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Vor 75 Jahren: Vorhang auf für die DEFA

Am 17. Mai 1946 wurde in Babelsberg die staatliche Filmgesell­schaft DEFA gegründet. Ein Rückblick auf die ostdeutsch­e Filmindust­rie und was von ihr geblieben ist.

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17. Mai 1946 - die Geburtsstu­nde der DEFA, lange vor der Gründung der DDR. An jenem Tag erteilte der Kulturbeau­ftragte Oberst Sergej Tulpanow von der sowjetisch­en Militärver­waltung die erste Drehlizenz, drei Monate später erfolgte die Eintragung der Deutschen Film AG, kurz DEFA, ins Handelsreg­ister: "Der Film als Massenkult­ur muss eine scharfe und mächtige Waffe gegen die Reaktion und gegen den Krieg und Militarism­us und für Frieden und Freundscha­ft aller Völker der ganzen Welt werden" schrieb Sergej Tulpanow ins Stammbuch. Für den festlichen Moment in Potsdam hatten die Verantwort­lichen vorgesorgt. Zur Gründungsf­eier der DEFA im Babelsberg­er Althoff-Atelier vor 75 Jahren beantragte­n sie beim Haupternäh­rungsamt der Stadt Berlin 20 Kilo Butter extra, dazu 10 Kilo Käse, 35 Kilo Wurst, 100 Kilo Brot, 10 Hektoliter Bier, 50 Flaschen Aquavit oder Likör sowie 3.500 Zigaretten.

Nach der Gründung der DEFA: Erste Schritte

Bis zur Entstehung der beiden deutschen Staaten 1949 hatte die DEFA vergleichs­weise freies Spiel; danach zogen die Sowjets und die DDR-Oberen die Zügel straffer an. Für Regisseure, Drehbuchau­toren und Schauspiel­er wurde die Arbeit zu einer Gratwander­ung, erst recht nach dem "Kahlschlag-Plenum" des Zentralkom­itees der SED im Dezember 1965, mit dem die Sozialisti­sche Einheitspa­rtei Deutschlan­ds endgültig auf den Betonkommu­nismus Breschnews umschwenkt­e, des neuen starken Mannes in der Sowjetunio­n. Die DEFA hat in ihrem über 40-jährigen Bestehen mehr als 700 Spielfilme, 2250 Dokumentar- und Kurzfilme, 2000 Wochenscha­uen, 950 Trickfilme und zahlre ich eSynchroni­sationen hervorgebr­acht. Das Staats unternehme­n hatte den Auftrag, mit historisch­en Propaganda streifen undpassend­en Gegenwarts­filmen die

DDR-Bürger für die Idee des Sozialismu­s zu mobilisier­en. So standen Themen wie der Kampf gegen den Faschismus, die Arbeitswel­t oder der Alltag in der DDR im Fokus.

Trotz der Einschränk­ungen und der Einmischun­g bei den Produktion­en durch die zentrale staatliche Leitung im Ministeriu­m für Kultur gab es auch jene Filmemache­r und Autoren, die ihren eigenen künstleris­chen Stil entwickelt­en - abseits der rigiden Parteilini­e. So sind auch Filme entstanden, die sich den gegebenen Machtstruk­turen widersetzt­en und indirekt auf die Probleme und Missstände im Land hindeutete­n, wie etwa "Die Architekte­n" von Peter Kahane. Nicht alle haben es auf die Leinwand geschafft, einige wurden sogar erst nach der Wende gezeigt.

Pünktlich zum 75. Jubiläum erscheint nun mit "Fräulein Schmetterl­ing" ein Film, der einst verboten war. Der Spielfilm beginnt mit einem kaputten weißen Regenschir­m: Eine junge Frau teilt ihn in zwei Stücke - und schwebt damit plötzlich wie mit Flügeln durch den Berliner Himmel. Die Menschen gucken erstaunt. Der Film erzählt von den Hoffnungen zweier Schwestern - und ist zugleich ein Stück DDRGeschic­hte. Denn noch bevor der Spielfilm fertig war, wurde er verboten. Nach dem 11. Plenum des SED-Zentralkom­itees 1965, dem ein Kultur-Kahlschlag in der DDR folgte, sei er hinterfrag­t und zu einem der schlimmste­n Filme erklärt worden, sagt Stefanie Eckert von der der DEFA-Stiftung. "Wenn man sich den Film heutzutage anguckt, kann man sich das kaum vorstellen." Es sei ein sehr schöner Film.

Einblick in die DEFA

"Nach meinem Studium der Philosophi­e und Theaterwis­senschafte­n an der Humboldt

Universitä­t in Berlin kam ich 1976 zur DEFA in die Abteilung Dramaturgi­e. Wir waren fast alle nur Frauen, wir hatten nur einen einzigen männlichen Kollegen", erinnert sich die Dramaturgi­n und Regisseuri­n Marion Rasche, die für das DEFA-Trickfilms­tudio in Dresden-Gorbitz gearbeitet hat. Dort lag der Anteil der Frauen im Jahr 1990 bei 44 Prozent. Sie waren in allen Bereichen vertreten, vor allem bei der Kostüm- und Puppengest­altung.

"Die Frauen vergisst man schnell, weil sie nicht so im Rampenlich­t standen, diese Frauen wollen wir würdigen", sagt Till Grahl, wissenscha­ftlichküns­tlerischer Leiter beim Deutschen Institut für Animations­filme und Kurator der Ausstellun­g "Aus der Rolle gefallen: Frauen im DEFA-Studio für Trickfilme". Dabei hätten die Frauen am DEFA-Studio für Trickfilme sehr ausdruckss­tarke Filmfigure­n gestaltet, manchmal sogar sehr düstere. "Sie wollten weg von diesem Image des Kinderfilm­s. Damals waren Trickfilme ein gleichbere­chtigtes Medium zum Spielfilm, wo man auch Erwachsene­nunterhalt­ung produziere­n konnte."

Auch Marion Rasche wird in der Ausstellun­g gewürdigt. Sie erinnert sich an die Zeit: "Vor allem bei Satiren und Parabeln gab es Tabu-Themen - zum Beispiel die Armee oder Kritik an Staatsfunk­tionären. Schwierigk­eiten konnte es auch bei Filmen mit ungewöhnli­cher Bildsprach­e und Inszenieru­ng geben. Also bei solchen, die kein Massenpubl­ikum bedienten, sondern ein Kunst- und Festivalpu­blikum im Auge hatten. Der Genehmigun­gs- Mechanismu­s lief so ab: Zuerst wurde der Stoff vom Chefdramat­urgen abgenommen und für die Verfilmung dann vom Studiodire­ktor genehmigt. Staatlich zugelassen wurde der fertige Film dann von einem Gremium in der Hauptverwa­ltung Film im Kulturmini­sterium. Dafür fuhren wir mit jedem Film nach Berlin, das war dann die letzte Instanz, wo entschiede­n wurde, ob der Film in der Öffentlich­keit gezeigt wird oder nicht."

Als sie später Chefdramat­urgin war, habe es viele Situatione­n gegeben, in denen es zu Diskrepanz­en gekommen sei, sagt sie. "Ich habe mit dem Maler Helge Leiberg, den ich sehr schätze, gearbeitet. Er zählte bei der politische­n Obrigkeit der DDR nicht zu den beliebten Künstlern, um es milde auszudrück­en. Er hat eine Filmidee geliefert, die mir gefiel, weshalb ich sie angekauft habe. Der Studiodire­ktor war aber nicht dieser Meinung. Also wurde das Projekt nicht realisiert. Der Künstler ging später in den Westen, wie leider viele andere."

Die DEFA und die Treuhand

Mit dem Fall der Berliner Mauer und der nachfolgen­den Wiedervere­inigung beider deutschen Staaten, übernahm die Treuhand die Abwicklung der DDR-Betriebe, dazu zählte auch die DEFA. Die Studios wurden privatisie­rt, 1992 kaufte der französisc­he Konzern CGE das Spielfilms­tudio der DEFA. Das Dokumentar­filmstudio wurde nach einer kurzen Übergangsp­hase in treuhänder­ischer Verwaltung aufgelöst. Doch was ist mit den Rechten an den Filmen passiert?

"Einige Filmemache­r haben sich stark gemacht, das filmische Erbe in eine gemeinnütz­ige Hand zu überführen, in eine Institutio­n, die sich mit der Rechteverw­ertung im Ganzen beschäftig­t. Die Treuhand hat die Idee unterstütz­t", sagt Stefanie Eckert, die den Vorstand der DEFA-Stiftung inne hat. Die Stiftung ist juristisch die Rechteinha­berin der DEFA-Filme, also des gesamten Filmschaff­ens in der DDR - und steht damit vor einer großen Herausford­erung: Wie kann der Bestand für die nächsten Generation­en erhalten werden? Stichwort: Digitalisi­erung.

"Das ist kein einfacher Prozess", erklärt Stefanie Eckert. "Man kann nicht einfach den Film auf den Scanner legen und denken, man hat sofort ein fertiges Produkt. Im Zuge der Digitalisi­erung haben wir den Anspruch, einerseits den Sehgewohnh­eiten des heutigen Publikums zu entspreche­n, anderersei­ts den Look des Films nicht zu manipulier­en. Wenn man sich vor 20 Jahren einen Film angeschaut hat, lief auch mal ein verschwomm­enes Bild über den Fernsehbil­dschirm und niemand hat sich daran gestört, weil das normal war. Heute will man ein klares Bild in hoher Auflösung sehen. Um das zu erreichen, werden das Bildnegati­v- und die Tonmateria­lien einzeln digitalisi­ert. Hiernach erfolgt eine sehr vorsichtig­e Farbkorrek­tur. Nach Möglichkei­t arbeiten wir mit den Filmemache­rn zusammen, die uns noch Hinweise zu bestimmten Einfärbung­en oder zu Tag-Nachtlicht-Verhältnis­sen geben können. Anschließe­nd geht es an die Retusche, weil das Material in all den Jahren gelitten hat: Kratzer und Schmutz müssen beseitigt werden."

Die DEFA nach der Wiedervere­inigung

Die Studios wurden privatisie­rt, die Filme in die Stiftung überführt, doch was ist aus den Machern geworden? "Ich hatte wie manch andere Kollegen von mir eine sehr schwierige Stätte aufzusuche­n - genannt Arbeitsamt," erinnert sich Marion Rasche, für die die Arbeitslos­enphase glückliche­rweise nicht so lange währte. Sie hat durch ihre Arbeit an Dokumentar­filmen über die Künstlersz­ene im Osten Fuß fassen können und arbeitete nach der Wende bis zur Pensionier­ung an verschiede­nen Produktion­en für die öffentlich­rechtliche­n Sender. "Wir hatten so viel Vernunft zu erkennen, dass dieses große DEFA-Studio in der Form keine Chance hatte zu überleben, aber wir hofften, dass es in einer kleineren Form weiterbest­ehen könnte, aber so kam es eben nicht."

Viele Filmemache­r der DDR gingen nach der Wende in Rente oder wurden arbeitslos. "Im Westen war der Markt genügend bestückt, wir konnten nicht aus dem Osten daherkomme­n und auf Aufträge hoffen. Die westdeutsc­hen Kollegen sind uns nicht in die Arme gefallen und haben gesagt: 'Na endlich sind wir zusammen.'", sagt Marion Rasche.

"Nur wenige Filmschaff­ende haben es geschafft, im vereinigte­n Deutschlan­d Fuß zu fassen, und tatsächlic­h hat auch niemand auf sie gewartet", ergänzt Stefanie Eckert. "Einen großen Ruf nach neuen Filmemache­rn und Schauspiel­ern gab es nicht. Es gab auch kein Zusammenwa­chsen in der Filmindust­rie, sondern eine Auflösung der ostdeutsch­en Filmindust­rie und ein Anpassen zahlreiche­r Filmemache­r an die neuen Strukturen in der BRD."

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Die Wiege des deutschen Films: Studio Babelsberg - gegründet 1912
 ??  ?? Der Film "Die Architekte­n" hält sich mit offener Systemkrit­ik nicht zurück
Der Film "Die Architekte­n" hält sich mit offener Systemkrit­ik nicht zurück

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