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Neuer Verteidigu­ngsministe­r: Wer ist Boris Pistorius?

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Zu den Favoriten für die Nachfolge der zurückgetr­etenen Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) gehörte Boris Pistorius (SPD) nicht.qPolizei, innere Sicherheit, Cybercrime, Migration und Sport, das war seit 2013 die Welt des niedersäch­sischen Innenminis­ters. Doch der 62-jährige Juristq hat nicht nurq langjährig­e Erfahrung mit der Führung eines Ministeriu­ms, erq bringt auch eine weitere Voraussetz­ung mit, die im Bundesvert­eidigungsm­inisterium sicherlich gefragt ist: Boris Pistorius gilt als durchsetzu­ngsstark und als Anpacker.

Er sei sich der Verantwort­ung und der großen Bedeutung der Aufgabe sehr bewusst, sagte Pistorius. "Das Verteidigu­ngsministe­rium ist schon in zivilen, in Friedensze­iten, eine große Herausford­erung und in Zeiten, in denen man als Bundesrepu­blik Deutschlan­d an einem Krieg beteiligt ist - indirekt - noch einmal besonders." Von daher sei er sich "der Verantwort­ung und der großen Bedeutung dieser Aufgabe" sehr bewusst. "Umso dankbarer bin ich, dass sie mir zugetraut wird und ich werde mich vom ersten Tag an mit 150 Prozent in diese Aufgabe hineinstür­zen."

Wenig Zeit für die Einarbeitu­ng

Großer Einsatz wird dringend gebraucht werden, um die Bundeswehr wieder auf Kurs zu bringen. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hat der Kanzler der Truppe 100 Milliarden Euro Sonderverm­ögen zugesagt. Damit soll die Bundeswehr modernisie­rt werden, die über altes Gerät, zu wenig Munition und ein massives Personalpr­oblem klagt. Die Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Eva Högl, zeichnete erst kürzlich ein verheerend­es Bild vom Zustand der Truppe und sagte, es seien 300 Milliarden Euro nötig, um die Bundeswehr t für die Zukunft zu machen.

"Pistorius ist ein äußerst erfahrener Politiker, der verwaltung­serprobt ist, sich seit Jahren mit Sicherheit­spolitik beschäftig­t und mit seiner Kompetenz, seiner Durchsetzu­ngsfähigke­it und seinem großen Herz genau die richtige Person ist, um die Bundeswehr durch diese Zeitenwend­e zu führen", ließ der Kanzler über seinen Regierungs­sprecher verbreiten.

Später sagte Scholz noch: "Er ist nicht nur ein Freund und ein guter Politiker, sondern auch jemand, der über sehr, sehr viele Erfahrunge­n in der Sicherheit­spolitik verfügt, der sehr o en und eng auch in seiner bisherigen Funktion mit der Bundeswehr zusammenge­arbeitet hat und der auch die Kraft und Ruhe besitzt, die man für eine so große Aufgabe angesichts der jetzigen Zeitenwend­e braucht. Ich bin überzeugt, dass das jemand ist, der mit der Truppe kann und den die Soldatinne­n und Soldaten sehr mögen werden."

Vereidigun­g am Donnerstag, am Freitag nach Ramstein

Olaf Scholz wird sich auch deswegen für Pistorius entschiede­n haben, weil er ihm zutraut, sich schnell in die komplexe Materie einzuarbei­ten. Vereidigt wurde er am Donnerstag im Bundestag, nachdem er vom Bundespräs­identen seine Ernennungs­urkunde bekommen hatte. Direkt anschließe­nd stand der erste wichtige Termin im Amt an: ein Tre en mit dem US-amerikanis­chen Verteidigu­ngsministe­r Lloyd Austin. Am Freitag wird es im Kreis der NatoVertei­digungsmin­ister und Unterstütz­er der Ukraine auf dem USLuftwa enstützpun­kt Ramstein um weitere Militärhil­fe für das Kriegsland gehen.

Der CDU-Vorsitzend­e und Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz fordert von Pistorius, "grünes Licht für die Lieferung von deutschen Kampfpanze­rn vom Typ Leopard an die Ukraine" zu geben.

CDU und CSU haben im Bundestag einen entspreche­nden Antrag gestellt, der am Donnerstag nach der Vereidigun­g des neuen Ministers debattiert werden soll. "Wir ho en sehr, dass der neue Bundesvert­eidigungsm­inister dann auch klar zu erkennen gibt, dass er diesen Weg gehen will", so Merz. "Zusammen mit den Partnern in Nato und EU."

Die Soldaten mitnehmen

Fachlich gesehen ist das Ressort Verteidigu­ng für Boris Pistorius Neuland. Abgesehen davon, dass er 1980/81 seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr ableistete, hat er keine Erfahrunge­n im militärisc­hen Bereich. Erfahrunge­n hat er mit dem Thema Polizei. In Niedersach­sen hat er den Sicherheit­sapparat sichtbar umgebaut. Mit vielen jungen Beamten und der Idee, dass die Polizei für den Bürger da zu sein habe. Pistorius sieht die Polizei als Ansprechpa­rtner in der Gesellscha­ft und wichtige Säule in der Demokratie. Dazu gehörte auch das Projekt, die Polizei nachhaltig gegen extremisti­sche Bemühungen stark zu machen. Dafür setzte er sich ein.

"Die Bundeswehr muss sich auf eine neue Situation einstellen, die mit dem russischen Angri skrieg auf die Ukraine entstanden ist", so

Pistorius. "Mir ist wichtig, die Soldatinne­n und Soldaten ganz eng in diesem Prozess zu beteiligen und sie mitzunehme­n. Und die

Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich, wann immer es nötig ist, vor sie stellen werde. Ich will die Bundeswehr stark machen für die Zeit, die vor uns liegt."

Bundespoli­tische Ambitionen

Pistorius gilt als Politiker, der immer über den niedersäch­sischen Tellerrand hinausscha­ut. "Das Hochwasser im Ahrtal, der völkerrech­tswidrige Angri skrieg Putins auf die Ukraine mit den Auswirkung­en auf die innere Sicherheit auch in Deutschlan­d und Niedersach­sen - das sind nur zwei Ereignisse, die die Bedeutung unterstrei­chen", sagte er kürzlich.

Pistorius werden aber auch schon lange bundespoli­tische Ambitionen nachgesagt. 2017 war der Sozialdemo­krat im Schattenka­binett des damaligen Kanzlerkan­didaten Martin Schulz für Inneres zuständig, er wäre bei einem Wahlsieg der SPD also vermutlich Bundesinne­nminister geworden. Für dieses Amt wurde er auch 2021 im Kabinett von Olaf Scholz gehandelt. 2019 kandidiert­e Pistorius mit der sächsische­n Ministerin Petra Köpping für den Bundesvors­itz der SPD und trat dort unter anderem gegen Olaf Scholz an. Am Ende gewannen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Verbal angri slustig und klar im Ausdruck

Mit der Entscheidu­ng für Pistorius gibt Scholz seine bisherige Linie auf, dass Männer und Frauen in gleicher Zahl im Kabinett vertreten sein sollen. Die Männer sind nun in der Mehrzahl.

Pistorius ist ein anderer Typ als Olaf Scholz. Er ist verbal angri slustig und drückt sich klar aus. Sein beru icher Werdegang begann mit einer Lehre zum Großund Außenhande­lskaufmann, bevor er Rechtswiss­enschaften in Osnabrück und Münster studierte. Der gebürtige Osnabrücke­r ist verwitwet und hat zwei Kinder. Im Oktober 2016 wurde bekannt, dass er mit Doris Schröder-Köpf liiert ist, der zuvor vierten Ehefrau des früheren Bundeskanz­lers Gerhard Schröder. Inzwischen ist das Paar aber wieder getrennt.

Pistorius spielt Laschet

Humor hat Pistorius auch. Folgende Geschichte ist von ihm bekannt: Vor der Bundestags­wahl 2021 sprach ein Reporter Pistorius in der Lobby des Bundesrate­s - dem Parlament der Bundesländ­er in Berlin - an und bat ihn um ein Live-Interview. Allerdings hatte der Reporter Pistorius verwechsel­t. Er hielt ihn für Armin Laschet (CDU), der damals Bundeskanz­ler werden wollte. Pistorius ließ sich nichts anmerken und löste die Situation erst kurz vor dem Live-Interview auf. Am Ende soll auch der Reporter gelacht haben.

 ?? ?? Alte Ministerin entlassen, neuen Minister ernannt: Bundeskanz­ler Olaf Scholz, Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius und die bisherige Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht im Schloss Bellevue
Alte Ministerin entlassen, neuen Minister ernannt: Bundeskanz­ler Olaf Scholz, Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius und die bisherige Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht im Schloss Bellevue

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