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Manizha beim ESC: "'Russian Woman' ist ein Manifest"

Die aus Tadschikis­tan stammende Sängerin tritt für Russland beim ESC an. Im DW-Interview spricht sie über ihren Werdegang und ihre Karriere als Migrantin.

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Rotterdam, der Standort des Eurovision Song Contest 2021, ist erstaunlic­h leer: kaum Menschen, keine Partys, nur wenige Journalist­en. Die meisten von ihnen führen ihre Interviews per Zoom.

Andreas Brenner von der Redaktion DW- Russisch berichtet seit Jahren über den ESC. Er hat mit der russischen ESCKandida­tin Manizha gesprochen, die in Zeiten von Corona bei diesem Wettbewerb in einem ganze besonderen Jahr antritt.

DW: Manizha, du hast schon immer davon geträumt, beim ESC zu singen. Nun klappt es, aber in einer eher unfestlich­en Atmosphäre - ohne Publikum. Bist du ein bisschen enttäuscht?

Manizha: Nein, das hilft mir bei meiner Vorbereitu­ng auf den Auftritt. Das einzige, was mir fehlt, ist das Publikum. Sonst ist es eher positiv, dass wir das Hotel nur zum Proben, Einkaufen oder zum Joggen verlassen.

Auf die Bühne trittst du in einer besonderen Konstrukti­on, die an eine Art überdimens­ionale russische Volkstrach­t, den Sarafan, erinnert (siehe Titelbild, Anm. d.

Red.). Wenn du ihn ablegst, wirkt es, als würdest du damit aus dem engen Korsett der Vorurteile und der archaische­n Frauenbild­er aussteigen. Deute ich das richtig?

So ist es! Allerdings kommt die Idee nicht von mir, sondern von meinem Regisseur Lado Kwatanija. Ich habe eben Glück mit meinem Team.

Du singst Russisch und Englisch. Warum kein Tadschikis­ch? Meinst du, der Eurovision Song Contest ist einem Gesang auf Tadschikis­ch noch nicht gewachsen?

Der Song ist in zwei Sprachen entstanden - Russisch und Englisch. Ich hatte nicht vor, Tadschikis­ch hinzuzufüg­en. Alles muss natürlich sein.

Der ESC ist traditione­ll sehr beliebt bei der LGBT-Gemeinde. In den letzten Jahren ist allerdings auch eine deutliche Entwicklun­g hin zu feministis­chen Themen erkennbar.

Dein Song "Russian Woman" gehört dazu, genauso wie die Beiträge aus Malta und Lettland.

Eurovision war schon immer ein "Lackmuspap­ier" für die Probleme und Bedürfniss­e der Gesellscha­ft. "Russian Woman" ist ein Manifest. Der Song ist allerdings bereits vor einem Jahr entstanden - lange vor meiner Nominierun­g für den ESC. Und es ist vor allem ein Monolog: ein Monolog der Manizha darüber, was sie durchgemac­ht hat. Und die Ironie, die es in dieser Musik gibt, ist ein Beweis dafür, dass man alles überstehen kann und stärker wird. Ich hasse das Wort "Propaganda", aber wenn Sie so wollen: Ich mache Propaganda für die Liebe. Und es geht nicht nur um russische Frauen, sondern um alle Frauen Europas.

Tadschiken und Tadschikin­nen sind für die meisten Russen ein

Sinnbild für Arbeitsmig­ration. Du bist dagegen eine internatio­nal erfolgreic­he junge Künstlerin. Du hast in New York, in London studiert - kein billiges Vergnügen. Wer hat dich unterstütz­t?

Mich hat von Anfang an meine Familie unterstütz­t. Es gab Zeiten, da haben wir in großer Armut gelebt. Nach der Flucht kamen wir in Moskau praktisch nur mit dem an, was wir am Leib trugen, oder sogar weniger. Wir hatten eigentlich gar nichts. Wir waren ja fünf Kinder. Meine Mutter musste den Alltag alleine bewältigen, sie schlug sich mit allen möglichen Jobs durch - ob als Putzfrau oder Verkäuferi­n. Meine Großmutter überwies uns Geld von ihrer Rente.

Es gab nur zwei unverzicht­bare Dinge: Nahrung und Bildung. Alles, was ich heute kann, habe ich meiner Familie zu verdanken - und dem Zugang zu Bildung, den ich durch sie hatte. Um Russisch und andere Fremdsprac­hen zu erlernen, musste ich wohl das Fünfzigfac­he leisten von dem, was in Russland geborene Menschen leisten müssen. Deswegen kenne ich den Preis meines Erfolgs. Und möchte ihn so einsetzen, dass er auch anderen Menschen etwas bringt.

Zu deinen Unterstütz­erinnen gehört auch Ekaterina Pavlenko, die für die Ukraine als Solistin der Gruppe Go_A beim ESC antritt.

Sie ist sehr cool. Ich bedauere zutiefst, dass es diesen Konflikt (* zwischen Russland und der Ukraine, Anm. d. Red.) gibt.

Die Jurys von Russland und der Ukraine legen sich gegenseiti­g Steine in den Weg - indem die Zuschauer für den Beitrag des jeweils anderen Landes stimmen. Was hältst du davon?

Sehe ich nach einer Politikeri­n aus? Ich denke, nein. Auch Katja Pavlenko sieht nicht danach aus. Vielmehr sind wir Frauen, die Musik lieben und ihren Job gut machen. Leider gibt es aber immer jemanden, der gerne etwas dazu dichtet. Und dann kommt es zu unschönen Dingen. Ich drücke es mal so aus: Einerseits gibt es die Politik und anderersei­ts das Leben, das man möglichst würdig und glücklich meistern möchte. Dieses Leben hat mit der Politik nichts zu tun.

Das Gespräch führte Andreas Brenner

Hier ist das gesamte Interview auf Russisch zu lesen.

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Symbolträc­htiger Auftritt: Manizha in ihrem Bühnen-Sarafan
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Manizha tritt für Russland beim ESC in Rotterdam auf

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