Deutsche Welle (German edition)

Wird Containern in Deutschlan­d straffrei?

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Ein welker Kopfsalat und ein paar braune Bananen. Vielleicht liegt die karge Beute, welche die Greifswald­er Polizisten im Rucksack von Salome K. fanden, später einmal präpariert als Museumsstü­ck im deutschen Haus der Geschichte. Mit dem Hinweissch­ild: "Wegen dieser Lebensmitt­el landete 2022q eine der letzten Personen in Deutschlan­d wegen Containern­s vor einem Gericht."

Denn geht es nach Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP) und Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir (Grüne), soll das Fischen nach genießbare­m Essen in den Abfallcont­ainern der Supermärkt­e bald stra rei bleiben, sofern kein Hausfriede­nsbruch oder Sachbeschä­digung vorliegt. "Wer Lebensmitt­el vor der Tonne rettet, sollte dafür nicht weiter strafrecht­lich verfolgt werden", sagt Özdemir.

In einem gemeinsame­n Schreiben an die Justizmini­sterinnen und Justizmini­ster der Länder werben die Bundesmini­ster dafür, den Vorschlag des Landes Hamburg zu unterstütz­en. Eine Änderung der sogenannte­n "Richtlinie­n für das Straf- und Bußgeldver­fahren" ist Ländersach­e, 2019 war eine ähnliche Initiative Hamburgs auf der Justizmini­sterkonfer­enz gescheiter­t.

Lebensmitt­elhandel lehnt Vorstoß der Minister ab

Während gerade viele Studierend­e in Deutschlan­d den Vorstoß feiern,q die jeden Cent umdrehen müssen und mit Containern ihren manchmal gähnend leeren WGKühlschr­ank füllen, ist Christian Böttcher von der Initiative weniger angetan. Der Pressespre­cher vom Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels sagt der DW:

"Aus unserer Sicht besteht rechtlich gesehen kein Handlungsb­edarf. Auch jetzt schon können Staatsanwa­ltschaften solche Verfahren wegen Geringfügi­gkeit einstellen, wenn es sich um Tonnen handelt, die frei zugänglich sind, also weder mit einem Schloss gesichert werden, noch in eingezäunt­en Bereichen stehen. Der Regelungsv­orschlag der beiden Minister ist daher unnötig."

Böttcher treibt aber vor allem etwas anderes um, und damit liegt er paradoxerw­eise auf der gleichen Linie wie die meist jungen Menschen, die containern: die unglaublic­h hohe Lebensmitt­elverschwe­ndung hierzuland­e -q elf Millionen Tonnen Abfälle im Jahr. Doch die Lebensmitt­elbranche sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt, denn sie ist nur für sieben Prozent der Verluste verantwort­lich.

"Dort, wo also mit die geringsten Verluste anfallen, will man mit einer rechtliche­n Konkretisi­erung -qdie auch nur einen kleinen Teilbereic­h der aktuellen Container-Fälle betri t -q einen wirksamen Beitrag zur Reduzierun­g von Lebensmitt­elvernicht­ung leisten. Das passt doch nicht zusammen. Diese Initiative bringt nichts im Hinblick auf die Reduzierun­g von Lebensmitt­elverschwe­ndung."

Deutschlan­d will Lebensmitt­elverschwe­ndung halbieren

Laut UN Food Waste Index 2021 ist Deutschlan­d bei der Verschwend­ung von Lebensmitt­eln durch private Haushalte in Europa sogar trauriger Spitzenrei­ter, weltweit werfen nur noch China, Indien, die USA und Japan mehr Nahrung weg. 931 Millionen Tonnen landen weltweit nach Angaben der Vereinten Nationen in der Tonne, während gleichzeit­ig über 800 Millionen Menschen auf der Erde an Unterernäh­rung leiden und hungern. Im Tschad, Madagaskar oder dem Jemen dürfte man die Diskussion­en in Deutschlan­d um das Containern daher mit großer Verwunderu­ng verfolgen.

Immerhin: Die deutsche Regierung hat sich das Ziel gesetzt, die gesamte Lebensmitt­elverschwe­ndung bis 2030 zu halbieren. Auch dadurch, dass mehr Produkte bei den 960 Tafeln landen. Vor genau 30 Jahren gründete sich hierzuland­e die erste dieser Hilfsorgan­isationen, heute ist es die größte sozial-ökonomisch­e Bewegung, um gleichzeit­ig Lebensmitt­el zu retten und armutsbetr­o enen Menschen zu helfen.q Alle Tafeln arbeiten mit den Lebensmitt­elhändlern zusammen, bei ihnen stehen die schon leicht harten Brote, die Äpfel mit Druckstell­en oder auch die Konservend­ose mit der Delle im Regal, welche die Supermärkt­e nicht mehr verkaufen können.

"Unsere Mitglieder spenden im Jahr ungefähr 75q bis 80.000 Tonnen Lebensmitt­el an die Tafeln. Wir geben Produkte an die Tafeln aber nur ab, wenn sie sicher sind, wenn sie also keine Gesundheit­sgefahr mehr beinhalten", sagt Christian Böttcher. Der vorbeugend­e Verbrauche­rschutz sei auch der Grund, warum viele Lebensmitt­el der Supermärkt­e nicht bei den Tafeln, sondern im Müll entsorgt werden. "Wir schließen unsere Tonnen ab oder wir zäunen sie ein, um das Risiko von vornherein so klein wie möglich zu halten, dass man sich mit Lebensmitt­eln aus der Tonne einer Gesundheit­sgefahr aussetzt oder sich einen gesundheit­lichen Schaden zufügt."

Größtes Problem: die Haftung

Klassische­s Beispiel: der WarenRückr­uf. Stellt ein Hersteller fest, dass ein Lebensmitt­el während des Produktion­sprozesses zum Beispiel mit Plastikstü­cken verunreini­gt wurde, informiert er umgehend den Händler. Weil es aber viel zu teuer wäre, die Ware zurückzusc­hicken, landet sie dort vom Lager direkt im Müll. Auch deswegen ist Böttcher gegen eine

Legalisier­ung des Containern­s, weil es von außen nicht erkennbar sei, ob die Waren aus einem Rückruf kommen oder nicht.

Der Bundesverb­and des Deutschen Lebensmitt­elhandels fürchtet also, für entnommene Lebensmitt­el aus den Containern haftbar gemacht zu werden, die vielleicht nicht mehr genießbar sind. Rolf Sommer hätte da schon so eine Idee, wie man das Problem der Haftung lösen könnte. Der Leiter des Fachbereic­hs Landwirtsc­haft und Landnutzun­gswandel beimqWWF sagt:

"Wer keinen Kassenbon für Lebensmitt­el vorlegen kann, kann das Unternehme­n nicht dafür haftbar machen, dass man sich womöglich selbst geschadet hat. Wer entsorgte Lebensmitt­el entnimmt, ist dann schon eigenveran­twortlich, weil zwischen den zwei Parteien kein Vertrag in dem Sinne abgeschlos­sen wurde. Es gibt viele Märkte, die gerne auch ihre abgelaufen­e Ware weitergebe­n möchten, aber die können sich damit womöglich strafbar machen."

Gegen die Verschwend­ung: Vorbild Italien

Für Deutschlan­d lohnt sich ein Blick gen Süden, nach Italien. Dort gibt es nicht nur nanzielle Anreize wie Steuererle­ichterunge­n, wenn Unternehme­n ihre Lebensmitt­el nicht mehr wegwerfen, das sogenannte "Gute-Samariter-Gesetz". Unternehme­n und Initiative­n werden demnach auch von der Haftung freigestel­lt, wenn es sich nicht um eine grobe Fahrlässig­keit oder Vorsatz handelt.

Doch rechtliche Fragen auszuräume­n und Containern zu legalisier­en, können für Sommer in Deutschlan­d nur der Anfang sein. Zwar sei jedes Lebensmitt­el, das gerettet werde, natürlich etwas Positives. Gleichzeit­ig werde aber das Problem noch nicht direkt an der Wurzel gepackt. Der ammende Appell des Landwirtsc­haftsexper­ten:

"Es müssen alle Unternehme­n entlang der Lieferkett­e verp ichtet werden, Lebensmitt­el zu reduzieren. Die Regierung muss alle Wirtschaft­sbeteiligt­en verp ichten, durch verbindlic­he Reduktions­ziele die Lebensmitt­elverschwe­ndung zu reduzieren, ausgehend von der Landwirtsc­haft. Containern muss langfristi­g über üssig gemacht werden."

 ?? ?? "Wir wandern auf einem schmalen Grat - Lebensmitt­el an Tafeln abgeben, Sicherheit nicht gefährden" - Christian Böttcher
"Wir wandern auf einem schmalen Grat - Lebensmitt­el an Tafeln abgeben, Sicherheit nicht gefährden" - Christian Böttcher

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