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Haushalt wird zum Stresstest für Regierung von Olaf Scholz

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Der 15. März war im Kalender von Bundes nanzminist­er Christian Lindner rot angestrich­en. An diesem Tag wollte der FDP-Chef dem Kanzler und seinen Ministerko­llegen die Eckpunkte für den Bundeshaus­halt 2024 vorlegen. Doch kurzfristi­g sagte er den Termin wieder ab. SPD und Grüne wollen Lindners Sparau agen nicht akzeptiere­n, denn das würde bedeuten, dass viele politische Vorhaben der Ampel-Regierung nicht umgesetzt werden könnten.

Keine Einigung, keine Eckpunkte. Nachdem alle Appelle Lindners an die Kollegen, ihre Ausgabenwü­nsche noch einmal zu überdenken, ins Leere gelaufen waren, zog er kurzerhand die Notbremse. "Wir werden im Kabinett noch einmal gemeinsam über nanzielle Realitäten sprechen müssen", betont der Finanzmini­ster. Aus seiner Sicht ist für die meisten beim Regierungs­antritt vereinbart­en Ampel-Pläne schlicht kein Geld mehr da.

Blockieren heißtqDruc­k aufbauen

Lindner will unbedingt die im Grundgeset­z vorgeschri­ebene Schuldenbr­emse wieder einhalten, die in den vergangene­n Jahren wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt war. "Wir müssen lernen, mit dem zur Verfügung stehenden Finanzrahm­en auszukomme­n", mahnt er. Das bedeute, Prioritäte­n zu setzen, "weil nicht alles gleichzeit­ig nanzierbar" sei.

Zwar sind Auseinande­rsetzungen über den Haushalt in einer Bundesregi­erung nicht ungewöhnli­ch: Fast in jedem Jahr wollen die Fachminist­er mehr Geld, als der Finanzmini­ster ihnen zugestehen will. Doch diesmal liegen die Vorstellun­gen so weit auseinande­r, dass ein Kompromiss schwer vorstellba­r ist. Deswegen baut Lindner Druck auf. Ganz bewusst nennt er keinen neuen Stichtag für die Haushalts-Eckpunkte, denn ohne nanzielle Sicherheit können die Ministerie­n nicht planen.

Explodiere­nde Zinsen

Auf rund 70 Milliarden Euro summieren sich die Wünsche der Ministerie­n. Die größten Brocken sind ein höherer Verteidigu­ngshaushal­t, Geld für eine Kindergrun­dsicherung und Mehrausgab­en für Bildung. Lindner argumentie­rt, dass selbst ohne diese zusätzlich­en Projekte das Geld knapp sei. Nach den Corona-Jahren brauchen die Krankenkas­sen Milliarden, um ihre De zite auszugleic­hen, die P egeversich­erung steht wegen der Alterung der Gesellscha­ft dermaßen unter Druck, dass sie reformiert werden muss.

Gleichzeit­ig reißen die Zinssteige­rungen ein großes Loch in die Staatskass­e. Deutschlan­d sitzt auf einem Schuldenbe­rg von rund 2,5 Billionen Euro. In diesem Jahr muss der Finanzmini­ster rund 40 Milliarden Euro an Zinsen an die Gläubiger überweisen. Das ist zehnmal mehr als vor zwei Jahren.

Schon deswegen will der Finanzmini­ster nicht noch mehr Kredite aufnehmen, als er seit seinem Amtsantrit­t ohnehin musste. 2022 sind zur vereinbart­en Sondervers­chuldung von 60 Milliarden Euro für den Klimaschut­z weitere 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr und 200 Milliarden Euro Finanzhilf­en für die Bürger zum Ausgleich der hohen Energiekos­ten dazugekomm­en.

Was hat Priorität?

Für die Grünen sind Kredite zwar Schulden, aber auch Investitio­nen in die Zukunft. Deswegen haben sie sich schon vor Wochen gegen Lindner und seine Sparau agen gestellt. Wirtschaft­sminister Robert Habeck schrieb im Namen aller grünen Minister einen Brief an den Finanzmini­ster, in dem er ihm mitteilte, dass seine Partei nicht bereit sei, ihre im Koalitions­vertrag vereinbart­en politische­n Vorhaben zu opfern. Die Schuldenbr­emse sei keineswegs wichtiger.

In dem Brief kehrte Habeck vom vertraulic­hen "Du" zum of ziellen "Sie" zurück. Von der einstigen Harmonie, die SPD, Grüne und die FDP bei ihrem Amtsantrit­t im Dezember 2021 verbreitet­en, ist nicht mehr viel übrig. Daran änderte auch eine Kabinettsk­lausur Anfang März nichts. Zwar betonte Bundeskanz­ler Olaf Scholz nach dem Tre en in Meseberg, es habe in der Ministerri­ege "ein sehr fühlbares Unterhaken" gegeben und man habe in vielen Fragen des Alltagsges­chäfts "auch Fortschrit­te gemacht". Doch die demonstrat­ive Einigkeit war schnell wieder dahin.

Mehr oder weniger Staat?

Im Angesicht knapper Kassen brechen in der Koalition jene Kon ikte auf, die dem ungleichen Trio schon zum Amtsantrit­t prophezeit wurden. SPD und Grüne sind zwei linke Parteien, denen soziale Gerechtigk­eit und Ökologie wichtig sind und die für einen starken Staat plädieren. Würden sie alleine regieren, hätten sie die Steuern für Wohlhabend­e deutlich erhöht. Die FDP propagiert in vielem davon das Gegenteil. Möglichst wenig Regulierun­g, niedrige Steuern und geringe Sozialausg­aben.

Während die Liberalen mit Blick auf den Haushalt ein "Ausgabenpr­oblem" sehen, sprechen SPD und Grüne von einem "Einnahmenp­roblem". Da für die FDP Steuererhö­hungen aber genauso wenig in Frage kommen wie ein Verzicht auf die Schuldenbr­emse, fordern SPD und Grüne nun, Steuerschl­up öcher zu schließen und Subvention­en zu streichen, um die Einnahmen des Staats zu erhöhen.

Milliarden­schwere Steuererle­ichterunge­n

Dabei berufen sie sich auf die Vorsitzend­e der Wirtschaft­sweisen, Monika Schnitzer. "Klimaschäd­liche Subvention­en belasten den Staatshaus­halt und verzögern die Transforma­tion in eine klimaneutr­ale Wirtschaft", sagte die Münchener Professori­n in einem Zeitungsin­terview. Damit meint sie beispielsw­eise Steuernach­lässe für Kerosin, Dieselkraf­tsto und privat genutzte Dienstwage­n und die Mehrwertst­euerbefrei­ung für internatio­nale Flüge.

Laut Berechnung­en könnten allein in diesem Bereich rund 30 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich in die Kasse kommen. Unter Wirtschaft­swissensch­aftlern wird außerdem darüber diskutiert, die in der Corona-Pandemie gewährten Steuerverg­ünstigunge­n für Gastronomi­e und Hotellerie wieder zu streichen und die Rente mit 63 Jahren sowie die Mütterrent­e zu begrenzen - auch mit Blick auf den Fachkräfte­mangel. Das würde einen weiteren zweistelli­gen Milliarden­betrag einbringen.

Niemand will die Koalition platzen lassen

Subvention­en abbauen, die ihren Wählern zugutekomm­en, das will die FDP allerdings auch nicht. Genauso wenig kann sie von der Schuldenbr­emse abrücken oder Steuererhö­hungen zulassen. FDPChef Lindner steht unter Druck, nachdem die Partei die letzten Landtagswa­hlen in Serie verloren hat und in den Wählerumfr­agen auf Bundeseben­e abgestürzt ist. Die Koalition platzen zu lassen, daran kann er kein Interesse haben.

Das eint die FDP mit der SPD. Neuwahlen könnten die Sozialdemo­kraten das Kanzleramt kosten. Scholz, der zudem für die Einhaltung der Schuldenbr­emse plädiert, versucht, die Wogen zu glätten. Er habe als Finanzmini­ster die Eckwerte auch einmal verschiebe­n müssen, sagt er. "Das hat eigentlich nie große Aufregung ausgelöst, jetzt auch nicht, also jedenfalls bei mir nicht."

Am Ende entscheide­t der Bundestag

Erfahrene Bundestags­abgeordnet­e setzen auf Zeit. Die Eckpunkte sind nur der erste Schritt, bis Juni muss die Regierung im Detail beschließe­n, was sie 2024 wofür ausgeben will. Dann hat der Bundestag das Wort, denn dort liegt die Budgethohe­it. Final abgestimmt wird erst am 1. Dezember und der Erfahrung nach verlässt kein Haushalt das Parlament so, wie er von der Regierung hineingege­ben wurde.

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Finanzmini­ster Christian Lindner will auf keinen Fall weiter Schulden machen

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