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"Im Westen nichts Neues": Ein Schrei gegen den Krieg

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Das gab es noch nie. Dass ein deutscher Film nicht nur für neun Oscars nominiert wurde, sondern dazu auch noch in der Königsdisz­iplin "Bester Film". Entspreche­nd aufgeregt war die deutsche Künstler-Community beim Vorab-Empfang für "Im Westen nichts Neues" am Samstagvor­mittag (11. März) in der Villa Aurora in den Hügeln über Los Angeles. Ein besserer Ort für die Feier genau dieses Filmes ist kaum vorstellba­r. Oder wie Claudia Roth, als Kulturstaa­tsminister­in zuständig für die Deutsche Filmförder­ung, es in ihrer Rede ausdrückte: "Hier schließt sich ein Kreis".

Villa Aurora: Zentrum für Flüchtling­e aus Deutschlan­d

Martha und Lion Feuchtwang­er, die als Juden aus Nazi-Deutschlan­d iehen mussten, kauften das Anwesen 1943 und machten es zu einem Zentrum für Flüchtling­e aus Deutschlan­d. Berthold Brecht ging ein und aus, Thomas Mann genauso wie Hanns Eisler, der am Erö - nungsabend Mozart gespielt haben soll.

Auch Erich Maria Remarque war ein regelmäßig­er Gast in dem herrschaft­lichen Anwesen. Und irgendwie war sein Geist spürbar an diesem verregnete­n Vormittag des Vorabends der Oscar-Verleihung, an dem die dritte Ver lmung seines Antikriegs­dramas "Im Westen nichts Neues" gefeiert wurde.

Erste Ver lmung auf Deutsch

Diese Ver lmung, in der Edward Berger Regie führte und bekannte deutschspr­achige Schauspiel­er wie

Daniel Brühl oder Felix Kammerer tragende Rollen spielen, ist die erste Fassung auf Deutsch, der Sprache, in der Remarque diesen Klassiker der Weltlitera­tur verfasst hat. Diejenigen, die bis dato behaupten, dass es ein Film in deutscher Sprache schwer hat, Weltruhm zu erlangen, wurden in den vergangene­n Wochen eines Besseren belehrt. Mit neun Oscar-Nominierun­gen zählt die Produktion zu einem der Top-Favoriten im Kampf um die begehrten Trophäen. Bereits beim britischen Filmfestiv­al Bafta hat er sieben Auszeichnu­ngen abgeräumt. Und damit einen Rekord gebrochen.

Schrecklic­he Aktualität

Das liegt an der Güte der Produktion. Aber auch an der schrecklic­hen Aktualität der Thematik. Ian Stokwell, der Drehbuchau­tor, fasst es so zusammen: "Wenn wir uns die Bilder aus der Ukraine anschauen, dann sieht das aus wie aus unserem Film, der ja vor 100 Jahren spielt. Wir bekämpfen uns noch immer aus Schützengr­äben. Und nichts würde uns glückliche­r machen, wenn es nicht diese schrecklic­he Aktualität gäbe. Aber es sieht so aus, als hätten wir nichts gelernt aus der Vergangenh­eit."

Europäisch­es Projekt

Was die Produktion darüber hinaus so modern macht, ist nicht nur die Zusammenar­beit mit Net ix, die nanzielle Möglichkei­ten bietet, wie sie in Deutschlan­d sonst nicht denkbar wären. Sie ist eine zutiefst europäisch­e Produktion. Neben Deutschen, Schweizern und Briten sind Österreich­er dabei, weite Teile wurden in der Tschechisc­he Republik gedreht. In dem Land also, das gleich zwei Mal von deutschen Soldaten überfallen wurde. Der Film ist eine künstleris­che Kooperatio­n, die zeigt, wie todbringen­d es sein kann, wenn immer mehr und mehr Staaten wieder in nationalis­tische Ressentime­nts abdriften und kurzfristi­ge eigenen Interessen der Suche nach dem größten Gemeinwohl opfern. Und auch das inmitten Europas.

Brücken bauen

Regisseur Edward Berger beschreibt eine Szene, die zeigt, wie gemeinsame Arbeit Brücken bauen kann. Während der Dreharbeit­en liegt Felix Kammerer alias Paul Bäumer im Schlamm, zusammenge­brochen, fassungslo­s, von Weinkrämpf­en geschüttel­t.

Die knallharte Arbeit am Drehset verlangt es, dass er die Einstellun­g immer und immer wieder wiederhole­n muss, bis der Regisseur zufrieden ist. Sein Schauspiel, die Kraft der Szene ist so intensiv, dass der britische Kameramann irgendwann mitweint, "Der Kameramann", sagt Berger, "ist ein Brite, dessen Großvater im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat und ihm als Kind beigebrach­t hatte, Deutsche zu hassen."

Am Rande des Erträglich­en

Dabei hat "Im Westen nichts Neues" nichts Versöhnlic­hes. Es gibt keine Helden, mit denen man sich identi zieren kann. Anders als in Anti-Kriegsdram­en wie Spielbergs "Saving Private Ryan" gibt es keinen Trost, auch keine Ho nung am Ende. Der Film treibt den Zuschauer an den Rand des Erträglich­en. Oder wie Claudia Roth es formuliert: "Es ist der lauteste Schrei gegen den Krieg."

In einer Zeit, in der im Herzen Europas wieder Krieg geführt wird. Und es so aussieht, als könnte sich auch dieser Krieg in der Ukraine zu einem erbitterte­n Stellungsk­rieg entwickeln, in dem die Kriegstrei­ber bereit sind, Tod und Elend in Kauf zu nehmen für den Kampf um wenige Zentimeter.

"Im Westen nichts Neues" ist so schonungsl­os wie real. Ob er überhaupt und in welchen Kategorien er gewinnen wird, ist noch unklar, als die kalifornis­che Sonne den Nebel über der Villa Aurora endlich vertreibt. Der Blick in die Weite tut gut.

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Claudia Roth spricht mit dem Schauspiel­er Albrecht Schucht in der Villa Aurora
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