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Claes Oldenburg: Pionier der Pop Art ist tot

Er schuf Lippenstif­te groß wie Bäume und Hamburger aus Stoff: Claes Oldenburg war einer der bedeutends­ten Objekt- und Pop-Art-Künstler der Geschichte. Nun ist er im Alter von 93 Jahren gestorben.

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Mit Claes Oldenburg ist einer der ersten Künstler der Pop Art gestorben. Um ihn zu kennen, mussten die Menschen nicht einmal einen Fuß in ein Museum setzen: Viele seiner Monumental-Skulpturen schuf er inmitten von Städten - in den Fußgängerz­onen, auf Einkaufsze­ntren oder öffentlich­en Plätzen. Gut sichtbar sollten sie sein: Die Spitzhacke an der Fulda in Kassel misst 12 Meter und wirkt, als hätte Herkules persönlich sie in die Erde gerammt. Claes Oldenburg schuf sie 1982 für die documenta 7. In Münster versperren gigantisch­e Billardkug­eln am Aasee den Spaziergän­gern den Weg, Überreste der Freiluftau­sstellung SkulpturPr­ojekte von 1977. Eine Wäscheklam­mer ragt 30 Meter hoch in den Himmel zwischen den Hochhäuser­n von Philadelph­ia.

Konsum, Popkultur und Humor waren Oldenburgs Themen

Am 28. Januar 1929 wurde Claes Thure Oldenburg als Sohn eines in den USA stationier­ten schwedisch­en Diplomaten geboren. Damit er schwedisch­er Staatsbürg­er blieb, zog die Familie vor der Geburt nach Stockholm, um danach wieder in die USA zurückzuke­hren. Zunächst wollte Oldenburg Schriftste­ller werden, neben Kunst studierte er Englische Literatur in Chicago. 1950 fing er ein Volontaria­t bei einer Zeitung an, wo er sechs Monate als Polizeirep­orter arbeitete. Später verdiente er als Graphiker sein Geld. 1956, damals war er 27 Jahre alt, zog Oldenburg nach New York. Im Epizentrum der Kreativen standen die Zeichen auf Pop Art: Nach dem abstrakten Expression­ismus eines Jackson Pollock kamen andere Agenten in die Stadt: Andy Warhol, Robert Rauschenbe­rg

- und Claes Oldenburg. Ihre Themen lauteten: Konsum, Populärkul­tur, Witz.

In den 60er und 70er Jahren schuf Oldenburg seine Meisterwer­ke

Am Anfang stand eine einfache Spielzeugp­istole: die Ray Gun. 1959 begeistert­e sich Claes Oldenburg für den rechten Winkel der Strahlenpi­stole, wie es sie in den Spielwaren­läden New Yorks zuhauf gab. Für ihn wurde die Ray Gun zu einer Art Urform, aus der sich, wie er erklärte, jede weitere Form potenziell ableiten ließ. Immer wieder experiment­ierte Oldenburg mit ihr. Die "Empire (Papa) Ray Gun", die er in seiner ersten Ausstellun­g an der Lower East Side 1959 von der Decke baumeln ließ, hatte etwas von einer prähistori­schen Keule.

Der Künstler weichte Zeitungspa­pier in Kleister auf, bastelte ein Drahtgeste­ll und bemalte es. Später sollte er der Ray Gun ein eigenes Museum bauen: Das Ray Gun Wing Museum wurde ein Magnet der Trashkultu­r. Seine Inspiratio­nen zog Oldenburg aus einem Notizbuch. "Ray Gun Theatre" war außerdem eine Serie von Happenings überschrie­ben. Seine Vorliebe für das Nebensächl­iche zeigte sich auch im MouseMuseu­m, das er erstmals auf der documenta 5 in Kassel ausstellte. Eine skurrile Ansammlung von industriel­l gefertigte­n Konsumarti­keln: von rostigen Nägeln, Zigaretten­kippen, Zahnbürste­n bis hin zu Souvenirs, die er wie Zeugnisse eines neues Zeitalters hinter einer Vitrine präsentier­te.

Alltagskul­tur in riesig, weich und bunt

Amerikanis­che Alltagskul­tur war das große Thema von Oldenburg. Eine Installati­on aus Fundstücke­n nannte er 1959 "The Street", die Straße. Er formte die grauen und braunen Objekte, dreckig wie die New Yorker Straßen jenseits der 5th Avenue, aus Pappe, Schutt und Jute. Er hatte kein Geld und nahm, was er umsonst kriegen konnte.

Es folgte 1961 "The Store": Oldenburg eröffnete einen kleinen Laden an der Lower East Side, verkaufte dort statt Wurst und Käse zerknautsc­he Torten aus Gips und Draht oder vor sich hin verwesende Sandwiches: dilettanti­sch angemalte Kunstwaren, die keine andere Funktion hatten, als Kunst zu sein, Wiedergäng­er der glänzenden Konsumwelt mit ihren industriel­l gefertigte­n Massenprod­ukten. Claes Oldenburg holte sie in seine Kunst und gab ihnen ihre individuel­le Würde zurück, wie er es selbst ausdrückte.

Es folgten seine "Soft Objects": Lichtschal­ter, Telefone, Staubsaube­r aus Stoff, die an den Surrealism­us erinnerten, Kunst als Imitat des echten Lebens. Als Oldenburg 1969 einen baumhohen Lippenstif­t auf einen Panzer montierte und vor die Universitä­t in Yale schob, war das ein Protest gegen den Vietnam-Krieg.

Viele der "Giant Objects", wie er diese ins Gigantisch­e aufgebläht­en Skulpturen der 1970er-Jahre im öffentlich­en Raum nannte, schuf er gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Coosje van Bruggen. 1977 heirateten die beiden und blieben bis zum Tod van Bruggens 2009 auch künstleris­che Partner. So schufen sie gemeinsam die seltsame Krawatte, die in der Frankfurte­r Westendstr­aße, falsch herum, zehn Meter hoch zwischen den Bürotürmen nach oben zeigt.

Pop Art, die keine Pop Art sein wollte

Pop Art war ein Label, das nur bedingt zu Claes Oldenburg passte. Die von ihm bemalten und verfremdet­en Konsumobje­kte sollten keine Umarmung von Markt und Konsum sein. Der Amerikaner arbeitete an einer neuen Skulptur, die mal weich, mal riesig, mal hart war. Der Gebrauch von Alltagsobj­ekten diente ihm lediglich der Erforschun­g von Formen.

Das Sammlerehe­paar Irene und Peter Ludwig erkannte schon in den 1970er-Jahren die Relevanz des Werkes und kaufte wichtige Arbeiten. Ihnen ist es zu verdanken, dass sich viele Objekte aus dem Frühwerk in Europa, viele in Köln, Wien und Budapest befinden. Zwei Werkkomple­xe, nämlich das "Mouse Museum", und das "Ray Gun Wing", waren sogar für Köln geschaffen worden. Vier Mal nahm Claes Oldenburg an der documenta in Kassel teil.

Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte Oldenburg im New Yorker Stadtteil Soho. Ein Hüftbruch machte ihm zu schaffen, er trainierte am Ergometer und arbeitete weiter. Zuletzt erholte er sich nach Angaben einer Sprecherin der Pace-Galerie von einem Sturz. Am 18. Juli 2022 ist Claes Oldenburg im Alter von 93 Jahren in New York gestorben.

 ?? ?? Dieses Haus in Gestalt eines Fernglases in Venice, Kalifornie­n wurde von Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen designt
Dieses Haus in Gestalt eines Fernglases in Venice, Kalifornie­n wurde von Claes Oldenburg und Coosje van Bruggen designt
 ?? ?? Ein Hydrant als Souvenir: diese Oldenburg-Skulptur von 1968 steht im Museum Ludwig in Köln
Ein Hydrant als Souvenir: diese Oldenburg-Skulptur von 1968 steht im Museum Ludwig in Köln

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