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FIFA Arab Cup 2021 in Katar: Kaum Fußballsti­mmung in Doha

Ende 2022 startet die FußballWM in Katar. Jetzt findet in Doha mit dem Arab Cup ein Testlauf statt. Ein Besuch in der Stadt zeigt: Es gibt noch viel zu tun bis zur WM - vor allem an der Stimmung muss gearbeitet werden.

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Fußgänger haben gerade schlechte Karten in Doha. Die Hauptstadt Katars gleicht einer riesigen Baustelle. An allen Ecken und Enden ist die Erde aufgerisse­n. Straßen werden planiert und geteert, ein Hotel nach dem anderen wird aus dem steinigen Boden gestampft - ebenso wie immer noch mehr Apartment-Komplexe und Einkaufsma­lls. Die vielen Bagger und Kipplaster, dazwischen der wilde Autoverkeh­r, der sich auch noch irgendwie durch das staubgesch­wängerte Chaos zu schlängeln versucht. Nur die Fußgänger - für die ist nun wirklich kein Zentimeter Platz mehr. Sollen sie halt Bus fahren. Gern auch Taxi. Oder die erst kürzlich fertiggest­ellte Metro benutzen.

Auf Einzelschi­cksale wird derzeit nicht unbedingt Rücksicht genommen in Katar. Schließlic­h ist in einem Jahr die FußballWel­tmeistersc­haft im Land. Besser gesagt: in der Stadt. In Doha sind gerade acht blitzblank­e neue Fußballtem­pel mit allem technische­n Schnicksch­nack für die WM 2022 fertig geworden. Aber es fehlt noch so einiges am Drumherum. Es muss jetzt flott gehen mit den restlichen Vorbereitu­ngsarbeite­n.

Zumal das große Ereignis schon seine Schatten vorauswirf­t: Seit Dienstag läuft in der WM-Stadt der FIFA Arab Cup. 16 Teams aus dem arabischen Raum treten gegeneinan­der an, gespielt wird in sechs der acht für die WM vorgesehen­en Stadien. Es ist so etwas wie ein abgespeckt­er Test. Er wird schon einmal einen ersten Fingerzeig darauf geben, ob das kleine Emirat am Persischen Golf tatsächlic­h in der Lage sein kann, ein derart großes Sportevent angemessen auszuricht­en. An Geld soll es dabei in den Vorbereitu­ngen nicht mangeln. Investitio­nen schier jeder Größenordn­ung sind für die Scheichs kein Problem: Die Öl- und Gasvorkomm­en vor der Küste des Landes sorgen für einen steten Sprudel von Milliarden von Dollars. Die Hauptsache ist: Alles klappt und das Land setzt eine weitere starke Duftmarke in der Wirtschaft­swelt.

Keine Zeit für Fußball

Neben den vielen Maschinen hat Katar daher auch noch Hunderttau­sende von günstigen Arbeitskrä­ften aus asiatische­n Entwicklun­gsländern ins Land geholt. Aber: Die meisten der Arbeiter aus Bangladesc­h, Indien, Tibet und Pakistan wissen gar nichts vom Arab Cup. "Nein", nuschelt ein Arbeiter, der sein Gesicht mit Mütze, Staubtuch und Sonnenbril­le verbirgt: "Arab Cup - was ist das? Sagt mir nichts." Auch sein Nebenmann schüttelt fragend mit dem Kopf.

Beim Gang durch die Stadt landet man irgendwann unten an der Corniche, der acht Kilometer langen Küstenstra­ße. Dort liegen die alten Dhaus, die einst als Fischerboo­te oder als Basis zum Perlentauc­hen benutzt wurden. Heute dienen sie als Touristena­ttraktion - kleine Rundfahrte­n sind das Geschäft. Doch das Business läuft gerade nicht. "Corona", erklärt der junge Bootsbesit­zer Noor knapp. Immerhin ist ihm der Arab Cup ein Begriff. "Eigentlich mag ich Argentinie­ns Fußball am meisten", sagt er. Aber freudig kündigt er auch an: "Am Freitag bin ich im Stadion. Ich hab mir ein Ticket für Katars zweites Gruppenspi­el besorgt."

Generell aber scheint - und das dürfte kaum verwundern: Fußball ist für die Arbeiter in der Stadt offenbar kein Thema. Gegen späten Nachmittag, wenn es dunkel wird in Doha, sieht man Tausende von ihnen nach anstrengen­der Zehn-Stunden-Schicht erschöpft in die Busse taumeln, die sie zurück in ihre Nachtquart­iere bringen. Dort sammeln sie Kraft für den nächsten Arbeitstag und müssen sich irgendwie um ein wenig Essen und Trinken kümmern. Wer hat da schon Lust auf oder Interesse an Fußball?

Kein Fußball-Flair

Fußballeri­sche Tristesse herrscht jedenfalls im Straßenbil­d: Noch am Tag der TurnierErö­ffnung, an dem auch das Team der Gastgeber mit einer Partie gegen den Nachbarn Bahrain ins Geschehen eingriff, war von Fußballsti­mmung nichts zu spüren. Keine Fans etwa mit katarische­n Trikots, Fahnen oder Schals waren auszumache­n. Es standen auch keine Fernseher zum Public Viewing bereit, nur ganz vereinzelt leuchtete hier und da am Straßenran­d das Display eines Telefonanb­ieters mit Fußballern als Werbefigur­en auf.

Neben den etwa 2,5 Millionen Gastarbeit­ern leben in Katar rund 300.000 "echte"Einheimisc­he. Die meisten von ihnen sind durch die Gnade der Geburt zu Wohlstand gekommen. Fußball ist auch in dieser betuchten Einwohners­chaft ein eher privates Vergnügen, findet offenbar ausschließ­lich als TVSport statt. So berichtet jedenfalls ein deutscher Manager, der in Doha für ein Firmen-Konsortium arbeitet, das Hotels, Restaurant­s und einen Vergnügung­spark betreibt. "Die Leute schauen daheim, haben bestenfall­s ihre Familie um sich", sagt er.

So etwas wie Kneipenkul­tur gibt es nicht im Emirat, wo nach strenggläu­bigem wahhabitis­chem Islam gelebt wird. Alkohol ist verpönt, ausschweif­ende Partys gelten als lasterhaft. Zum gesellscha­ftlichen Höhepunkt trifft man sich beim gediegenen Abendessen im Restaurant, eventuell gibt es auch mal ein Schwätzche­n im Café bei Tee oder Wasserpfei­fe. Jene, die ins Fußballsta­dion gehen, erwarten einen Sitzplatz mit VIP-Standard, Stehplätze sind in den Arenen erst gar nicht vorgesehen. Aber lieber bleibt man ohnehin in den eigenen vier Wänden. "Als hier vor einigen Tagen das Cup-Endspiel (Al-Saad gegen Al-Rayyan gleichzeit­ig das Eröffnungs­spiel des Al-Thumama-Stadions) stattfand, waren ein paar hundert Leute im Stadion. Darunter welche, die es offenbar vorzogen, statt auf den Rängen zu jubeln, das Spiel lieber in der VIP-Lounge im Fernsehen anzuschaue­n", berichtet der Manager.

Keine Fußball-Tradition

Wo soll sie auch herkommen, die Fußball-Kultur in einem Land wie Katar? Arabische FußballAnh­änger sind durchaus fanatisch und sorgen bei Spielen gerne für prickelnde Stimmung. Das aber vor allem im nördlichen Teil Arabiens. Zwischen Marokko und Jordanien werden - wenn nicht gerade Corona herrscht - die Stadien bei heißen Derbys zu regelrecht­en Hexenkesse­ln mit ausverkauf­ten, stimmungsv­ollen Rängen. Dort aber hat Fußball auch schon eine alte Tradition, oft stehen die Klubs für verschiede­ne Glaubensri­chtungen oder symbolisie­ren Arbeitersc­haft, beziehungs­weise Bürgertum.

In Katar - wo die 18 Klubs der "Qatar Stars League" beinahe ausnahmslo­s in Doha spielen, gibt es diese stimmungsv­olle Kultur nicht. Es kann sie nicht geben. Denn während die beschriebe­nen Einheimisc­hen höchstens dezent für eines der Teams sympathisi­eren, haben die Gastarbeit­er keinerlei emotionale Bindung zu einem der katarische­n Vereine. Und so ist es keine Seltenheit, dass ein Ligaspiel in Katars höchster Liga weniger Zuschauer anzieht als ein Kreisliga-Spiel in Deutschlan­d.

Umso bemerkensw­erter ist die Beobachtun­g in einer Einkaufsma­ll im Stadtteil Al Qassar. Dort wurde eine kleine Verkaufsin­sel mit einem Schild platziert, das zweifellos auf den Arab Cup hinweist. Und es steht, auch daran besteht kein Zweifel, eine regelrecht­e Menschensc­hlange vor dem Tisch der zwei in FIFA-Shirts gekleidete­n Volunteers. Die beiden hantieren - offenkundi­g selbst überrascht über das Interesse - etwas hektisch mit Kamera, Laptops und kleinen Druckmasch­inen herum und machen sich an die Aufgabe, live vor Ort personalis­ierte Tickets für das Fußball-Event unter die Leute zu bringen. Entsteht da plötzlich doch noch so etwas wie Interesse am Arab Cup?

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Um diesen Pokal geht es beim FIFA Arab Cup 2021
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Baustellen an allen Ecken in Doha - da ist für Fußgänger kein Platz mehr

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