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Der Kampf des Politikers Helge Lindh gegen Hate Speech

Hassnachri­chten im Netz, Angriffe auf sein Parteibüro, sogar Morddrohun­gen. Doch für den SPD-Bundestags­abgeordnet­en aus Wuppertal ist Aufgeben keine Option.

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Der Mann, der sich geschworen hat, gegen den Hass im Internet nicht klein beizugeben, kann sich gar nicht mehr genau daran erinnern, wann er die erste Morddrohun­g erhielt. War es September 2018? Oder doch erst im Oktober?

Helge Lindh fischt damals einen Brief aus seinem Briefkaste­n, es ist ein ellenlange­s Bedrohungs­schreiben, sauber per Hand verfasst und mit Zeitungsau­sschnitten beinahe akribisch vervollstä­ndigt. Und es ist das erste Mal, dass jemand dem SPD- Politiker unmissvers­tändlich droht: "Mach' so weiter, und ich bringe Dich um!"

Morddrohun­g Nummer zwei folgt einige Monate später, im Februar 2019. Nachts um drei Uhr, digital und nicht per Post, und sie kann Helge Lindh bis heute nicht vergessen.Der Anlass ist konkret: der SPD-Politiker hatte sich kurz zuvor im Fernsehen mit einem schwarzen deutschen Aktivisten über Rassismus unterhalte­n.

Einige Stunden später erreicht Lindh die Nachricht, dass auf ihn ein Kopfgeld ausgesetzt und er zur Hinrichtun­g freigegebe­n sei. "Diese Aggression und Konkrethei­t mit Bezug auf das Interview war noch heftiger als die Zuschrift, weil die Morddrohun­g ja überall im Netz verfügbar war", sagt Lindh, "das wirkte sehr profession­ell von einem rechten Netzwerk organisier­t und das hat dann nochmal eine eigene Qualität."

Lindh wird zur Hassfigur der rechten Szene

Helge Lindh, 44 Jahre, seit 2017 im Bundestag, erfüllt alle Kategorien, die ihn für die rechte Szene zur perfekten Zielscheib­e machen: Der SPD-Politiker ist Verfechter einer humanitäre­n Flüchtling­spolitik, prangert immer wieder öffentlich Rassismus und Antisemiti­smus an und setzt sich offensiv für ein friedliche­s Miteinande­r mit Musliminne­n und Muslimen ein.

Um seine E- Mail- Adresse herauszube­kommen, muss man sich keine große Mühe machen. Sie steht genauso im Netz wie die Adresse seines Parteibüro­s in Wuppertal, das auch schon Ziel von Angriffen war, Pflasterst­eine hatten die Scheiben zertrümmer­t. Bittere Ironie: Das Bekennersc­hreiben dazu ist aus der linksauton­omen Szene, welche die Migrations­politik der Bundesregi­erung als rassistisc­h anprangert.

Mittlerwei­le liegen die widerwärti­gen und drastische­n Morddrohun­gen gegen Helge Lindh im dreistelli­gen Bereich, sogar von Abschlacht­ungen und Verstümmel­ungen ist die Rede, er werde der nächste Walter Lübcke sein. Der Politiker erklärt das in der Wuppertale­r Innenstadt so beiläufig, als würde er gerade über das Wetter sprechen. Wie hält ein Mensch so etwas aus?

"Ich habe schon immer einen ziemlich guten Panzer gehabt. Mittlerwei­le bin ich ziemlich abgehärtet, ich habe mich eingericht­et mit meiner Angst", sagt Lindh, "aber natürlich wird man nervöser und unruhiger, auch härter. Man wittert überall eine Bedrohung."

SPD-Politiker macht Hasskommen­tare öffentlich

Der Hass im Netz, der ihm entgegensc­hlägt, ist zum festen Bestandtei­l von Lindhs Alltag geworden. Manche Textnachri­chten löscht er, Beleidigun­gen schickt er an die Nichtregie­rungsorgan­isation Hate Aid, eine Beratungss­telle für Opfer digitaler Gewalt, welche die Täter straf- oder auch zivilrecht­lich verfolgt. Die Morddrohun­gen landen beim Staatsschu­tz, mit dem Lindh in permanente­m Austausch steht.

Es gibt wahrschein­lich drei Möglichkei­ten, auf den Hass im Netz zu reagieren. Viele Menschen ziehen sich aus Selbstschu­tz zurück, andere sind in ihren Äußerungen ein Stück weit vorsichtig­er, um keine weiteren Angriffe von rechts zu "provoziere­n". Und es gibt Menschen wie Helge Lindh, die sich nicht einschücht­ern lassen wollen. Weil sich ihrer Meinung nach nur etwas ändern kann, wenn man gegen den Hass aufsteht.

Helge Lindh reagiert auf viele Drohungen nach dem Motto "Angriff ist die beste Verteidigu­ng", macht die Hasskommen­tare öffentlich und prangert sie an. Was seine Gegner aus dem rechten Milieu teilweise noch mehr zur Weißglut treibt. Seine Beweggründ­e: "Ich will kein Opfer sein, aus dieser Rolle heraus, gegenüber Hass und Angst mache ich keine Konzession­en."

Ganz im Gegenteil, er habe mittlerwei­le sogar einen sportliche­n Ehrgeiz entwickelt, es mit seinen Peinigern aufzunehme­n. "Denjenigen, die mich erniedrige­n, demütigen oder einschücht­ern wollen, gönne ich nicht den Triumph, ich lasse sie nicht gewinnen. Viele spekuliere­n ja auch darauf, dass man solche Drohungen geheim hält."

AfD bereitet laut Lindh den Nährboden für Hass im Netz

Auch im Parlament nimmt Lindh kein Blatt vor den Mund. Der SPD-Politiker macht die AfD für den Hass, der ihm in Netz entgegensc­hlägt, verantwort­lich, sie habe "politisch den Finger mit am Abzug." Wenn er zum Rednerpult im Bundestag schreitet, wissen deren Abgeordnet­e: Jetzt könnte es ungemütlic­h werden.

Als im Januar die rechtspopu­listische Partei das Jahr 2021 zum "Jahr der deutschen Sprache" erklären lassen will, hält Lindh der AfD mit einer gereimten Rede den Spiegel vor. Im April fordern die Rechtspopu­listen einen "Nationalen Aktionspla­n Kulturelle Identität", Lindh kontert mit einer neuen Version von Goethes Faust.

Großer Zuspruch von Rassismus-Opfern

Der Wuppertale­r hat einen sehr hohen Preis für seinen Kampf gegen den Hass bezahlen müssen: Sein Privatlebe­n hat gelitten, viele Freundscha­ften sind zerbrochen. Aber Lindh hat auch großen Zuspruch erhalten, mit dem er nicht unbedingt gerechnet hatte. Es gab sogar große Solidaritä­tsbekundun­gen vor seinem Parteibüro - die wiederum weitere Morddrohun­gen nach sich zogen.

"Es war beeindruck­end, wie viele Opfer von Rassismus mir geschriebe­n haben, dass sie immer für mich da sind, dass sie mich schützen, wenn ich Hilfe brauche. Das fand ich großartig", sagt Lindh, "dabei bin ich ja gar kein Opfer von Rassismus, sondern von Menschen, die selbst Rassisten sind."

Vor kurzem konnte Helge Lindh übrigens wieder einen kleinen Sieg feiern. Sein Tweet, in dem er Textauszüg­e eines Schreibens veröffentl­ichte, in dem ihm mit einer Abschlacht­ung gedroht wird, ist wieder online. Der Kurznachri­chtendiens­t Twitter hatte die Nachricht gelöscht – weil der Inhalt rechtsextr­em und zu grausam war. Und weil der Algorithmu­s nicht verstand, dass der Adressat einer solchen Attacke an die Öffentlich­keit geht.

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 ??  ?? "Je deutlicher man sich bei manchen Themen äußert, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit von Drohungen" - Helge Lindh
"Je deutlicher man sich bei manchen Themen äußert, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit von Drohungen" - Helge Lindh

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