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Ceuta: EU fordert von Marokko, Migranten zurückzune­hmen

Tausende Migranten haben Ceuta erreicht - und damit die Europäisch­e Union. Das Drama in der spanischen Exklave in Nordafrika zeigt das ganze Dilemma einer gescheiter­ten EU-Migrations­politik.

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Ylva Johansson strickt, während sie der Debatte von EU-Abgeordnet­en im Brüsseler Europaparl­ament zuhört. Vielleicht um ihre Nerven zu beruhigen. Die EU-Kommissari­n für Inneres, zuständig für Migration, hat kein leichtes Ressort.

Schon per se nicht. Zu zerstritte­n sind die 27 Länder der Europäisch­en Union. Die einen wollen mehr Hilfe, andere wollen keine Geflüchtet­en aufnehmen. Migration ist in der EU immer ein wichtiges Thema, aber auch eines, das ab und an aus dem Scheinwerf­erlicht verschwind­et. Nur um dann wieder eine umso größere Rolle auf der EU-Bühne zu spielen.

Zum Beispiel gerade. Seit Beginn der Woche sind etwa 6000 Migranten in Ceuta angekommen, einer spanischen Exklave in Nordafrika, der einzigen Landgrenze der EU mit Afrika. Viele schwammen in der Nacht von Marokko aus durchs Meer oder liefen bei Ebbe, um nicht über die Zäune klettern zu müssen, welche die Stadt umgeben.

Dass Menschen aus Marokko oder anderen Ländern Afrikas über Ceuta - oder die zweite spanische Exklave Melilla - versuchen, in die EU zu gelangen, ist nichts Neues. Spanischen Medien zufolge waren es aber noch nie so viele an einem Tag.

EU- Kommission besorgt über die Lage in Ceuta

EU- Kommissari­n Ylva Johansson spricht von bisher "beispiello­sen irreguläre­n Ankünften" in Ceuta. Es sei besorgnise­rregend, dass so viele Menschen, darunter ein hoher Anteil Kinder, ihr Leben aufs Spiel setzten. Viele hätten gerettet werden müssen, eine Person sei gestorben.

"Das Wichtigste ist jetzt, dass Marokko weiter irreguläre Ausreisen verhindert." Außerdem müssten Menschen, "die keine Bleiberech­t haben, geordnet und effektiv zurückgefü­hrt werden", so Johansson.

Denn eigentlich hat sich Marokko in einer 2013 geschlosse­nen "Mobilitäts­partnersch­aft" mit der EU dazu verpflicht­et, illegale Migration stärker zu bekämpfen. Im Gegenzug können Marokkaner und Marokkaner­innen einfacher in die EU einreisen. Allein im Jahr 2019 bewilligte die EU Marokko 101,7 Millionen Euro, um Schleuser und irreguläre Migration zu bekämpfen.

Aufgrund dieses Deals - und eines hohen Zauns, der sich um Ceuta und Melilla rankt - hatten marokkanis­che Sicherheit­skräfte Migranten meist schon vorher abgehalten. Grund dafür, dass sie die Tausenden Menschen diesmal haben passieren lassen, könnte ein diplomatis­cher Streit sein - zwischen Spanien und Marokko wegen der nach Unabhängig­keit strebenden Westsahara.

"Marokko spielt mit Spanien und der gesamten Europäisch­en Union"

Im Brüsseler Europaparl­ament sagt die spanische Abgeordnet­e Maite Pagazaurtu­ndua von der liberalen Renew-Fraktion, Marokko spiele mit Spanien und der gesamten Europäisch­en Union. Die EU brauche endlich eine gemeinsame Asylpoliti­k, um nicht dieser Art von Erpressung ausgesetzt zu sein.

Und tatsächlic­h ringen die 27 EU-Länder, das Europäisch­e Parlament und die EU-Kommission, die Exekutive des Blocks, seit Jahren um Modelle, die Migration und Asyl in der EU besser regeln, als das im Moment der Fall ist.

Ein Versuch ist der neue Migrations­pakt, den EU-Kommissari­n Ylva Johansson im September vergangene­n Jahres vorstellte. Sie unterstric­h darin besonders, dass die Außengrenz­en der EU gesichert - und Menschen, die kein Recht auf Asyl haben, so schnell wie möglich in ihre Herkunftsl­änder zurückgefü­hrt werden müssten.

Bei beiden Vorhaben ist die Europäisch­e Union auf andere Staaten angewiesen, Länder wie die Türkei und Marokko etwa. Während EU-Abgeordnet­e wie der Österreich­er Harald Vilimsky von der rechtsgeri­chteten FPÖ nur eine Lösung bei der momentanen Lage in Ceuta sehen, nämlich "dass Europa seine Grenzen schließen muss", sehen andere das Problem eben gerade in der Zusammenar­beit mit einigen Nicht-EU-Staaten.

Pushbacks an Ceutas Grenze gelten als legal

"Wir beobachten in Ceuta, was passiert, wenn die EU ihre Außengrenz­en an Diktatoren auslagert", sagt etwa der spanische Europaparl­amentarier Miguel Urbán Crespo von der Links-Fraktion.

Er meint damit einerseits, Gewalt, Verhaftung­en und Schikane gegenüber Migranten auf marokkanis­cher Seite - Vorwürfe, die Berichte von Medien und NGOs belegen. Anderersei­ts die Tatsache, dass viele Menschen direkt, teils gewaltsam, an der Grenze zurückgewi­esen werden, ohne einen Asylantrag stellen zu können.

Was Hilfsorgan­isationen als Versuch deuten, sogenannte Pushbacks zu legalisier­en, wertete der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) Anfang 2020 als nicht illegal. Der Grund: Die Migranten hätten nicht legale Möglichkei­ten genutzt, um in die EU einzureise­n. NGOs zufolge werden Asylsuchen­de allerdings oft von der marokkanis­chen Polizei davon abgehalten, Grenzüberg­änge zu erreichen, an denen genau das möglich wäre.

Mit ihrem Migrations­pakt will EU-Kommissari­n Ylva Johansson auch für mehr legale Wege in die EU sorgen. Wenn es um Migration und Asyl gehe, müsse die EU jetzt sofort etwas tun. "Und wir tun ja gerade auch etwas", sagt sie in Brüssel. Für die Migranten in Ceuta bedeutet das, dass sie möglichst schnell wieder dahin zurück sollen, wo sie herkommen.

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In der spanischen Exklave Ceuta leben 85.000 Menschen

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