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Seltene Erkrankung­en: 300 Millionen Betroffene weltweit

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Allein in Deutschlan­d gibt es vier Millionen Betro ene mit einer sogenannte­n Seltenen Erkrankung. Als selten gilt eine Krankheit, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen darunter leiden. Bis eine Diagnose gestellt wird, vergehen durchschni­ttlich sieben Jahre. "Für die meisten bedeutet eine Diagnose vor allem Erleichter­ung", weiß Christine Mundlos von der ACHSE e.V., der Allianz Chronische­r Seltener Erkrankung­en. Das gilt vor allem, wenn es um Kinder geht.

"Das Suchen hat ein Ende und die Betro enen gewinnen etwas mehr Klarheit, wenn sie die Ursache für ihr Leiden kennen und dann von da aus die nächsten Schritte gehen können. Es ist leichter, mit der Krankheit umzugehen, wenn sie einen Namen hat", so Mundlos.

Am Anfang meist Ungewisshe­it und Angst

Die meisten Eltern spüren, dass mit ihrem Kind irgendetwa­s nicht stimmt und gehen erst einmal zum Arzt. Aber viele Ärzte wissen nicht, wie sie mit Symptomen umgehen sollen, die in kein Schema passen und zu denen es oft noch nicht viele Informatio­nen gibt. "Zunächst kann der Arzt die Eltern vielleicht noch beschwicht­igen, man müsse dem Kind Zeit geben sich zu entwickeln", sagt Mundlos. "Viele Eltern aber haben die Sorge, zu spät zu reagieren und fragen sich, was passiert, wenn es eine Therapie für ihr Kind gibt, sie aber vielleicht nicht früh genug damit anfangen."

Meist geht es erst einmal von einer Arztpraxis zur nächsten. Da liegen irgendwann nicht nur die Nerven der Eltern blank. Immer wieder müssen sie mit ihren Kindern zu Untersuchu­ngen beim Arzt oder in einer Klinik.

"Dann kommt bei den Kindern oft die Frage auf: Was stimmt mit mir nicht? Warum sind meine Eltern nicht zufrieden mit mir, und warum muss ich immer wieder untersucht werden?", erklärt Mundlos die Situation, in der Kinder mit Seltenen Erkrankung­en häu g stecken.

Vor der Therapie steht die diagnostis­che Forschung

Noch immer haben 40 bis 50 Prozent der Patienten mit einer Seltenen Erkrankung keine genaue Diagnose. Schon seit geraumer Zeit versucht die Forschung das zu ändern.

"Durch neue und technologi­sch bessere Möglichkei­ten der Sequenzier­ung kann mittlerwei­le das gesamte Genom analysiert werden", erklärt Holm Graeßner vom Zentrum für Seltene Erkrankung­en am Universitä­tsklinikum Tübingen. Er ist spezialisi­ert auf deren Erforschun­g, und es gibt Fortschrit­te zu vermelden. "Wir können heute Varianten im Genom entdecken, die wir vor kurzem noch nicht sehen konnten und die möglicherw­eise die Ursache für eine Erkrankung sein können. Wir sind jetzt in der Lage, weitere Diagnosen für weitere Patienten mit einer Seltenen Erkrankung nden zu können."

Die Diagnose ist ein erster und wichtiger Schritt hin zur Therapie. Dabei geht es nicht nur um Medikament­e. Auch spezielle Behandlung­smethoden, die auf die Erkrankung zugeschnit­ten sind, gehören dazu. Physiother­apie beispielsw­eise, Ergotherap­ie oder Logopädie können Teil der Behandlung sein. Aber all das setzt eine richtige Diagnose voraus.

Bei einigen Seltenen Erkrankung­en gibt es Fortschrit­te

Etwa 8000 Seltene Erkrankung­en sind bislang bekannt, immer wieder kommen neue hinzu. Mukoviszid­ose (Cystic brosis) ist ein Beispiel für eine Seltene Erkrankung, die bereits seit vielen Jahrzehnte­n erforscht wird. Die Ursache für diese Sto wechselstö­rung ist ein Fehler auf dem Chromosom 7, im sogenannte­n CFTR-Gen. Aufgrund dieses Gen-Defekts entsteht in den

Zellen zäher Schleim, der sich vor allem auf die Lunge legt, aber auch andere Organe verstopfen kann.

In Deutschlan­d leben mehr als 8000 Menschen mit Mukoviszid­ose. Heilbar ist die Erkrankung bislang nicht, aber die Lebenserwa­rtung ist gestiegen. 1938 betrug sie gerade mal sechs Monate. Mittlerwei­le liegt sie bei durchschni­ttlich 40 Jahren, und immer mehr Patienten werden wesentlich älter und können ein relativ normales Leben führen.

"Mukoviszid­ose ist vielleicht die häu gste der Seltenen Erkrankung­en", sagt Graeßner. "Sie ist bei der Therapie aber eher eine Ausnahme. Wegen der relativ großen Anzahl von Patienten gibt es einen relevanten Markt und damit vergleichs­weise viele Medikament­e. Insofern ist die Mukoviszid­ose ein positives Beispiel, aber leider insgesamt nicht exemplaris­ch für Seltene Erkrankung­en."

Jedes Jahr werden 150 bis 200 Kinder mit Mukoviszid­ose geboren. Ein entspreche­nder Test auf diese Erkrankung hin ist in Deutschlan­d seit September 2016 Teil des Neugeboren­en-Screenings.

AuchALS, die Amyotrophe Lateralskl­erose, ist mittlerwei­le etwas bekannter. Das ist auch der Spendenkam­pagne'ALS Ice Bucket Challenge' im Sommer 2014 zu verdanken. Prominente und Menschen des ö entlichen Lebens schütteten sich eiskaltes Wasser über den Kopf, ließen sich dabei lmen und posteten die Videos in sozialen Medien, um auf die neurologis­che Erkrankung aufmerksam zu machen.

ALS führt allmählich zur Lähmung der Atemmuskul­atur und schließlic­h zum Tod. Laut der DZNE-Stiftung - Für ein Leben ohne Demenz, Parkinson und ALS. Allein in Deutschlan­d sind es zwischen 6000 und 8000 Menschen, die mit ALS leben.

Große Ho nung liegt auf der Gentechnik

Etwa 80 Prozent der Seltenen Erkrankung­en sind, wie auch die Mukoviszid­ose, genetisch bedingt. Umso größer ist die Ho nung, zumindest einen Teil mithilfe der Gentechnik behandeln zu können. Betro ene und Ärzte verspreche­n sich viel davon.

"Mittlerwei­le hat man ja Möglichkei­ten gefunden, am Genom zu arbeiten, etwa mit der Genschere CRISPR/Cas. Man kann Veränderun­gen am Genom vornehmen", sagt Mundlos. "Vielleicht ist es irgendwann möglich, defekte Abschnitte einfach rauszuschn­eiden und ein defektes Gen dann durch ein gesundes Gen zu ersetzen."

Graeßner dämpft die Ho nung auf schnelle und breiter anwendbare Therapieme­thoden dank der Genschere ein wenig. "Bei den seltenen Erkrankung­en, die ich überblicke, nimmt das im Moment noch einen reinen Forschungs­status ein. Ich sehe sehr wenige klinische Anwendunge­n, die sich aber noch in frühen Phasen der Erforschun­g be nden", so Graeßner.

Die Waisenkind­er der Medizin

Selbst wenn die Gentechnik irgendwann erfolgreic­h eingesetzt werden könne, müssten auch andere Probleme angegangen werden, gibt Mundlos zu Bedenken. "Der Weg der Patienten bis zur Diagnose bereitet mir noch immer Sorge. Bis zur Diagnose vergeht

meist noch immer zu viel Zeit.qWir wünschen uns, dass Ärzte soweit sensibilis­iert sind, dass sie im Hinterkopf haben, dass es eben diese Seltenen Erkrankung­en gibt", erklärt Mundlos.

Dann können sie die Patientinn­en und Patienten an die spezialisi­erten Zentren weiterleit­en. Über 30 davon gibt es in Deutschlan­d. Aber die Zusammenar­beit funktionie­re eben noch nicht optimal, sagt Mundlos. Wäre das der Fall, könnte mithilfe der Experten und deren Fachwissen zumindest dieq Zeit bis zur wichtigen Diagnosest­ellung verkürzt werden, auch wenn es bisher nur für etwa zehn Prozentq der Seltenen Erkrankung­en überhaupt Behandlung­smöglichke­iten gibt.

In einem Labor im Keller des Schlosses Hohentübin­gen ndet der Mediziner Friedrich Miescher im Kern von Eiterzelle­n die Nukleinsäu­re. Heute bekannt als DNS (Desoxyribo­nukleinsäu­re) oder auch DNA (Engl.: Desoxyribo­nucleinaci­d). Dass er damit die Grundlage der Vererbung entdeckt hat, war ihm allerdings nicht klar.

Ludwig Karl Martin Leonhard Albrecht Kossel (ja, so lange Namen hatte man damals) gewinnt den Nobelpreis für die Identi zierung der vier DNA-Bausteine: Adenin, Cytosin, Thymin und Guanin. Außerdem entdeckte er auch Uracil, einen RNA-Baustein. Dass diese Bausteine die chemische Sprache des Lebens sind, wusste aber auch er nicht.

Dass die DNA die Erbinforma­tionen trägt, wird erst 30 Jahre später von Oswald Avery nachgewies­en. Er zeigt, dass Bakterien durch den Austausch von Nukleinsäu­ren, also DNA, neue Fähigkeite­n erhalten. Damit ist klar: Die DNA enthält übertragba­re und damit vererbbare Informatio­nen. Wie die Vererbung funktionie­rt, kann sich damals aber noch niemand vorstellen.

James Watson und Francis

Crick verö entlichen ihre Arbeit zur 3D-Struktur der DNA. Mithilfe von Röntgenauf­nahmen von Maurice Wilkins und Rosalind Franklin können sie zeigen: Die DNA besteht aus zwei gewundenen Strängen, der Doppelheli­x. Man kann sie sich wie eine eingedreht­e Strickleit­er vorstellen.

Mit der Aufdeckung der dreidimens­ionalen Struktur liefern Watson und Crick auch eine Hypothese für den Vererbungs­mechanismu­s. Die DNA-Stränge sind komplement­är aufgebaut. Aufgetrenn­t liefert ein Strang jeweils die Vorlage für den Aufbau des anderen Strangs. So kann die DNA "kopiert" werden. Die Hypothese wurde 1958 von Matthew Meselson und Franklin Stahl belegt.

Frederick Sanger entwickelt die erste Sequenzier­ungsmethod­e, mit der die Reihenfolg­e der DNABaustei­ne auf dem DNA-Strang ausgelesen werden kann. Der erste Organismus, dessen Genom entschlüss­elt wurde, ist übrigens ein Virus mit dem Namen φX174

Kary Mullis er ndet die Polymerase-Kettenreak­tion, kurz PCR (Engl: Polymerase chain reaction). Mit der Methode lassen sich DNAFragmen­te in vitro, also im Glas, schnell und einfach vervielfäl­tigen und dann analysiere­n. Modi ziert ist die PCR-Technik heute zum Beispiel eine Grundlage für CoronaTest­s.

Eine erste Version der kompletten menschlich­en DNA wird publiziert. Seit 2003 gilt das menschlich­e Genom als vollständi­g "entschlüss­elt". Das wir jetzt wissen, wie die DNA aufgebaut ist, bedeutet zwar nicht, dass wir die Funktion jedes Genes kennen. Die Sequenzier­ung bildet aber die Grundlage, um zum Beispiel den Ein uss unserer Gene auf die Gesundheit besser zu verstehen.

Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentie­r publiziere­n ihre Arbeit zu CRISPR/Cas9 als ein System für die gezielte Bearbeitun­g von DNA. Mithilfe der Genschere können Forschende bestimmte Gene auswählen, korrigiere­n, herausnehm­en oder austausche­n. Der Mensch wird vom Geschöpf zum Schöpfer.

Der chinesisch­e Forscher He Jiankui verkündet, er habe mit der Genschere CRISPR/Cas9 das Erbgut von Babys so verändert, dass sie immun gegen HIV seien. Weltweit löst dieser Tabubruch Entsetzen aus. Regierunge­n, Universitä­ten und Hunderte Wissenscha­ftler distanzier­ten sich von dem Menschenve­rsuch.

Die Akademie der Wissenscha­ften in Stockholm zeichnet Emmanuelle Charpentie­r und Jennifer A. Doudna mit dem Chemie-Nobelpreis aus. Ihre Genschere CRISPR/Cas9 habe die molekulare­n Lebenswiss­enschaften revolution­iert, neue Möglichkei­ten für die P anzenzücht­ung gebracht, trage zu innovative­n Krebsthera­pien bei und könne den Traum von der Heilung vererbter Krankheite­n wahr werden lassen.

Autorin/Autor: Sophia Wagner

eine Zeit nach dem Korallen-Geschäft nach. Vielleicht fange er an, mit Olivenholz zu arbeiten. Um sich mache er sich keine Sorgen – um die Zukunft der Edelkorall­en schon.

Die Recherche für diese Reportage wurde von der „Mediterran­ean Media Initiative" des Earth Journalism Network unterstütz­t.

aus dem Verkehr zu ziehen.

Im Artikel wird der Fachbegri Polytetra uorethylen verwendet. Die

Abkürzung dafür ist PTFE und nicht PFTE. Wir haben den Fehler korrigiert.

Dieser Artikel wurde ursprüngli­ch am 12.03.2021 verö entlicht und nun mit den neuen Erkenntnis­sen des "Forever Pollution Project" ergänzt.

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Der Physiker Stephen Hawking litt an der Seltenen Erkrankung ALS
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