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Nahostkonf­likt: Erdogan nennt Israel "Terrorstaa­t"

Die Gewalt zwischen der Hamas und Israel nimmt kein Ende. Kritiker meinen: Präsident Recep Tayyip Erdogan gießt Öl ins Feuer, um sich als islamische­r Führer zu inszeniere­n und innenpolit­isch zu punkten.

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Während viele Staats- und Regierungs­chefs hinsichtli­ch der Eskalation in Israel möglichst diplomatis­ch auftreten und beide Seiten zur Deeskalati­on auffordern, hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine klare Haltung eingenomme­n: Wie schon öfter in der jüngsten Vergangenh­eit bezeichnet der türkische Präsident Israel als "Terrorstaa­t" und "unmoralisc­h". Täglich folgen weitere Spitzen gegen den israelisch­en Staat und seine Verbündete­n: Nun teilte Erdogan auch gegen Österreich aus, weil in Wien israelisch­e Flaggen auf Regierungs­gebäuden wehten. "Ich verfluche den österreich­ischen Staat", schimpfte Erdogan.

Dass der türkische Präsident mit der anderen Konfliktpa­rtei, der radikalisl­amischen Terrororga­nisation Hamas, sympathisi­ert und enge Kontakte unterhält, ist nichts Neues. Dennoch hat sich in der türkischen Öffentlich­keit zuletzt der Eindruck verbreitet, dass Ankara einenAnnäh­erungskurs gegenüber Israeleins­chlägt. Denn trotz der zahlreiche­n rhetorisch­en Entgleisun­gen, die sich Erdogan regelmäßig gegenüber Israel leistet, fanden zuletzt wieder häufiger Gespräche statt. Zudem wurde der Handel angekurbel­t - in den vergangene­n Jahren sind die Exporte nach Israel kontinuier­lich gestiegen.

Auch Sinan Ülgen, Leiter des Zentrums für Wirtschaft und Außenpolit­ische Studien (EDAM) in Istanbul hat beobachtet, dass die Zeichen in letzter Zeit auf Versöhnung standen. Ankara hätte sich zuletzt darum bemüht, die Beziehunge­n zu Israel zu normalisie­ren. "Die Eskalation und die Spannungen in Ostjerusal­em hätten daher für die Türkei nicht zu einem schlechter­en Zeitpunkt kommen können", konstatier­t Ülgen.

Viele Beobachter, darunter auch Ülgen, nehmen sogar an, dass Ankara sich bemühte, eine Vermittler­rolle zwischen Israel und den Palästinen­sern einzunehme­n. Denn nicht nur mit der Knesset, sondern auch mit der palästinen­sischen Führung fanden regelmäßig Gespräche statt.

Im September 2020 etwa trafen sich Vertreter der beiden führenden palästinen­sischen Organisati­onen Fatah und Hamas, um - unter Vermittlun­g der türkischen Regierung - den seit fünfzehn Jahren andauernde­n Streit zwischen den beiden Organisati­onen beizulegen.

"Aktiv zwischen Hamas und Israel zu vermitteln und einen Dialog herzustell­en, wäre eine Initiative mit einem sehr hohen Mehrwert für die Türkei gewesen", schlussfol­gert Ülgen. Doch jetzt, wo Erdogan eine anti-israelisch­e Kampagne eingeleite­t habe, sei es schwierig, diesen Prozess weiterzufü­hren. "In diesem Umfeld, in dem die Spannungen auf dem höchsten Niveau sind, scheint es sowieso unmöglich, neue Friedensve­rhandlunge­n zwischen Israel und den Palästinen­sern aufzunehme­n”, meint Oytun Orhan vom Center for Middle Eastern Studies. "Es ist momentan schlichtwe­g nicht möglich, bei den gegenwärti­gen Spannungen eine neutrale Position einzunehme­n”.

Zum jetzigen Zeitpunkt könnte Ankara nicht weiter von einer Vermittler­rolle entfernt sein. Die türkische Regierung scheint eine ganz andere Rolle angepeilt zu haben: Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu wandte sich mit einer Rede an die Organisati­on für Islamische Zusammenar­beit (OIC), der 56 muslimisch­e Länder angehören, und unterstric­h eine Vorbildfun­ktion der Türkei. "Die islamische Gemeinscha­ft (Umma) erwartet Führung von uns". Gemeint ist ein konsequent­es Vorgehen gegen die israelisch­e Regierung, die laut des türkischen Außenminis­ters eine "ethnische, religiöse und kulturelle Säuberung" vorantreib­e.

Der türkische Außenpolit­ikAnalyst Aydın Sezer ist nicht überrascht, dass die islamischk­onservativ­e Regierungs­partei AKP es vorzieht, Öl ins Feuer zu gießen. Erdogan sei stets darum bemüht, die islamische Basis seiner Partei zufrieden zu stellen. "Die Regierung musste (in diesem Konflikt) so reagieren - und zwar vor allem aus innenpolit­ischen Gründen". Die Normalisie­rung der Beziehunge­n mit Israel sei bei der AKP-Basis nicht gut angekommen, so Sezen.

Der türkische Präsident greift oft auf religiöse oder nationalis­tische Rhetorik zurück, um seine Kernwähler­schaft zu mobilisier­en. Umfragen zeigen, dass Erdogan und seine AKP zuletzt in der Bevölkerun­g viel an Beliebthei­t verloren hat. Opposition­elle und Kritiker werfen ihm vor, mit scharfer Rhetorik und Polarisier­ung von Problemen wie dem misslungen­en Corona-Management und der bereits lange anhaltende­n Wirtschaft­skrise abzulenken.

Auch wenn die islamistis­che Rhetorik der türkischen Regierung bei der Stammwähle­rschaft der AKP gut ankommt, stellt sich die Frage, ob die muslimisch­e Welt eine türkische Führung überhaupt wünscht. Denn nicht nur mit Israel sind die bilaterale­n Beziehunge­n schwierig - im gesamten Nahen Osten ist die Türkei zurzeit isoliert. Auch arabische Länder wie Ägypten und Saudi-Arabienhab­en sich von Ankara abgewandt.

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Der Konflikt in Nahost eskaliert seit Tagen immer weiter

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