Deutsche Welle (German edition)
Nahost-Konflikt: Wer könnte vermitteln?
Die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern schaukelt sich weiter hoch. Gesucht wird ein Vermittler. Welche Rolle könnten die Europäer, könnte Deutschland spielen?
Der Konflikt dauert schon mehr als eine Woche und hat bereits jetzt über 200 Todesopfer gefordert. Und er hat nach den Worten von UN-Generalsekretär António Guterres das "Potenzial, eine unaufhaltsame Sicherheits- und humanitäre Krise auszulösen und den Extremismus nicht nur auf dem besetzten palästinensischen Gebiet und in Israel, sondern in der gesamten Region weiter zu fördern", so Guterres am Sonntag bei einer Dringlichkeitsdebatte des UN-Sicherheitsrates.
Doch gerade das höchste sicherheitspolitische Gremium der Welt ist blockiert. Mehrfach haben die USA eine gemeinsame Stellungnahme des 15köpfigen Rates verhindert mit der Begründung, ein solcher Schritt wäre schädlich für laufende amerikanische Vermittlungsversuche. Von einer bindenden Resolution, die politisch sehr viel stärker wäre als eine gemeinsame Stellungnahme, war ohnehin keine Rede. "Leider konnte der Sicherheitsrat allein aufgrund der
Behinderung eines Landes nicht mit einer Stimme sprechen", ließ Chinas Außenminister Wang Yi seiner Enttäuschung freien Lauf.
Immerhin unterstützt USPräsident Joe Biden inzwischen eine Waffenruhe. Aber davon will der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zumindest derzeit nichts wissen: "Die Weisung lautet: Die Schläge gegen Terrorziele gehen weiter", sagte er nach einer Kabinettssitzung am Montag. Möglicherweise will Netanjahu damit die israelische Verhandlungsposition stärken. Gleichzeitig dürften militärische Erfolge und die Demonstration von Stärke Netanjahu innenpolitisch nützen: Nach den jüngsten Wahlen Ende März gelang es ihm bislang nicht, eine Regierung zu bilden; er ist lediglich Interimspräsident.
Die amerikanische Seite hat bei Vermittlungsbemühungen ein Glaubwürdigkeitsproblem. Das rührt vor allem aus der Zeit von Bidens Vorgänger Donald Trump her. Trump hatte 2018 die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt - ein hochsymbolischer Schritt, der von den meisten Israelis bejubelt und von Palästinensern und der gesamten arabischen Welt heftig verurteilt wurde. Als Ordnungsmacht haben sich die USA unter Trump aus der Region weitgehend zurückgezogen. Auch Biden ist nun erst auf weltweiten Druck hin ein wenig aktiv geworden.
Johann Wadephul sieht Washington nach wie vor in der Pflicht: "Die USA haben gerade mit Blick auf die Sicherheitszusammenarbeit mit Israel und in ihrer Funktion als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat eine herausragende Rolle", so Wadephul gegenüber der DW. Doch jetzt seien auch die EU und Deutschland gefragt. Während Wadephuls Parteifreund Norbert Röttgen gesagt hat, die Europäer spielten als Vermittler praktisch keine Rolle, sieht das Wadephul anders. Die EU und Deutschland "müssen die Vermittlungsrolle der USA unterstützen – durch gezielte Gespräche mit der israelischen Regierung und Vertretern der palästinensischen Autonomiebehörde". Außerdem solle man "unsere vielfältigen Kontakte in die israelische Zivilgesellschaft nutzen, um zu einer Deeskalation beizutragen".
Auf europäischer Seite fehlen für ein verstärktes Engagement allerdings die strategischen Voraussetzungen, bemängelt der FDP-Außenpolitiker Bijan Djir-Sarai: "Bedauerlicherweise fehlt der Bundesregierung und der Europäischen Union ein strategisches Gesamtkonzept für die Region. Die EU- Staaten müssen daher dringend eine umfassende Nahost- Initiative erarbeiten", schreibt Djir-Sarai auf Anfrage der DW. "Diese sollte in enger Zusammenarbeit mit den transatlantischen Partnern abgestimmt und umgesetzt werden."
Bei der Suche nach potenziellen Vermittlern stößt man früher oder später auch auf das Nahost-Quartett. Diesem Gremium gehören die USA, Russland, die Vereinten Nationen und die EU an. Gegründet wurde das Quartett 2002, nachdem der in den 1990-er Jahren mit den Verträgen von Oslo eingeleitete Friedensprozess gescheitert war. Aber das NahostQuartett dümpelte lange ungenützt herum und ist schon seit Jahren nicht mehr in Erscheinung getreten. Immerhin: Die Sondergesandten des Quartetts sollen nach Angaben des russischen Außenministeriums jetzt miteinander telefoniert und über
mögliche Vermittlungsschritte gesprochen haben. Konkrete Vorschläge fehlen aber weiterhin. Das Problem des Quartetts: Hier herrscht dieselbe Blockade wie im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - es handelt sich ja im Wesentlichen um die gleichen Akteure.
Für den FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff schließen sich die unterschiedlichen Gruppen jedoch keineswegs aus. Er forderte in einem Gespräch mit der Deutschen Presseagentur eine Führungsrolle der USA, eine starke diplomatische Unterstützung der EU und die Einbeziehung des Nahost-Quartetts sowie der regionalen Mächte Ägypten und Jordanien. Die beiden arabischen Staaten haben auch in schwierigen Zeiten die Gesprächskanäle sowohl zu Israel als auch zu den Palästinensern offen gehalten und sich auch diesmal grundsätzlich für Vermittlungsversuche angeboten.
Doch was passiert, falls eine von wem auch immer vermittelte Feuerpause zustande kommt? Was sind dann die weitergehenden Ziele? Glaubt noch irgendjemand an die
Zwei-Staaten-Lösung, wie sie nach wie vor UN- Generalsekretär Guterres fordert? Bijan Djir-Sarai jedenfalls tut das: "Die Zweistaatenlösung ist die einzige Lösung, die sowohl Israelis als auch Palästinensern langfristig ein Leben in Frieden ermöglichen kann. An dieser muss unbedingt festgehalten werden." Dazu müssten aber beide Seiten Kompromisse schließen, ergänzt Wadephul. Unabdingbar sei etwa, "dass die Palästinenser und die sie unterstützenden Staaten das Existenzrecht Israels anerkennen". Für Djir-Sarai ist ebenso klar: "Die Siedlungspolitik der Netanjahu-Regierung der vergangenen Jahre hat neue Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung deutlich erschwert. Sie sollte daher umgehend beendet werden."
Deutschland sieht sich bei möglichen Vermittlungsbemühungen im NahostKonflikt vor allem als Teil der EU. Das hängt mit der schwierigen deutschen Geschichte und der Schoah zusammen. Entsprechend ist hier viel diplomatisches Fingerspitzengefühl erforderlich. Das stehe aber einer ausgewogenen deutschen Rolle "ganz und gar nicht" im Wege, meint Wadephul. "Aus unserer historischen Verantwortung für den Staat Israel erwächst auch eine besondere Verantwortung für Frieden und Stabilität in der Region." Deutschland bringe sich intensiv ein, "mit engen und breit gefächerten Beziehungen mit Israel, aber zum Beispiel auch als größter Geber des Hilfswerks UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge). (...) Wenn allerdings Israel und das jüdische Volk angegriffen wird, können wir nicht schweigen. Dann müssen wir ganz klar Position beziehen und zu unserer Verantwortung stehen."
palästinensischen Gebiete nicht nur geografisch, sondern auch politisch entzweit sind.
Von Gaza aus führte die Hamas ihre als "Selbstverteidigung" deklarierten Angriffe auf Israel weiter und leistete sich drei heftige Schlagabtausche mit der israelischen Armee: 2008/09, 2012 und 2014. zurückgefahren wurde.
Wenn die Hamas angreift, dient ihr die Bevölkerung als menschlicher Schutzschild. So werden die Raketen häufig aus Wohngebieten abgefeuert oder Kommandozentralen in Wohnhäusern eingerichtet. Die Hamas gräbt immer wieder Schmuggeltunnel zum Waffentransport, vor allem in Richtung Ägypten. Allerdings hat die dortige Regierung kein Interesse daran, dies zuzulassen.
Einer der wichtigsten Geldgeber und ausländischen Verbündeten für die Hamas ist Katar. Der Emir besuchte 2012 als erstes Staatsoberhaupt überhaupt die Hamas-Führung in Gaza. Der kleine Golfstaat hat bislang mehr als 1,5 Milliarden Euro überwiesen. Allerdings hofft Israel, dass Katar wie mehrere andere arabische Staaten dem von Trump initiierten "Abraham-Accord" beitritt und diplomatische Beziehungen zu Israel aufnimmt.
Ein weiterer wichtiger Verbündeter der Hamas ist die Türkei. Noch unmittelbar vor der jüngsten Raketenangriffen der Hamas hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan dem politischen Kopf der Hamas, Ismail Hanijeh, im Gespräch seine Unterstützung zugesagt.
Hinzu kommen eine Reihe nichtstaatlicher Initiativen und Vereine, so auch aus Deutschland. Laut dem Magazin "Der Spiegel" gehen die hier von Hamas-nahen Vereinen gesammelten Spenden in die Millionen.
Der Raketenbeschuss, den die Hamas seit Montag auf Israel richtet, übersteigt die vorherigen Höhepunkte der Eskalation allein schon zahlenmäßig: Am Dienstag gab die Hamas an, binnen weniger Minuten 130 Raketen abgefeuert zu haben. Mit dieser Menge gelangt sogar das israelische Luftabwehrsystem "Iron Dome" an seine Grenzen. Bis Freitag zählte die israelische Armee mehr als 1800 von Gaza abgefeuerte Geschosse. Dabei ist jede Abwehrrakete der "Eisenkuppel" um einiges wendiger, präziser und sicher auch teurer als die der Angreifer.
Die Hamas-Geschosse kamen lange Zeit vor allem aus dem Iran. Der auf Raketen im Nahen Osten spezialisierte Analyst Fabian Hinz sagte dem deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ZDF: "Es war bekannt, dass verschiedene Gruppierungen ihr Raketenarsenal massiv ausgebaut haben. Und auch, dass die Zahl der ihnen zu Verfügung stehenden Raketen in den
Tausendern liegt, wurde von israelischen Quellen mehrfach bestätigt." So zitierte die "Jerusalem Post" in dieser Woche Geheimdienstquellen, wonach die Größe des Hamas-Arsenals bis zu 6000 Raketen umfasse. Dazu kämen bis zu 8000 weitere Raketen im Besitz der Gruppe Islamischer Dschihad, die teilweise mit der Hamas kooperiert.
Hinz zufolge waren die iranischen Raketen lange über den Sudan und schließlich von ägyptischer Seite aus in den Gazastreifen hineingeschmuggelt worden. Das geht jedoch nicht mehr so leicht, seitdem der sudanesische Diktator Omar al- Baschir 2019 von der Macht entfernt wurde. Inzwischen soll die Hamas den Großteil ihrer Raketen - teils mit ausländischer Hilfe - vor Ort im Gazastreifen selbst herstellen.