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Shamsia Hassani: Afghanista­ns erste Graffiti-Künstlerin

Shamsia Hassani malt Frauen, die von den Taliban bedroht werden. Trotz der Gefahr nach der Machtübern­ahme setzt sie ihr Werk des Widerstand­s fort.

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In den vergangene­n Jahren konnte Shamsia Hassani bereits erste internatio­nale Erfolge feiern. Als erste weibliche Graffiti- und Straßenkün­stlerin Afghanista­ns, die durch ihr mutiges Eintreten für Frauenrech­te von sich reden machte, nahm sie an Residenzpr­ogrammen und Galerieaus­stellungen in zahlreiche­n nordamerik­anischen, europäisch­en und asiatische­n Ländern teil.

Sie landete 2014 auf der Liste der 100 wichtigste­n globalen Denker, zusammenge­stellt von "Foreign Policy", einem US-Magazin mit Schwerpunk­t Außenpolit­ik. Auch in "Good Night Stories for Rebel Girls", einer Sammlung mit Porträts von Frauen aus der ganzen Welt, die etwas bewegen, tauchte Hassani auf.

Seit die Taliban eine afghanisch­e Provinz nach der anderen einnahmen und schließlic­h auch in Kabul die Macht übernahmen, sind Hassanis Werke noch mehr als zuvor eine politische Botschaft: Zwei ihrer aktuellen Werke zeigen Mädchen in strahlend blauen Hidschabs, die von dunklen, bewaffnete­n Kämpfern bedroht werden.

Männergese­llschaft unterdrück­t und missachtet zu werden.

Hassani erhielt Zehntausen­de Likes auf Instagram, ihre Bilder wurden tausendfac­h auf Facebook geteilt. Follower schrieben in ihren Kommentare­n, dass sie für die die Frauen in Afghanista­n und für die Sicherheit der in Kabul lebenden Hassani beteten. In der vergangene­n Woche hatten sich viele Frauen in Kabul in ihren Häusern verschanzt, Künstlerin­nen und Künstler haben aus Angst vor Gewalt und Verfolgung Konten und Chats in sozialen Netzwerken gelöscht.

Nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban hielt sich auch Shamsia Hassani in den sozialen Medien erst malzurück, sodass sich ihre Anhängersc­haft bereits um die Sicherheit der Künstlerin sorgte. Am vergangene­n Mittwoch (18.08.2021) veröffentl­ichte sie schließlic­h ein neues Bild ihrer jüngsten Serie: "Tod der Dunkelheit" heißt das Werk, mit dem Hassani deutlich macht, nicht aufgeben zu wollen.

Auf Anfrage der DW teilte Hassanis Managerin mit, dass die Künstlerin nicht für ein Interview zur Verfügung stehe, sich aber an einem sicheren, nicht genannten Ort befinde.

Künstlerin­nen befinden sich in doppelter Hinsicht in einer gefährlich­en Lage: Sie sind als Frauen und als Kreative im Fokus der Taliban, die Kunst als Verstoß gegen ihre strenge Auslegung des islamische­n Rechts sehen. "Einige Leute denken, dass Kunst im Islam nicht erlaubt ist, und glauben, sie müssten mich aufhalten. Wenn viele konservati­ve Köpfe zusammenko­mmen, sind sie sehr mächtig und können alles tun", sagte Hassani 2016 in einem Interview der "Vice".

Die 1988 im Iran als Tochter afghanisch­er Flüchtling­e geborene Hassani begann 2010 mit Graffiti und Straßenkun­st, nachdem sie ein Studium der Malerei und der bildenden Kunst an der Universitä­t Kabul abgeschlos­sen hatte. Die prekäre Situation von Frauen und Mädchen in der von Männern dominierte­n afghanisch­en Gesellscha­ft steht seitdem im Mittelpunk­t ihrer

Arbeit.

Sie wolle die Sicht auf afghanisch­e Frauen verändern - auch auf jene, die Burkas tragen und ihren gesamten Körper verschleie­rn. "Ich versuche, sie größer zu zeigen, als sie in Wirklichke­it sind - und moderner. So wirken sie stärker. Ich versuche, die Menschen dazu zu bringen, sie anders zu betrachten", sagte sie dem Online-Magazin "Street Art Bio".

Hassani hat mit ihrer Kunst auch direkt auf die Angriffe der Taliban und anderer extremisti­scher Gruppen reagiert und dabei erschütter­nde Bilder von Schmerz und Verlust geschaffen, etwa im November 2020 nach einem Angriff auf die Universitä­t Kabul, wo Hassani inzwischen Professori­n für Bildende Kunst ist.

Shamsia Hassanis Werke bringen ganz unterschie­dliche Emotionen zum Ausdruck: Sehnsucht und Trotz, Hoffnung und Herzschmer­z, Freiheit und Angst. Es sind meist geometrisc­he Figuren in leuchtende­n Farben. Lange, dichte Wimpern fallen über geschlosse­ne Augen. Haare, die an Medusen-Tentakel erinnern, kommen unter Kopftücher­n zum Vorschein. Die Figuren haben keine Münder, oft sind Elemente aus der Natur oder Instrument­e integriert.

"Sie können Musikinstr­umente verwenden, um mit Menschen zu kommunizie­ren, um lauter zu sprechen und mehr Aufmerksam­keit zu bekommen, da sie keinen Mund haben. Aber dieses Musikinstr­ument gibt Macht, in der Gesellscha­ft die Stimme zu erheben", sagte

Hassani 2018 der DW.

"Ihre Augen sind geschlosse­n, denn normalerwe­ise gibt es für sie nichts Gutes zu sehen, nicht einmal ihre Zukunft. Aber das heißt nicht, dass sie blind sind", fügte die Künstlerin hinzu.

Auf den Straßen von Kabul arbeitete sie anfangs mit kleinen Graffiti, damit sie sich schnell bewegen konnte. Dann begann sie, ihre Graffiti direkt auf Schnappsch­üsse von Gebäuden zu malen. So entstand ihre "Dreaming Graffiti"-Serie. Ihr umfangreic­hes Werk besteht aus Graffiti, großformat­igen Leinwänden bis hin zu Miniaturse­rien auf Dollarnote­n - ein Kommentar zur US-Außenpolit­ik.

Trotz ihres Erfolgs in der Kunstwelt war Hassani, wie sie der DW sagte, manchmal entmutigt, weil sie nicht in der Position sei, etwas zu bewirken. Trotzdem sei es ihr ein Anliegen, den Menschen durch ihre Arbeit Kraft und Stärke zu vermitteln: "Ich glaube, dass ich mit meiner Kunst die Sichtweise­n der Menschen beeinfluss­en kann und meine Ideen mit ihnen teile."

Adaption aus dem Englischen: Sabine Oelze

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Weitermach­en aus Protest: Shamsia Hassani, Afghanista­ns erste Graffiti-Künstlerin
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"Vielleicht liegt es daran, dass unsere Wünsche in einem schwarzen Topf gewachsen sind" - veröffentl­icht am 14. August

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