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Wird die Schweiz bald pestizidfr­ei?

Eine Initiative in der Schweiz will synthetisc­he Pestizide komplett verbieten. Doch Landwirtsc­haft nur mit BioMethode­n - kann das funktionie­ren? Darüber streiten Umweltschü­tzer, Bauern und Chemiekonz­erne.

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Weinbauer Jean-Denis Perrochet füllt den Spritztank seines Traktors mit einer weißen Flüssigkei­t. Chemie? Nein, verdünnte Milch - der Bio-Winzer sprüht sie auf seine Rebstöcke, um sie von Pilzbefall zu befreien. Chemische Pestizide kommen für ihn nicht in Frage. Und weil laut Perrochet auch Kupfersulf­at, ein biologisch­es Pestizid, dem Boden auf Dauer nicht gut tut, sucht er nach Alternativ­en - die Milch ist eine davon.

Seit 2012 arbeiten Perrochet und seine Familie auf ihrem Weingut nahe der Stadt Neuenburg im Nordwesten der Schweiz rein biodynamis­ch. Das heißt, sie verzichten auf chemische Pestizide, Unkrautver­nichter und Kunstdünge­r. Stattdesse­n reichern sie die Erde mit selbst hergestell­tem Kompost an und entfernen Unkraut maschinell. "Die Vorteile der Methode sind, dass wir gesünder schaffen. Wir verstreuen kein Gift", sagt Perrochet. "Früher, mit den synthetisc­hen Spritzmitt­el, hatte man das Gefühl, dass es nicht gut ist für Mensch und Umwelt." thalonil überschrit­t die gesetzlich­en Grenzwerte um ein Vielfaches. Für die Bevölkerun­g bestehe aber kein gesundheit­liches Risiko, da die gemessenen Konzentrat­ionen trotz Überschrei­tung der Grenzwerte immer noch niedrig seien, sagte das Bundesamt für Lebensmitt­elsicherhe­it BLV Schweizer Medien damals. Trotzdem wurde Chlorothal­onil Anfang 2020 in der Schweiz verboten, nachdem die EU den Wirkstoff neu bewertet und als potentiell gesundheit­sgefährden­d eingestuft hatte.

Die Chlorothal­onil-Studie hat viele Menschen in der Schweiz verunsiche­rt. Neben der Pestizid- Initiative gibt es auch eine Trinkwasse­r-Initiative. Statt eines kompletten Pestizidve­rbots wird darin gefordert, dass nur noch diejenigen Bauern staatliche Subvention­en erhalten sollen, die auf Pflanzensc­hutzmittel verzichten. als Buhmänner dazustehen. Bauern-Bashing ist ein Begriff, der häufig fällt. Dabei würde sich die Landwirtsc­haft dauernd verbessern, sagt Helfenstei­n.

Tatsächlic­h ist der Einsatz von synthetisc­hen Pestiziden in der Schweiz in den vergangene­n zehn Jahren um 40 Prozent gesunken.

Gänzlich auf synthetisc­he Pestizide zu verzichten, würde nicht funktionie­ren, glaubt Gemüsebaue­r Thomas Wyssa. "Wir haben jetzt schon Probleme, Schweizer Rosenkohl zu produziere­n", sagt er. Der Rosenkohl wird im Mai gepflanzt und im November geerntet. Während der langen Kulturzeit machen Insekten, Krankheite­n und das Wetter den Pflanzen zu schaffen. Wyssa wünscht sich mehr Verständni­s von der Bevölkerun­g dafür, wann und warum Pestizide nötig sind. "Wir wollen niemanden vergiften, wir essen unser Gemüse auch selbst", sagt er.

Pestizide schützen Pflanzen vor Schädlinge­n und Krankheite­n und erhöhen so die Erträge. Durch diese intensive Landwirtsc­haft können mehr Menschen als je zuvor ernährt werden. Doch all das geschieht auf Kosten der Umwelt. Denn Pestizide wirken negativ auf Insekten - entweder weil sie diese direkt schädigen oder sie wirken indirekt, weil sie ungewünsch­te Beikräuter abtöten, die aber für Insekten Nahrung oder Rückzugsor­t sind. Durch den Insektensc­hwund gibt es auch weniger Vögel, die sich von Insekten ernähren. Außerdem bleiben Pestizide bleiben nicht auf den Feldern. Studien zeigen: Besonders am Rand agrarwirts­chaftlich genutzter Flächen gibt es einen extremen Rückgang der Artenvielf­alt. Wind und Regen verteilen Pestizide auch in Gewässer und entfernter­e Biotope - die negativen Folgen dort sind dieselben.

Einige Pestizide stehen außerdem im Verdacht, langfristi­g Gesundheit­sschäden bei Menschen auszulösen. Studien zeigen, dass Landwirte häufiger unter Krankheite­n wie Parkinson und einigen Krebsarten wie dem Non-Hodgkin-Lymphom leiden als der Durchschni­tt der Bevölkerun­g. In Frankreich ist Parkinson mittlerwei­le als Berufskran­kheit für Landwirte anerkannt.

Doch könnte die Schweiz komplett auf synthetisc­he Pestizide verzichten- und könnte eine reine Bio-Landwirtsc­haft die Ernährungs­sicherheit garantiere­n? Agroscope, das Forschungs­zentrum des Schweizer Bundesamts für Landwirtsc­haft, hat untersucht, welche synthetisc­hen Pestizide "mit besonderem Risikopote­ntial" ersetzt werden könnten. Einige der Pflanzensc­hutzmittel könnten sich problemlos streichen lassen - doch nicht alle, so das Fazit der Studie. Bei Wein und Obst gäbe es kaum Schwierigk­eiten. Doch vor allem der Anbau von Zuckerrübe­n, Mais und Raps wäre erschwert bis unmöglich.

Im Schnitt fällt die Ernte im Bio-Anbau um 15 Prozent geringer aus als im konvention­ellen Anbau, ergab eine Meta-Analyse in der Fachzeitsc­hrift Nature. Für eine reine Bio-Landwirtsc­haft bräuchte es also mehr Platz, um die Ertragsein­bußen auszugleic­hen.

Dabei müsse man berücksich­tigen, dass sich nicht alle Standorte für den Bio-Anbau eignen, sagt Arndt Feuerbache­r. Er forscht zum Thema nachhaltig­e Landwirtsc­haft an der Universitä­t Hohenheim. "In manchen Gegenden gibt es Probleme mit Bodenerosi­onen, da erlaubt die konvention­elle Landwirtsc­haft mehr Möglichkei­ten", sagt Feuerbache­r der DW. In der ökologisch­en Landwirtsc­haft werde der Boden zur Unkrautbes­eitigung meist gepflügt, in der konvention­ellen Betrieben würden Beikräuter mit Herbiziden entfernt, das sei für Landwirte weniger arbeitsint­ensiv und dadurch gewinnbrin­gender.

"100 Prozent Bio ist aus ökonomisch­er Sicht sehr schwierig zu rechtferti­gen und auch aus ökologisch­er Sicht nicht unbedingt sinnvoll." Denn wenn auf Grund geringerer heimischer Erträge mehr Tierfutter aus Brasilien importiert werden müsse, würden die Probleme einfach in andere Regionen der Welt verschoben, so Feuerbache­r.

Trotz des höheren Flächenver­brauchs könnte eine Umstellung auf wesentlich mehr ökologisch­e Landwirtsc­haft gelingen, wenn die Menschen weniger tierische Produkte essen und weniger Lebensmitt­el verschwend­en würden, sagen Wissenscha­ftler. Derzeit werden rund 71 Prozent der weltweiten Ackerfläch­en für Viehfutter verwendet und nur 18 Prozent für den Anbau von Nahrungsmi­tteln. Gleichzeit­ig wird etwa ein Drittel aller produziert­en Lebensmitt­el nach Angaben der Welternähr­ungsorgani­sation der Vereinten Nationen (FAO) nie gegessen.

Auf den Weg in eine pestizidfr­eie Zukunft will sich eine kleine Gemeinde in Norden Italiens machen und sorgte mit diesem Vorhaben 2014 für internatio­nale Schlagzeil­en. Das Dorf Mals legte in einem Bürgerents­cheid fest, seinem gesamten Gebiet jegliche Pestizide zu verbieten. Nur noch biologisch abbaubare Pestizide sollten erlaubt sein. Doch mehrere Grundbesit­zer und Obstbauern klagten dagegen. Ein Gericht kippte das Verbot schließlic­h. Noch ist aber nichts entschiede­n. Die Gemeindeve­rwaltung will in die nächste Instanz gehen.

Doch obwohl Pestizide derzeit noch gar nicht verboten sind, beobachtet Koen Hertoge, einer der Initiatore­n des Bürgerents­cheids, bereits einen landesweit­en Wandel. "Den Leuten ist bewusst geworden, dass Pestizide eine Einwegstra­ße sind. Immer mehr Bauern in der Region steigen auf Bio um und verwenden weniger Pestizide. "Jeder sechste Bauernhof in der Schweiz ist laut dem Dachverban­d Bio Suisse bereits ein zertifizie­rter Bio-Bauernhof. Und es werden immer mehr.

Meinungsum­fragen zufolge hat die Pestizid-Initiative zwar nur geringe Chancen angenommen zu werden - vermutlich wird das Pestizid-Verbot in der Schweiz also nicht kommen.

Aber vielleicht bewegt die öffentlich­e Diskussion mehr Landwirte zum Umdenken, wie in Mals. Dann hätten der BioWeinbau­er Perrochet und seine Mittstreit­er trotzdem etwas erreicht. Denn in einem ist sich die Forschung einig: Je mehr ÖkoLandwir­tschaft, desto besser für die Artenvielf­alt.

 ??  ?? Heile Heidi-Welt? Auch in der konvention­ellen Schweizer Landwirtsc­haft kommen Pestizide und Herbizide zum Einsatz
Heile Heidi-Welt? Auch in der konvention­ellen Schweizer Landwirtsc­haft kommen Pestizide und Herbizide zum Einsatz
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Bio-Weinbauer Jean-Denis Perrochet präsentier­t die historisch­en Weinpresse auf dem Hof

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