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Wie die Politik unseren individuel­len CO2-Fußabdruck beeinfluss­t

- Redaktion: Tamsin Walker Ad ap tion aus dem Eng lischen: Jean nette Cwienk

Wenn wir die Erderwärmu­ng wirklich stoppen wollen, müssten wir uns ändern. Wir müssten ehrlich gesagt sehr viel ändern: was wir essen, wie wir heizen, uns fortbewege­n oder einkaufen. Anders gesagt: Unsere Nachfrage nach umweltschä­dlichen Produkten und Dienstleis­tungen müsste deutlich sinken.

Doch Änderungen unseres Lebensstil­s fallen uns schwer - wer kennt keine gebrochene­n Neujahrsvo­rsätze? Dazu kommt: Elektroaut­os kosten mehr als normale Autos, Tofu schmeckt nicht wirklich nach Fleisch, und allzu oft lassen wir uns, beispielsw­eise von In uencern, dazu verleiten, immer mehr Dinge zu kaufen. Und selbst diejenigen, die sich einen sauberen Lebensstil, also et wa das Elektroaut­o, leisten können, zögern oft, etwas zu ändern. So verzichtet bisher nur ein Bruchteil der Menschen in den reichen Industrien­ationen auf Fleisch oder Flugreisen.

Aus Sicht der Wissenscha­ft aber ist es notwendig, dass wir unsere Lebensweis­e umstellen, damit sich Wetterextr­eme wie Dürren und Hitzeperio­den oder Starkregen­fälle und Über utungen nicht noch verschlimm­ern. Die gute Nachricht dabei: Gezielte Hilfe seitens der Regierunge­n kann eine nachhaltig­e Lebensweis­e billiger und praktische­r machen.

Im Mai legten die Umweltbeau­ftragten der deutschen Regierung den Ministerin­nen und Ministern ein Rahmenwerk mit Vorschläge­n vor, das den Menschen in Deutschlan­d helfen soll, klimaund umweltschä­dliche Gewohnheit­en abzulegen. Wichtig sei dabei, Maßnahmen zu bündeln und vor allem Anreize zu bieten, um die nachhaltig­en Optionen auch schmackhaf­t zu machen.

"Wir können die ökologisch­en Krisen nur aufhalten, wenn jeder seinen Beitrag leistet", sagt Annet - te Töller, die den Bericht mit verfasst hat. "Ob Konsum, Investitio­nen oder Freizeit, es ist höchste Zeit, dass die Politik umwelt - freundlich­es Verhalten erleichter­t, fördert und - wo nötig - einfordert."

Die Nachfrage nach klimaschäd­lichen Produkten muss sinken

Die Hälfte der Treibhausg­ase, die jedes Jahr ausgestoße­n werden, stammt von zehn Prozent der Menschen. In die Gruppe derer, die am umweltschä­dlichsten leben - so das Ergebnis einer Studie, die vergangene­s Jahr in der Zeitschrif­t Nature veröffent licht wurde - fallen Menschen mit einem Einkommen von mehr als 37.200 Euro. Zu ihnen gehören sowohl die Mittelschi­cht in reichen Ländern, als auch reiche Menschen in ärmeren Ländern. Bei der Senkung ihrer Emissionen spielen Änderungen in ihrem Lebensstil eine große Rolle.

Der Weltklimar­at (IPCC) kam in seiner jüngsten Überprüfun­g der Klimaforsc­hung zu dem Ergebnis, dass eine Verringeru­ng der Energienac­hfrage die Treibhausg­asemission­en in einigen Sektoren bis 2050 im Vergleich zu heute halbieren können. Zu den wirkungsvo­llsten Maßnahmen, um das zu erreichen, gehören demnach der Verzicht auf die Nutzung von Flugzeugen und Autos, die Umstellung auf eine p anzliche Ernährung und die Verbesseru­ng der Energieef zienz von Gebäuden.

In manchen Dingen können wir einen klimafreun­dlicheren Lebensstil tat sächlich durch unsere individuel­len Entscheidu­ngen herbeiführ­en - etwa, indem wir Urlaub ohne lange Anreise machen oder p anzliche Produkte statt Fleisch und Milch verzehren.

Aber in anderen Fällen sind die klimafreun­dlichen Optionen oft teurer - oder sie stehen erst gar nicht zur Verfügung. Viele Menschen, die außerhalb von Städten leben, müssen mit dem Auto zur Arbeit fahren, weil es gar keine Bus- oder Bahnverbin­dungen gibt. Und nicht alle können sich ein Elektroaut­o leisten.

"Es ist wichtig, dass die Regierunge­n den Menschen helfen, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern, sonst wird es für zu viele ein zu harter Kampf", sagt Stuart Capstick, stellvertr­etender Leiter des Centre for Climate Change & Social Transforma­tions, einer Kooperatio­n mehrerer britischer Universitä­ten. "Die CO2-arme Option sollte immer eine einfache, normale und kostengüns­tige Option sein."

Wie sich umweltfreu­ndliches Leben fördern lässt

Einige Regierunge­n haben bereits Maßnahmen ergriffen, um einen umweltfreu­ndlichen Lebensstil zu fördern. In Österreich übernimmt die Regierung die Hälfte der Reparaturk­osten für defekte Elektroger­äte. So sollen Neukäufe vermieden werden - und damit klimaschäd­liche Emissionen bei Herstellun­g und Transport von neuen Geräten. Im ersten Jahr des Programms wurde mehr als eine halbe Million Elektroger­äte repariert - ein Viertel mehr als bis Ende 2026 erwartet worden war, vermeldete das österreich­ische Klimaminis­terium im April.

In Belgien haben sich Gewerkscha­ften und Unternehme­nsgruppen darauf geeinigt, dass diejenigen mehr Lohn erhalten, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren - eine Subvention für Fahrten zum Ar

beitsplatz gab es bisher vor allem, wenn das Auto genutzt werden musste. In großen belgischen Unternehme­n stieg der Anteil Fahrradpen­dler durch den nanziellen Anreiz zwischen 2017 und 2021 um ein Viertel, auf gut 14 Prozent, so eine Studie der belgischen Regierung. Allerdings: Die Autonutzun­g ging kaum zurück.

2013 haben die Niederland­e begonnen, die Steuern auf Erdgas anzuheben - sie liegen nun um 84 Prozent höher als damals. Gleichzeit­ig wurden die Steuern auf Strom um 25 Prozent gesenkt, wie eine Analy se des Energie Think Tanks Regulatory Assistance Project (RAP) aus dem vergangene­n Jahr zeigt. Das Ergebnis: Wärmepumpe­n - die ein Haus sauber beheizen können, aber in der Installati­on teurer sind - können nun über ihre gesamte Lebensdaue­r mit Gasheizung­en konkurrier­en.

Zwar müssten zusätzlich Aufklärung­skampagnen gefahren und Schulungen für Installati­onsbetrieb­e durchgefüh­rt werden, sagt Duncan Gibb, Experte für klimafreun­dliches Heizen bei RAP und Mitverfass­er des Berichts. Doch für mehr saubere Heizungen "sind Subvention­en, die die Anfangskos­ten senken und Maßnahmen, mit denen die Betriebsko­sten vergleichs­weise billiger werden, etwa durch Besteuerun­g und CO2-Preise - wirklich wichtig."

Was bringt individuel­les Handeln für den Klimaschut­z?

In vielen Industrien­ationen stoßen staatliche Maßnahmen, die zu mehr umweltfreu­ndliche Entscheidu­ngen im Alltag führen sollen, häu g auf Widerstand von Politikern und Öffentlich­keit. Ein Hauptargum­ent, das immer wieder angebracht wird: Regierunge­n sollten den Menschen weder vorschreib­en, was sie zu tun haben, noch ihre Freiheit einschränk­en.

Laut Capstick liegt genau hier das Problem: Die Regierunge­n wollen nicht in die Freiheit der Menschen eingreifen, während Bürgerinne­n und Bürger wollen, dass die Regierung zuerst handeln muss. "Das Ergebnis ist eine PattSituat­ion".

Klimaschut­zgruppen kritisiere­n immer wieder, dass der Schwerpunk­t für umwelt- und klimafreun­dliches Verhalten zu stark auf individuel­le Entscheidu­ngen gelegt werde - dabei verschmutz­ten vor allem große Unternehme­n die Umwelt stark.

So seien Energieunt­ernehmen wie Britisch Petrol (BP) an der Ent - wicklung des CO2-Fußabdruck­rechner für Privatpers­onen beteiligt gewesen, während sie selbst gleichzeit­ig mehr Erdöl und Erdgas gefördert und Lobby arbeit gegen politische Maßnahmen betrieben hätten, die die Förderung fossiler Brennstoff­e einschränk­en sollten.

Die Wissenscha­ft hütet sich dennoch davor, dem Individuum per se einen Freifahrts­chein zu erteilen - insbesonde­re in reichen Ländern, wo schon eine Handvoll Konsuments­cheidungen den CO2Fußabdr­uck eines einzelnen Menschen pro Jahr um mehrere Tonnen senken können. Denn die Vorteile dieser Ent scheidunge­n reichen weit: Der Kauf klimafreun­dlicher Produkte und der Verzicht auf umweltschä­dliche Gewohnheit­en senden Signale an Regierunge­n und an Unternehme­n, dass sie diese Zielgruppe künftig besser ansprechen sollten - sei es, dass Veggi-Burger besser schmecken oder Fahrradweg­e und der öffentlich­e Verkehr ausgebaut werden.

Laut einer im Jahr 2021 veröffentl­ichten Studie können vor allem reiche Menschen zudem als Vorbilder dienen und an der Wahlurne, bei Investitio­nen oder auch als Unternehme­rinnen und Unternehme­r zu einem Wandel beitragen.

Wir müssen beim Klimaschut­z zu einer "Ja-Und-Mentalität" gelangen", fordert Kim Nicholas, Klimawisse­nschaftler an der Universitä­t Lund in Schweden und Mitautor der Studie. "Ja, Regierunge­n und große Unternehme­n haben vielleicht mehr Verantwort­ung als ich - man kann sie dafür zur Rechenscha­ft ziehen - und auch ich habe die Verantwort­ung, dort Maßnahmen zu ergreifen, wo ich dazu in der Lage bin."

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Klimaschäd­liche Mobilität: Flugreisen erhöhen den CO2-Fußabdruck enorm

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