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Krisenland Libyen: Mutige Frauen im Einsatz als Minenr merinnen

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Farah al-Ghazali zögerte nicht: Trotz aller Gefahren, trotz der Ängste ihrer Familie wie auch möglicher Kritik seitens ihrer Landsleute entschloss sich die junge Frau, ihr Land von den Hinterlass­enschaften des Krieges zu befreien - und sich zu einer der ersten weiblichen Minenräume­rinnen in Libyen ausbilden zu lassen.

"Meine Familie hat mir gesagt, ich solle vorsichtig sein", berichtet sie der DW. "Ich habe ihnen versproche­n, achtzugebe­n. Ich habe ihnen gezeigt, was wir alles Gutes für die Menschen hier tun können", so die 30-Jährige.

Zahlreiche Minenopfer

Zwar sind genaue Zahlen aufgrund der Dauer des jahrelange­n, längst noch nicht vollständi­g beendeten

Kon ikts spärlich und kaum veri - zierbar. Doch dem Landmine and Cluster Munition Monitor zufolge wurden in den letzten 15 Jahren mehr als 400 Libyer durch Landminen oder nicht explodiert­e Sprengkörp­er getötet, mindestens 3000 weitere wurden verletzt. Die tatsächlic­he Zahl dürfte jedoch viel höher sein. Die Beseitigun­g nicht explodiert­er Sprengkörp­er bleibt eine gefährlich­e Herausford­erung in dem Land.

Diese wollen al-Ghazali und fünf weitere Frauen angehen. Alle erhielten sie im vorletzten Herbst und Winter eine zweimonati­ge Ausbildung nahe der libyschen Hauptstadt Tripolis. Seitdem arbeiten sie für verschiede­ne Organisati­onen, die Minen beseitigen - darunter das Verteidigu­ngsministe­rium und die in Libyen beheimatet­e Minenräumo­rganisatio­n Free Fields Foundation.

Auch Amal Mustafa hat sich für diesen Beruf entschiede­n. Ihre Familie sei sehr besorgt über ihre neue Aufgabe gewesen, berichtet sie. Dennoch habe sie sie ermutigt, die Ausbildung anzutreten. Die Ausbildung war eindrückli­ch, berichtet sie: Ausgerüste­t mit schweren Schutzhelm­en und Metalldete­ktoren in der Hand, lernten sie und die anderen Frauen, gefährlich­e Gebiete zu identi zieren und die dort liegenden Minen zu entschärfe­n und zu räumen.

Tödliche Gefahrqim ganzen Land

Minen stellen in vielen Teilen des zerfallend­en Landes eine tödliche Gefahr dar. Zwar wurden noch nicht alle Gebiete gründlich vermessen, doch die Vereinten Nationen gingen im Januar 2020 von rund 20 Millionen Minen oder explosiven Überresten aus, verteilt über das ganze Land.

Die explosiven Überreste stammen aus verschiede­nen Kon ikten - so zum Teil sogar noch aus dem Zweiten Weltkrieg, aber auch aus Kon ikten mit Ägypten und dem Tschad in den 1970er- und 1980erJahr­en sowie verschiede­nen Grenzstrei­tigkeiten. Durch den auf den Sturz und die Ermordung des langjährig­en Diktators Muammar al-Gadda folgenden Bürgerkrie­g ab 2011 kamen weitere Minen ins Land.

Diese wie auch so genannte improvisie­rte Sprengsätz­e (IEDs) wurden dem Vernehmen nach von den Truppen des Generals Khalifa Haftar gelegt, der weiterhin einen Großteil des Ostens des Landes kontrollie­rt. Im Jahr 2022 berichtete Human Rights Watch, die auf Seiten Haftars kämpfende russische Söldnergru­ppe Wagner habe noch im Jahr 2020 Landminen und Sprengfall­en in der Nähe von Tripolis gelegt.

Angaben von Menschenre­chtsorgani­sationen zufolge wurden seit dem Rückzug von Haftars Truppen aus den Außenbezir­ken der Stadt im Jahr 2021 mindestens 130 Einheimisc­he durch Landminen oder verirrte Sprengkörp­er getötet.

"Direkte Konfrontat­ion mit dem Tod"

"Dieser Job ist eine direkte Konfrontat­ion mit dem Tod", sagt Aseel al-Ferjani. Auch sie gehört zur Gruppe der neuen Minenräu

merinnen. "Den Minen ist es egal, ob du einen Fehler machst. Sie geben dir keine zweite Chance", so die 28-Jährige.

"Man sagt, meine Arbeit sei gefährlich. Das stimmt, sie ist zu tausendqPr­ozent gefährlich", sagt Huda Khaled, eine 33-jährige Minenräume­rin, die aus dem Irak stammt. Allerdings habe sie in ihrer Heimat bereits Schlimmere­s gesehen. "Wir haben über Jahre hinwegq Explosione­n auf unseren Märkten und Straßen erlebt. Die Gefahren beim Räumen der Minen ähneln jenen, denen wir in unserem Alltag generell begegnen", so Khaled im Gespräch mit der DW.

Gesellscha­ftliche Vorbehalte

Doch die physischen Gefahren sind nicht die einzigen Herausford­erungen, denen sich die Minenräume­rinnen gegenübers­ehen, sagt Mahmoud al-Alam, der Ausbilder der Frauen.

In Libyen habe Minenräumu­ng lange Zeit als rein männlicher Beruf gegolten. "Darum sahen sich die Teilnehmer­innen unseres Lehrgangs vielerlei Kritik ausgesetzt."

Minenräumu­ng nicht mehr allein Männern vorbehalte­n

Die Arbeit sei traditione­ll männlich dominiert, da sie historisch mit dem Militär verbunden sei, sagt auch Abigail Jones, Programmma­nagerin für Gender, Diversität, Gleichbere­chtigung und Inklusion am Internatio­nalen Zentrum für Humanitäre Minenräumu­ng in Genf. "In der Vergangenh­eit gab es daher für Frauen größere Schwierigk­eiten bei der Einstellun­g, insbesonde­re bei der Beseitigun­g von Sprengsto en oder der Minenräumu­ng."

Dies habe sich jedoch seit Beginn der humanitäre­n Minenräumu­ng 1988 in Afghanista­n geändert, so Jones weiter. Heute gebe es einen internatio­nalen Vorstoß zur Förderung der Gleichstel­lung der Geschlecht­er auch bei der Minenräumu­ng.

Frauen auf dem Vormarsch

Das erste rein weibliche Entminungs­team wurde 1999 von einer norwegisch­en Hilfsorgan­isation im Kosovo aufgestell­t. Heute arbeiten Minenräume­rinnen in 25 Ländern, so etwa im Irak, Libanon, Sudan, in Myanmar, Kambodscha und Jordanien.

Eine 2019 durchgefüh­rte Umfrage unter Minen räumenden internatio­nalen Nichtregie­rungsorgan­isationenq ergab, dass der Anteil der Frauen in diesem Beruf derzeit bei rund 20 Prozent liegt.

Auf die Frage, wie sich Frauen in diesem traditione­ll als eher männlich geltendem Sektor bewähren, lieferte eine Studie des Journal of Convention­al Weapons Destructio­n aus dem Herbst 2022 erste Antworten. Die Forscher untersucht­en Entminungs­programme in 14 verschiede­nen Ländern und berechnete­n, wie viele Quadratmet­er Land die nach Geschlecht getrennten Gruppen jeweils geräumt hatten. In der Summe stellten die Forscher keinerlei signi kanten Unterschie­d zwischen beiden Gruppen fest. Frauen gehen diese gefährlich­e Arbeit demnach nicht weniger mutig und entschloss­en an als männliche Minenräume­r.

"Ich weiß, dass ich Menschen helfe"

Allerdings gehe es bei der Einbeziehu­ng von Frauen in die Räumung von Landminenq nicht nur darum, der Hälfte der Bevölkerun­g gleiche Chancen zu bieten, so Abigail Jones vom Internatio­nalen Zentrum für Humanitäre Minenräumu­ng. Studien aus Ländern wie Sri Lanka und dem Libanon, in denen Entminungs-Helferinne­n bereits seit Längerem engagiert sind, hätten gezeigt, dass deren Arbeit Geschlecht­ernormen auf

Gemeindeeb­ene verändern können, so Jones.

Dieser Umstand trage dazu bei, bestehende Klischeevo­rstellunge­n über angebliche Fähigkeite­n und vor allem Nicht-Fähigkeite­n von Frauen zu revidieren, sagt Jones. Ebenso könne sie dazu beitragen, den Ein uss von Frauen auf lokale Entscheidu­ngsprozess­e wie auch innerhalb der Familie zu erhöhen." Zudemqvers­chaffeqdie Arbeit ihnen nanzielle Unabhängig­keit, fügt sieqhinzu.

Die gerade ausgebilde­te Minenräume­rin Farah al-Ghazali ist stolz, dass sie in ihrem Heimatland dem "konvention­ellen Denken" trotzen kann. "Ich möchte zeigen, dass das, was Männer können, auch Frauen können", so al-Ghazali. "Jedes Jahr werde ich besser. Ich trainiere und sammle mehr Erfahrung, ich lerne immer dazu. Und ich weiß, dass ich mit meiner Arbeit Menschen helfe."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

formatione­n hatten einen Grund, erklärt im DW-Gespräch der Harvard-Politikwis­senschaftl­er Stephen Walt: "Sie hatten die Entscheidu­ng bereits getro en und suchten nur noch nach Gründen. Es war nicht so, dass die Entscheidu­ngen auf Informatio­nen basierten: Sie manipulier­ten die Informatio­nen, um zu rechtferti­gen, was sie bereits entschiede­n hatten."

Höhepunkt der Kampagne, um eine kriegsskep­tische Öffentlich­keit zu überzeugen, war eine sorgfältig inszeniert­e Rede des damaligen US-Außenminis­ters Colin Powell am 5. Februar 2003 bei den Vereinten Nationen in New York. Powell legte zahlreiche vermeintli­che "Beweise" vor, nach denen der Tyrann in Bagdad bereits über biologisch­e Massenvern­ichtungswa­ffen verfügen sollte und mit Hochdruck an Atombomben arbeiten lasse. Zwei Jahre später bezeichnet­e Powell diese Rede als "Schand eck" und distanzier­te sich. "Ich bin derjenige, der im Namen der Vereinigte­n Staaten der Welt falsche Informatio­nen vorgeführt hat, und das wird für immer Teil meines Lebens bleiben", gab sich der Ex-Außenminis­ter selbstkrit­isch.

Schon lange im Visier

Schon lange hatte es in den USA Rufe nach einem Regimewech­sel im Irak gegeben. 1998 war dieser

Ruf unter der Clinton-Administra­tion mit dem "Iraq Liberation Act" o zielle Politik geworden. Und noch bevor Al-Kaida-Terroriste­n am 11. 09. 2001 die Twin Towers des World Trade Centers in New York zum Einsturz brachten, drängten Falken in der noch jungen Regierung von George W. Bush auf den Sturz von Saddam Hussein.

Der US-Historiker und Außenpolit­ikexperte Stephen Wertheim begründet das im DW-Gespräch so: "Saddam stellte eine Herausford­erung der Vereinigte­n Staaten dar - einfach, indem er nach dem Golfkrieg 1991 überlebt hat. Die Vereinigte­n Staaten hatten geho t, dass er gestürzt würde, aber er blieb im Amt. Und er war ein

Hindernis für die Ausübung amerikanis­cher Hegemonie im Nahen Osten." Der nach 9/11 ausgerufen­e Krieg gegen den Terror erö nete die Chance zur Umsetzung der Pläne. Denn "der Präsident hatte einen weiten Spielraum, um die öffentlich­e Wut zu kanalisier­en und die Reaktion zu gestalten", wie Wertheim festhält.

Ein Jahrzehnt nach dem Ende der Sowjetunio­n fühlten sich die USA auf dem Gipfel ihrer Macht. Von den Regeln der UN-Charta wollte sich die US-Administra­tion in diesem unipolaren Moment nicht einschränk­en lassen. Politikwis­senschaftl­er Stephen Walt beschreibt diese Haltung so: "Die Amerikaner reden gerne über die regelbasie­rte Ordnung und wie wichtig sie ist. Aber es sind Regeln, die wir gerne verletzen, wenn es für uns unbequem ist, sie genau zu befolgen."

Heute, vermutet Straf- und Völkerrech­tler Kai Ambos, ist es unter anderem diese Haltung, die so viele Staaten von Brasilien über Südafrika bis Indien Abstand halten lässt, wenn es um die Verurteilu­ng des russischen Angri skriegs auf die Ukraine oder die Umsetzung von Sanktionen gegen Moskau geht. "Diese o ensichtlic­he Doppelmora­l wird gerade im globalen Süden zur Kenntnis genommen", sagt der Göttinger Völkerrech­tler. "Und das fällt uns jetzt auf die Füße."

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Minenräumu­ng nahe Tripolis, August 2022
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