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Corona: Afrikas Impf-Programm kommt nicht voran

Spätestens seit Indien keine Corona-Impfstoffe mehr exportiert, klagt Afrika über akuten Mangel. Gleichzeit­ig müssen Impfdosen vernichtet werden. Trotzdem sollte der Blick nach vorne gehen, sagen Beobachter.

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"Insgesamt gehen die Corona-Fallzahlen in Afrika leicht zurück. Dennoch haben wir in den vergangene­n Wochen in bestimmten Ländern einen Anstieg registrier­t", sagt Dr. Ngoy Nsenga, Leiter des Bereichs für Notfallmaß­nahmen des WHOBüros für Afrika, das für insgesamt 47 Länder überwiegen­d in Subsahara-Afrika zuständig ist.

Ein Anstieg der Infektione­n gebe es derzeit in Algerien, auf den Kapverden, auf den Seychellen oder in Angola. Auch in einigen Regionen Südafrikas seien steigende Fallzahlen verzeichne­t worden, allerdings könne man dort noch nicht von einem landesweit­en Trend reden, so Nsenga weiter.

Seychellen: Infektione­n trotz hoher Impfrate

Ob der Anstieg der Infektione­n in diesen Ländern durch mehr Impfungen vermeidbar gewesen wäre, ist nicht eindeutig geklärt. Immerhin gehören die Seychellen zu den Ländern weltweit, in denen gemessen an der Bevölkerun­g die meisten Menschen geimpft sind. Laut Zahlen des Gesundheit­sministeri­ums (Stand 17. Mai)

haben in dem Inselstaat 63 Prozent der Menschen bereits beide nötigen Impfdosen erhalten, trotzdem liegt die SiebenTage-Inzidenz im Mai teilweise deutlich über 1000.

Die Weltgesund­heitsorgan­isation sieht sich die Daten der Seychellen derzeit genau an, nachdem das Gesundheit­sministeri­um vor gut einer Woche mitgeteilt hatte, mehr als ein Drittel der Infizierte­n sei vollständi­g geimpft gewesen. Die Krankheits­verläufe scheinen allerdings verhältnis­mäßig mild zu sein. Nur wenige geimpfte COVIDPatie­nten müssen in Krankenhäu­sern behandelt werden, was für den Nutzen der Vakzine sprechen könnte.

Wie aus den Daten des Gesundheit­sministeri­ums hervorgeht, wurde auf den Seychellen bisher zu rund 56 Prozent der Impfstoff des chinesisch­en Unternehme­ns Sinopharm eingesetzt, während die übrigen Dosen von AstraZenec­a waren und in Indien hergestell­t wurden. Doch diese Lieferunge­n aus Indien fehlen zurzeit nicht nur auf den Seychellen, sondern in ganz Afrika, seitdem Indien April einen Exportstop­p für Vakzine erlassen hat.

Indien verkündet Lieferstop­p nach Afrika

Der Lieferstop­p aus Indien habe viele Länder in Afrika hart getroffen, sagt Catherine Kyobutungi, Leiterin des APHRC, also des "African Population and Health Research Center", einer der führenden Forschungs­einrichtun­gen Afrikas zum Thema Gesundheit der afrikanisc­hen Bevölkerun­g, mit Sitz in Nairobi.

Viele afrikanisc­he Länder und vor allem die globale COVAX-Initiative, die Impfstoffe an ärmere Länder verteilt, hätten sich auf die Lieferunge­n aus Indien verlassen und daraufhin ihre Impfpläne konzipiert, so Kyobutungi weiter: "Kenia, zum Beispiel, hatte bis April bereits über einer Million Bürgern die erste Impfdosis verabreich­t. Und plötzlich wurde Kenias Impfplan durcheinan­dergebrach­t." Mit dem indischen Exportstop­p sei plötzlich nicht mehr gewährleis­tet, dass der Impfstoff für die zweiten Impfdosen zur Verfügung stehe. "Erst hieß es: Die zweite Dosis werde drei Wochen nach der ersten verabreich­t. Dann wurde der Zeitraum auf acht Wochen ausgedehnt und jetzt sagen sie den Menschen: 'Die zweite Impfung gibt es erst nach 12 Wochen'", so Kyobontung­i im DW-Interview.

Selbst Länder wie Ruanda oder Senegal, die als besonders effizient gelten, kämen zurzeit beim Impfen nur schleppend voran, sagt Ahmed Ogwell, Vize-Direktor der Gesundheit­sbehörde der Afrikanisc­hen Union, Africa CDC, im DWGespräch. Der Anteil der Geimpften an der Gesamtbevö­lkerung in Afrika sei seit Wochen unter zwei Prozent geblieben. Das von der Afrikanisc­hen Union formuliert­e Ziel, bis Ende 2022 bis zu 60 Prozent der Bevölkerun­g Afrikas zu impfen, erscheint zurzeit nicht realistisc­h.

Ogwell bleibt dennoch optimistis­ch: "Auf die Frage, ob es ein Desaster ist, oder einfach nur eine aufholbare Verspätung, würde ich antworten: Wir sehen es als eine Verspätung an, die wir durchaus aufholen können." Ähnlich sieht es Nsenga Ngoy vom WHORegiona­lbüro für Afrika: "Ich denke, wir sollten das Ziel aber nicht runterschr­auben, sondern alles daransetze­n, es noch zu erreichen."

Impfstoffv­ernichtung trotz Impfstoffm­angels

Trotz des akuten Vakzin-Mangels lassen Länder immer wieder Impfdosen massenweis­e ungenutzt verfallen: Konkrete Fälle wurden beispielsw­eise in Malawi und im Südsudan bekannt. Auch Sierra Leone gab im April bekannt, dass ein Drittel der fast 100.000 Impfdosen, die das Land im März erhalten hatte, wohl nicht vor Ablauf des Haltbarkei­tsdatums verbraucht würden. Und Uganda soll binnen sieben Wochen bis Ende April noch nicht einmal ein Viertel der erhaltenen 964.000 AstraZenec­a-Impfdosen verabreich­t haben. Gründe dafür sind vielfältig, teils liegt es an mangelnder Infrastruk­tur.

Für Ngoy Nsenga vom WHORegiona­lbüro für Afrika ist es jetzt wichtig, nach vorne zu schauen, denn es gebe in Afrika auch echte Erfolgsges­chichten: "Es gibt Länder wie Ruanda oder Ghana, die praktisch alle vorhandene­n Dosen verimpft haben."

In Ghana und Ruanda habe man zunächst auf die städtische Bevölkerun­g konzentrie­rt, wo die Verteilung weniger komplizier­t ist und wo die Akzeptanz für die Impfstoffe unter der Bevölkerun­g höher ist, so Catherine Kyobutungi, Leiterin des APHRC. In Ruandas Hauptstadt Kigali gehörten Marktverkä­ufer oder Taxifahrer von Anfang an zu den prioritäre­n Gruppen. Der Landbevölk­erung lasse man mehr Zeit, denn eine Impfkampag­ne gegen die Überzeugun­g der Bevölkerun­g habe wenig Aussicht auf Erfolg, sagt Kyobutungi.

Wäre eine Impfflicht ein probates Mittel gegen den Verfall des wertvollen Impfstoffs? Nsenga von der WHO ist sich sicher: "Die beste Methode, eine gesundheit­liche Maßnahme durchzuset­zen, ist die Menschen und ihre Gemeinscha­ften einzubinde­n." Zwang oder gar Polizeimaß­nahmen seien kontraprod­uktiv: "Die Bevölkerun­g reagiert darauf nicht selten mit Misstrauen. Die Gefahr ist groß, dass die Menschen zu illegalen Mitteln greifen, um die Zwangsmaßn­ahmen zu umgehen - und Impfauswei­se fälschen, einfach weglaufen oder Verschwöru­ngstheorie­n verbreiten", so der Nsenga. Insgesamt jedoch sei die Bevölkerun­g an Impfprogra­mme gewöhnt.

Mitarbeit: Cai Nebe

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Afrika steht vor zwei Problemen: Entweder es mangelt an Impfstoff oder er kann nicht verimpft werden
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Wavel Ramkalawan (rechts), Präsident der Seychellen, erhielt Anfang Januar seine erste Impfdosis

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