Deutsche Welle (German edition)
Spargelernte: Corona-Quarantäne für Erntehelfer
Auf einem der größten Spargelhöfe Deutschlands ist das Coronavirus ausgebrochen. Mittlerweile haben sich 131 Menschen infiziert. Polnische Erntehelferinnen berichten von Bedingungen "wie im Horrorfilm".
Agnieszka wusste, dass die Spargelernte Knochenarbeit ist. Auch, dass sie nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst zwei Wochen in Arbeitsquarantäne musste, hatte man ihr gesagt. Aber nach mehr als einem Monat in Isolation hat sie genug: "Wir werden wie Sklaven behandelt, nur vom Hotel zur Arbeit gebracht und zurück."
Ihre Kollegin Ilona weigert sich zu arbeiten. "Ich will nach Hause fahren”, sagt sie. Nun wartet sie auf ihrem Zimmer. Ihre Mitbewohnerinnen arbeiten weiter, daher hat Ilona Angst, dass sie das Virus in die Unterkunft einschleppen. Es wäre nicht nur gefährlich, sondern könnte ihre Quarantäne nochmal verlängern.
1011 Menschen arbeiten derzeit auf dem Spargelhof von Heinrich Thiermann im niedersächsischen Kirchdorf. Vor allem hunderte Polen und Rumänen. Ende April, als die Arbeitsquarantäne begann, waren 47 Arbeiter infiziert. Bis heute sind es bereits 131 Personen.
DW sprach mit sechs polnischen Arbeiterinnen, die am Telefon von der Lage hinter dem verriegelten Tor des Hofs erzählt haben. Ihre Namen wurden im Text geändert. Die DW hat auch Kontakt zu dem Unternehmen aufgenommen. Nach der ersten Veröffentlichung des Artikels auf Polnisch bestätigten weitere Beschäftigte die von uns beschriebenen Zustände. Die Aussagen machen deutlich, wie die Ungleichheiten auf den europäischen Arbeitsmärkten die Verbreitung des Coronavirus begünstigen können.
Tausend Menschen unter Verschluss
Am 30. April verfügte das Gesundheitsamt Diepholz eine zweiwöchige Quarantäne bei Thiermann GmbH. "Aufgrund des diffusen Infektionsgeschehens innerhalb des Betriebs ließen sich die engen Kontaktpersonen zu den nachweislich Infizierten nicht klar definieren”, erklärt Mareike Rein, Sprecherin des Landkreises. Mit anderen Worten: das Virus war überall.
Sogar verheirateten Paaren, die in anderen Teilen des Hofs arbeiten, wurde es verboten, sich zu treffen. Sicherheitspersonal wurde angestellt, um die Quartiere zu bewachen. Mittag- und Abendessen werden serviert. Erst vor wenigen Tagen wurde ein effizientes System zum Einkaufen eingerichtet.
Da die Zahl der Neuinfektionen aktuell wieder sinkt, entschied das Gesundheitsamt, die Betriebsquarantäne aufzuheben - jedoch nicht für alle: Für rund 200 Erntehelfer, die als Kontaktpersonen gelten oder mit Infizierten in derselben Unterkunft gewohnt haben, wurde sie bis zum 18. Mai verlängert.
Laut Thiermann sind Arbeiter krankenversichert
Weder das Unternehmen noch das Gesundheitsamt teilten auf Anfrage der DW mit, wie viele Menschen im Krankenhaus behandelt werden. Die Arbeiter, mit denen wir sprechen konnten, berichten von möglicherweise bis zu fünf Personen, eine von ihnen soll schwer an COVID-19 erkrankt sein.
Die Thiermann GmbH sagt, dass alle Mitarbeiter versichert sind. Es entstehen "keine Kosten bei Krankheit und sie erhalten eine Lohnfortzahlung”, sagte Sprecherin Anke Meyer der DW. Eine der infizierten Frauen erzählte hingegen, dass sie auch während der Krankschreibung für die Unterkunft bezahlen muss.
Auf dem Hof des Spargelkönigs
Arbeitsquarantäne bedeutet, dass die Arbeiterinnen ihre Unterkunft nur zum Zweck der Arbeit verlassen dürfen. Selbst ein Ausbruch stoppt die Produktion nicht. So wie auf dem Bauernhof von Henrich Thiermann. Er ist einer der größten Spargelproduzenten in Deutschland. Auf seinen Feldern ernten jedes Jahr Hunderte Arbeiter aus Osteuropa Tonnen