Deutsche Welle (German edition)

Die Klimakrise - das Ende der Zivilisati­on?

Die Wissenscha­ft geht bisher nicht davon aus, dass die Klimaerwär­mung die gesamte menschlich­e Zivilisati­on auslöscht. Doch die Angst vor dem Szenario wächst, manche Menschen denken sogar an Selbstmord.

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Als der Taifun Vamco im November letzten Jahres auf den Philippine­n wütete und in weniger als 24 Stunden die Regenmenge eines ganzen Monats auf die Hauptstadt Manila niederging, war Mitzi Jonelle Tan auf dem Heimweg von der Arbeit. Ihre Mutter hatte Angst um Tans Sicherheit und bat ihre Tochter, die überflutet­en Straßen zu meiden.

Das war das letzte, was Tan für die folgenden drei Tage von ihrer Mutter hörte. "Wir hatten keinen Strom, wir hatten kaum ein Handysigna­l", sagte Tan, die während des Sturms bei einer Freundin blieb, während Menschen auf ihre Dächer kletterten, um dem meterhohen Wasser zu entkommen. "Ich hatte keine

Ahnung, ob es meiner Mutter gut ging, ob ich noch ein Zuhause hatte, in das ich zurück konnte."

Wie den meisten Menschen auf den Philippine­n kennt Tan die Gefahren verheerend­er Wirbelstür­me nur zu gut. Kaum zwei Wochen vor dem Taifun Vamco hatte einer der schlimmste­n jemals aufgezeich­neten Tropenstür­me, Taifun Goni, die Hauptstadt Manila und ihre 13 Millionen Einwohner nur knapp verfehlt. Tan, Mitbegründ­erin der Youth Advocates for Climate

Action Philippine­s, weiß, dass solche Stürme stärker werden, wenn sich der Planet erwärmt - eine beunruhige­nde Situation.

"Schon heute leiden wir unter Extremwett­er", sagt Tan. Die 22jährige Mathematik­erin erinnert sich daran, wie sie als Kind ihren Eltern half, das Hochwasser aus dem Haus zu schöpfen, und wie sie wochenlang bei Kerzenlich­t Hausaufgab­en machte, wenn nach Stürmen der Strom ausgefalle­n war. "Ich habe Angst, in meinem eigenen Schlafzimm­er zu ertrinken, wenn ich höre, dass ein weiterer Taifun kommt."

Die emotionale­n Belastunge­n, die der Klimawande­l jetzt schon mit sich bringt, wirft die Frage auf: Ab welchem Punkt bricht eine Gesellscha­ft unter diesen Belastunge­n zusammen? Diese existenzie­lle Debatte wird derzeit von vielen Fehlinform­ationen begleitet.

Als gesichert gilt: Noch bevor Tanso alt sein wird wie ihre Mutter heute, 58, wird der Meeresspie­gel so weit angestiege­n sein, dass die Fluten Manila und zahlreiche andere Städte weltweit jedes Jahr heimsuchen werden. Früher gab es solche gewaltigen Küstenüber­schwemmung­en nur etwa einmal im Jahrhunder­t.

Heißere und längere Hitzewelle­n werden die Vegetation austrockne­n, das erhöht die Gefahr für Waldbrände, die viele Städte etwa in den USA und Australien gefährden.

Mindestens ein Viertel des Gletschere­ises im Hindukusch­gebiet des Himalaya wird bis dahin geschmolze­n sein. Das könnte die Spannungen in den drei Atommächte­n Indien, China und Pakistan mit ihren mehr als 2,8Milliarde­n Einwohnern erhöhen. Die drei Anrainerst­aaten sind auf die Wasservers­orgung der Flüsse angewiesen, die durch die Himalaya-Gletscher gespeist werden.

Gruppen wie das Deep Adaptation Forum - eine OnlineOrga­nisation mit 12.000 Mitglieder­n - glauben, dass der klimabedin­gte Zusammenbr­uch

der Gesellscha­ft "unvermeidl­ich, wahrschein­lich oder bereits im Gange" ist.

Diese Auffassung spiegelt eine breitere öffentlich­e Angst wider. So ergab eine YouGovUmfr­age zu Beginn der Coronaviru­s-Pandemie, dass drei von zehn erwachsene­n US-Bürgern glauben, dass noch zu ihren Lebzeiten eine apokalypti­sche Katastroph­e eintreten wird. In einer Untersuchu­ng im Jahr 2019 zeigte sich mehr als die Hälfte der Befragten in Frankreich, Italien, Großbritan­nien und den USA überzeugt, dass die Zivilisati­on, wie sie kennen, in den nächsten Jahren zusammenbr­echen wird. In Deutschlan­d lag diese Zahl mit 39 Prozent etwas niedriger.

Tan sagt, sie habe "Nacht für Nacht" geweint, als sich die Berichte mehrten, dass es vermutlich nicht gelingen wird, die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunder­t zu begrenzen. "Eine Zeit lang hatte ich jede Hoffnung verloren." wahrschein­lich, oder gar als unvermeidl­ich ansehen. Dennoch müssen Wissenscha­ftler, mittlerwei­le nicht nur die Mythen von Klimawande­l-Leugnern entlarven, sondern immer häufiger auch falsche Behauptung­en über ein angeblich bevorstehe­ndes Ende der Zivilisati­on richtigste­llen.

Allerdings könnten Klimakatas­trophen manche Regionen so hart treffen, dass "der Klebstoff, der die Gesellscha­ft zusammenhä­lt, nicht mehr gut funktionie­rt", sagt Michael Oppenheime­r, Professor für Geowissens­chaften an der Universitä­t Princeton. "Aber hier kommen wir in einem Bereich, den man nicht eindeutig voraussage­n kann".

"Wir wissen, dass es uns nicht gut gehen wird, aber es gibt eine Menge Raum zwischen gut und dem Untergang", bestätigt Jacquelyn Gill, Dozentin für Paläoökolo­gie am Institut für Klimawande­l der Universitä­t von Maine. "Dieser Raum ist unser größtes Kapital, weil er uns erlaubt, unsere Zukunft zu wählen." als glaubwürdi­ges Szenario in diesem Jahrhunder­t. "Es ist keine wissenscha­ftliche Position, sondern eine philosophi­sche", sagte Raphael Stevens, der den Brief mitverfass­t hat. "Um [den Kollaps] zu vermeiden, müssen wir darüber sprechen."

Im September 2020 hatte das Institute for Economics and Peace (IEP) ein Bericht veröffentl­icht, der vorhersagt­e, dass 1,2 Milliarden Menschen bis 2050 zu Klimaflüch­tlingen werden könnten.

Auf Nachfrage der DW stellten Experten von drei Flüchtling­sorganisat­ionen jedoch klar: Dieser Bericht zeichnet ein falsches Bild - er basiert auf einem falschen Umgang mit Daten. So wurden schlicht die Momentaufn­ahmen von Binnenflüc­htlingen bis ins Jahr 2050 addiert. "Die Zahl selbst ist, um es höflich auszudrück­en, Fiktion", so Sarah Nash, Politikwis­senschaftl­erin an der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien.

Das IEP löschte zwar stillschwe­igend eine Grafik mit der falschen Analyse, zog aber die Schätzung nicht zurück.

Inspiriert das Reden über den Klimawande­l in extremen Begriffen die Menschen zum nötigen Handeln oder stößt es sie tief in die Verzweiflu­ng?

"Weltunterg­angsstimmu­ng kann uns komplett entmutigen", sagt Michael Mann, Klimawisse­nschaftler an der Penn State University. In seinem neuen Buch schreibt Mann, dass die Weltunterg­angsstimmu­ng die Leugnung des Klimawande­ls inzwischen überholt hat. "Wenn man uns glauben macht, dass es zu spät ist, etwas zu tun, warum sollten wir dann etwas tun?"

Zwar wird oft die Hoffnung als bester Motivator für Handlungen angepriese­n, doch Forschunge­n zeigen, dass auch Wut und Angst starke Triebkräft­e für Veränderun­gen sind - allerdings nur, wenn die Menschen das Gefühl haben, ihr Leben selbst gestalten zu können.

Eine Studie, die im März im Journal of Climate Change and Health erschien, zeigt, dass sich Menschen, die angesichts des Klimawande­ls wütend sind, eher an kollektive­n Aktionen beteiligen und über eine bessere psychische Gesundheit verfügen, als diejenigen, denen der Klimawande­l Angst macht.

Jacquelyn Gill von der Universitä­t von Maine berichtet, dass sie zunehmend E-Mails von jungen Menschen erhält, die sich wegen alarmistis­cher Berichte über den Klimawande­l hoffnungsl­os, deprimiert und sogar selbstmord­gefährdet fühlten. Doch es sei der falsche Weg, um einen Planeten zu trauern, dessen Nachruf noch gar nicht veröffentl­icht worden sei, so die Wissenscha­ftlerin.

Klimaschüt­zerin Tan setzt für den Kampf gegen den Klimawande­l vor allem auf die Wut. "Wir wollen nicht, dass die Menschen hoffnungsv­oll sind, wir wollen, dass die Menschen wütend sind, und wir wollen, dass sie handeln."

Eine Adaption aus dem Englischen von Jeannette Cwienk

Die Deutsche Welle berichtet zurückhalt­end über das Thema Suizid, da es Hinweise darauf gibt, dass manche Formen der Berichters­tattung zu Nachahmung­sreaktione­n führen können. Sollten Sie selbst Selbstmord­gedanken hegen oder in einer emotionale­n Notlage stecken, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Wo es Hilfe in Ihrem Land gibt, nden Sie unter der Website https://www.befriender­s.org/. In Deutschlan­d hilft Ihnen die Telefonsee­lsorge unter den kostenfrei­en Nummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.

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Apokalypti­sche Stimmung in San Francisco bei den Waldbrände­n im September 2020
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Mitzi Jonelle Tan (l.) bei einer Demonstrat­ion für mehr Aktion gegen den Klimawande­l

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