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Benjamin Netanjahu bei Olaf Scholz: Treffen in Krisenzeit­en

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Eigentlich war es nur einqJubilä­ums-Empfang. Doch bei seiner Ansprache zum 50. Jahrestag der Gründung der israelisch­en Universitä­t Haifa wurde Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier Ende voriger Woche in seinem Berliner Amtssitz Schloss Bellevue ausgesproc­hen politisch. Ungewöhnli­ch für das Staatsober­haupt. Steinmeier­qschaute kritisch nach Israel und auf die innenpolit­ische Entwicklun­g des Landes.

Der Bundespräs­ident zeigte sich besorgt über die "Eskalation von Hass und Gewalt" während der vergangene­n Wochen und Monate und den von der israelisch­en Regierung "geplanten Umbau des Rechtsstaa­tes". Die Deutschen hätten "immer mit großer Bewunderun­g auf den starken und lebendigen Rechtsstaa­t in Israel geschaut. Gerade weil wir wissen, wie notwendig dieser starke und lebendige Rechtsstaa­t in der Region ist." So Frank-Walter Steinmeier, der von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 deutscher Außenminis­ter war.

Da sprang ein Staatsober­haupt, so wirkte es, einem anderen Staatsober­haupt zur Seite. Steinmeier machte das dann auch deutlich: Er sei "in regelmäßig­em Austausch mit meinem Freund und Amtskolleg­en Isaac Herzog" und setze auf dessen "kluge und ausgleiche­nde Stimme in der israelisch­en Debatte". Der 62-jährige Herzog, seit Mitte 2021 Präsident seines Landes, ist der wichtigste Mahner gegenüber der Netanjahu-Regierung und steht damit selbst unter Druck.

Umstritten­e Justizrefo­rm

Denn das Vorhaben einer umfassende­n Justizrefo­rm seitens der ultrarecht­en Netanjahu-Regierung würde den demokratis­chen Rahmen des Staates verändern. Die Pläne sehen vor, dass die Knesset, das israelisch­e Parlament, Entscheidu­ngen des obersten Gerichts durch eine einfache Mehrheit überstimme­n könnte. Zum Teil beriet die Knesset die Gesetzesän­derungen schon in erster Lesung.

So deutliche ö entliche Kritik an der israelisch­en Innenpolit­ik gab es noch nie von einem deutschen Staatsober­haupt. Gewiss, in der Schlusspha­se der Amtszeit von Mosche Katzav, Israels Präsident von 2000 bis 2007, bis er angesichts einer Anklage wegen sexueller Übergriffe zurücktrat, verzichtet­e man von deutscher Seite auf eine Reise nach Jerusalem. Aber ö entlich war Kritik an israelisch­er Innenpolit­ik selten, auch dann, wenn man sich zur Besatzung der Palästinen­sergebiete äußerte.

Denn das Verhältnis zwischen Deutschlan­d und Israel ist von besonderer Art. Es wird immer geprägt bleiben von der Schoah, dem Massenmord von NaziDeutsc­hland an sechs Millionen Juden. Dabei hat sich das Verhältnis seit 1965, dem Jahr der Aufnahme voller diplomatis­cher Beziehunge­n zwischen beiden Ländern, beeindruck­end entwickelt. Jüngstes Beispiel ist ein deutsch-israelisch­es Jugendwerk, das im Spätsommer 2022 beschlosse­n wurde.

Eine frühe Freundscha­ft

Für die frühzeitig­e Aussöhnung steht vor allem David Ben-Gurion (1886-1973). Früh stritt der legendäre erste Ministerpr­äsident Israels für die Sichtweise auf das "andere Deutschlan­d". Ben-Gurion und der erste Bundeskanz­ler Konrad Adenauer (1876-1967) trafen sich zeitlebens nur zweimal - 1960 und 1966. Und doch wirkten beide Staatsmänn­er fast wie ferne Freunde.

David Ben-Gurion und Konrad Adenauer bei ihrem ersten Tre en 1960 in New York.

Die ersten o ziellen Gespräche zwischen der Bundesrepu­blik und Israel begannen schon 1952. Zunächst ging es um ein Wiedergutm­achungsabk­ommen, dann gab es geheime Kontakte für deutsche Wa enlieferun­gen an Israel.

Als das im Spannungsg­ebiet des Nahen Ostens 1964 bekannt wurde, war die Aufregung groß. Und doch war es der letzte Anstoß für die Aufnahme der vollen diplomatis­chen Beziehunge­n 1965. Ein Schritt, der nicht wenigen Menschen im jungen jüdischen Staat schwer el. Die Ankunft des ersten deutschen Botschafte­rs war noch von Krawallen begleitet.

Kohl, Merkel und Scholz in Israel

Durch gemeinsame Gedenktage und Besuche deutscher Regierungs­vertreter wurden das Verhältnis und die Solidaritä­t gestärkt. Zwar reiste Helmut Kohl in seinen 16 Jahren als Bundeskanz­ler nur zweimal nach Israel. Anders jedoch Angela Merkel: Sie besuchte Israel achtmal, zuletzt als noch amtierende Regierungs­che n im Oktober 2021.

"Dass uns heute freundscha­ftliche Bande verbinden, ist ein unschätzba­res Geschenk; und es ist ein unwahrsche­inliches Geschenk vor dem Hintergrun­d unserer Geschichte", sagte Merkel 2018 und ging auch auf den Antisemiti­smus in Deutschlan­d ein. Kanzler Olaf Scholz war im März 2022 zu einem Antrittsbe­such in Israel, sein bislang einziger Besuch als Kanzler. Er stand im Schatten des kurz zuvor begonnenen massiven Angri s Russlands auf die Ukraine.

Was in den Merkel-Jahren von 2005 bis 2021 auf el: In den rechtsnati­onalistisc­hen Regierungs­zeiten von Benjamin Netanjahu reiste die Kanzlerin eher seltener nach Jerusalem. Im Jahr 2017 wurden bilaterale Regierungs­konsultati­onen in Jerusalem sogar einmal abgesagt und im Oktober 2018, zum 70. Jahr der Staatsgrün­dung Israels, formell nachgeholt.

Werben für die Zwei-Staaten-Lösung

Die deutschen Regierungs­chefs, vor allem Merkel in ihren 16 Jahren, betonen stets und in aller Deutlichke­it das Existenzre­cht Israels. Parallel zur israelisch­en Siedlungsp­olitik in den Palästinen­sergebiete­n sprechen sie sich aber immer wieder für eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinen­sern aus und nennen diese auch bei ihren Appellen an die palästinen­sische Seite. Jeder neue israelisch­e Siedlungsb­au wird von Mahnungen aus Deutschlan­d begleitet, die angespannt­e Lage im Land nicht weiter zu belasten.

Ein früher Höhepunkt der beiderseit­igen Beziehunge­n war gewiss ein Auftritt Merkels in der Knesset. Sie sprach dort 2008 als erste ausländisc­he Regierungs­che n überhaupt: auf Deutsch, in der Sprache der Täter. Und sie wirkte sichtlich berührt, als sie die Worte sprach: "Jede Bundesregi­erung und jeder Bundeskanz­ler vor mir waren der besonderen historisch­en Verantwort­ung Deutschlan­ds für die Sicherheit Israels verp ichtet. Diese historisch­e Verantwort­ung Deutschlan­ds ist Teil der Staatsräso­n meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanz­lerin niemals verhandelb­ar."

Kanzlerin Angela Merkel 2008 in der Knesset in Jerusalem

"Deutschlan­d wird - darauf können Sie sich verlassen - auch weiterhin fest an der Seite Israels stehen", erklärte Bundeskanz­ler Scholz im März 2022, als er zu Beginn seines Antrittsbe­suchs die Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem in Jerusalem besuchte. Dort sprach er ausdrückli­ch von der historisch­en Verantwort­ung Deutschlan­ds für den Staat Israel. Nach dem Gespräch mit dem damaligen israelisch­en Ministerpr­äsidenten Naftali Bennett kündigte Scholz eine baldige Einladung von dessen gesamtem Kabinett zu deutsch-israelisch­en Regierungs­konsultati­onen nach Berlin an.

Regierungs­konsultati­onen schwer vorstellba­r

Diese Regierungs­konsultati­onen sind vielleicht das deutlichst­e Indiz für eine Entfremdun­g bei aller historisch­en Verp ichtung. 2008 gab es, damals in Jerusalem, die ersten dieser großen Regierungs­treffen. Seitdem bis 2018 sechs weitere, drei in Berlin, drei in Jerusalem. Nun ist angesichts der politische­n Konstellat­ion ein Tre en mit allen Kabinettsm­itgliedern für viele Beobachter kaum mehr vorstellba­r.

Zwar gratuliert­e Bundeskanz­ler Scholz Ministerpr­äsident Netanjahu nach dessen erneuter Amtsüberna­hme Ende 2022 und erwähnte die besondere und enge Freundscha­ft beider Länder. Doch schaut die deutsche Seite kritisch auf die Einbindung rechtsextr­emer Parteien und Politiker in die Regierung. Zu deren Zielen zählen unter anderem die sogenannte Justizrefo­rm, die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e und der Ausbau von Siedlungen in Gebieten, welche die Palästinen­ser für einen künftigen Staat beanspruch­en.

Kritik aus Berlin wird deutlicher

Anfangs kam Kritik von deutscher Seite nur von Regierungs­sprechern in der Bundespres­sekonferen­z, die an die angestrebt­e ZweiStaate­n-Lösung zwischen Israelis und Palästinen­sern erinnerten. Doch Ende Februar äußerten auch zwei wichtige deutsche Minister Sorgen und Kritik.

Der deutsche Bundesjust­izminister Marco Buschmann besuchte als erster deutscher Regierungs­vertreter seit dem Macht- und Kurswechse­l in Israel Jerusalem. Er wurde - in Gesprächen, bei Unterredun­gen, auf Twitter - deutlich. Es gelte, sich "klar gegen Tendenzen zu positionie­ren, die den Rechtsstaa­t gefährden", mahnte er. Es gehe um die "Wahrung der liberalen Demokratie", betonte der FDPPolitik­er, und warnte davor, "den Rechtsstaa­t zu gefährden". Kaum jemals zuvor hatte sich jemand von deutscher Seite dermaßen kritisch zur innenpolit­ischen Lage in Israel geäußert.

Eine Woche später emp ng Außenminis­terin Annalena Baerbock ihren neuen israelisch­en Amtskolleg­en Eli Cohen in Berlin. "Ich will nicht verhehlen, dass wir uns im Ausland Sorgen machen", sagte

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Isaac Herzog und Frank-Walter Steinmeier, begleitet von ihren Ehefrauen, September 2022 in Berlin

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