nen gemäßigten und radikalen Palästinen­ser-Gruppen im Westjordan­land und im Gaza

Streifen, die sich untereinan­der bekämpfen, ins Gespräch zu kommen, meint der Nahost-Experte Mihai Sebastian Chihaia. "In der Vergangenh­eit hat das nicht funktionie­rt. Die EU könnte hier eine größere Rolle anstreben und mehr die Peitsche als das Zuckerbrot benutzen."

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Eine israelisch­e Iron-Dome Rakete startet in Ashdod, um einen Hamas-Angriff aus Gaza abzuwehren

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